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Haben die USA Nordstream gesprengt? Ex-CIA-Chef äußert sich


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Haben die USA Nord Stream gesprengt?
Ex-CIA-Chef in Moskau: "Das ist einfach traurig"

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 09.02.2023Lesedauer: 6 Min.
Ein brisantes Leck: Wer hat die Nord Stream Pipelines gesprengt?Vergrößern des Bildes
Ein brisantes Leck: Wer hat die Nord-Stream-Pipelines gesprengt? (Quelle: IMAGO/The Swedish Coast Guard/imago-images-bilder)

Der US-Starjournalist Seymour Hersh behauptet, die USA hätten die Nord-Stream-Pipelines gesprengt. Als einzigen Beleg führt er eine ungenannte, fragwürdige Quelle an.

Als eines der ersten Medienunternehmen griff der russische Propagandasender Russia Today eine Geschichte auf, die buchstäblich und politisch Sprengstoff enthält. Über Twitter verbreitete der kremltreue Kanal: "Der amerikanische investigative Journalist und ehemalige "NYT"-Autor Seymour Hersh hat einen explosiven Artikel darüber veröffentlicht, wer hinter der mysteriösen Explosion steckt, die die russische Nord-Stream-Gaspipeline zerstörte."

Es ist eine These, die bislang ohne Beleg ist und welche die russische Regierung schon von Beginn an streute. Nachdem am 26. September 2022 in der Ostsee ein Anschlag mit mehreren Sprengladungen auf die Nord-Stream-Pipelines verübt worden war, hatte der Kreml sofort die USA im Verdacht. In der mutmaßlichen Sabotage-Angelegenheit ermittelt unter anderem auch der deutsche Generalbundesanwalt.

In einem aufsehenerregenden Artikel hat nun der für seine steilen Thesen ohne Nennung von Quellen bekannte US-Journalist Seymour Hersh folgende Behauptung aufgestellt:

"Im vergangenen Juni platzierten Taucher der Marine (...) den ferngezündeten Sprengstoff, der drei Monate später drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstörte, so eine Quelle mit direkter Kenntnis der operativen Planung." Der Sprengstoff sei demnach im Rahmen der Übung "Baltops 2022" platziert worden. 14 Nato-Länder und zwei Partnerstaaten hatten dabei mit rund 7.000 Soldatinnen und Soldaten und rund 50 Schiffen im Juni 2022 in der Ostsee verschiedene Szenarien geübt.

Die behaupteten Planungen für die Sprengung sollen laut Hersh bereits im Dezember 2021 begonnen haben. Für den Fall, dass Russland wirklich in der Ukraine einmarschieren sollte. Die US-Regierung dementiert Hershs Behauptungen aufs Schärfste. t-online geht der Behauptung nach sowie der Frage, wie Hersh dazu kommt und wie viel Substanz seine Behauptung hat.

Eine unbekannte Quelle

Seine einzige Quelle für seine extrem heikle Version nennt Seymour Hersh nicht, und damit wird die Sache problematisch. Überprüfbare Belege, die über Hörensagen hinausgehen, wären in einer so brisanten Angelegenheit wichtig. Denn es wäre ein Vorgang, der von der russischen Gegenseite und auch von Deutschland als kriegerischer Akt gewertet werden könnte.

Seymour Hersh ist nicht irgendwer. Auf seinem erst vor wenigen Stunden aufgesetzten Blog bezeichnet er sich selbst als den "weltweit führenden investigativen Journalisten", der "unabhängige Berichterstattung" liefere.

Seit Ende der 60er-Jahre ist Hersh einer der bekanntesten amerikanischen Enthüllungsjournalisten. Seinen ersten großen Erfolg feierte er mit der Aufdeckung von Kriegsverbrechen der US-Armee im Vietnamkrieg. Danach schrieb er lange Zeit für die "New York Times" und zuletzt bis 2015 für das renommierte Magazin "New Yorker".

Die Liste seiner Enthüllungsgeschichten ist lang. Kritik an seiner Arbeitsmethode begleitete ihn trotzdem sein ganzes Journalistenleben. Der Vorwurf lautete immer wieder: Er nutze fast ausschließlich anonyme Quellen, denen er zu viel Glauben schenke. Niemand könne überprüfen, ob das Gesagte wirklich stimmt.

Eine berühmte Diskussion löste Hersh beispielsweise aus, als er behauptete zu wissen, dass die Tötung des 9/11-Terroristen Osama bin Laden ganz anders abgelaufen sei, als von der Obama-Regierung verbreitet. Weder sei die Aktion von den Amerikanern allein geplant worden, noch habe es die von der US-Regierung behauptete Seebestattung nach islamischem Ritual gegeben.

Hershs Vorgehen brachte ihm schon damals den Vorwurf ein, Unsinn zu schreiben und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Seine neue Enthüllung ist bemerkenswerterweise auch bei keinem renommierten Medium erschienen. Womöglich fand sich keiner, der die Story bei diesem Stand der Recherche für veröffentlichbar hielt.

Moskaus Ex-CIA-Büroleiter: "Das ist einfach traurig"

Auf Anfrage von t-online sagte der ehemalige CIA-Mitarbeiter und Ex-Leiter des Moskauer Büros, John Sipher:

"Das ist einfach traurig. Ich werde nicht einmal meine Zeit damit verschwenden, das zu lesen. Der Seymour Hersh der 1960er und 1970er-Jahre ist längst Geschichte. In den vergangenen Jahren beschäftigt er sich zunehmend mit Verschwörungen und Unsinn. Für mich als ehemaligen CIA-Offizier ist schlicht nicht zu glauben, sich alleine vorzustellen, dass eine so lächerliche Idee ihren Weg durch die Bürokratie und Aufsicht finden könnte. Das ergibt auf keiner Ebene Sinn und ist niemandes Zeit wert."

Dementi der US-Regierung

Für seine neuen Behauptungen zu einem angeblichen US-Anschlag konfrontierte Hersh nach eigenen Angaben das Weiße Haus. Die Reaktion: "Das ist falsch und vollständig erfunden", schrieb ihm eine Regierungssprecherin. Der amerikanische Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) antwortete Hersh ähnlich: "Diese Behauptung ist vollkommen falsch."

Warum sollten ausgerechnet die US-Regierung und der amerikanische Geheimdienst auch zugeben, dass an Hershs Geschichte etwas dran ist? So oder so ähnlich werden die Reaktionen derer ausfallen, die dem Journalisten seine Version glauben werden. Unter ihnen wird ganz sicher die russische Regierung sein.

Laut Hersh soll die Operation von Joe Biden persönlich angeordnet worden sein. Sicherheitsberater Jake Sullivan habe dann eine Arbeitsgruppe dazu koordiniert. In seinem Bericht heißt es: "Sullivan beabsichtigte, dass die Gruppe einen Plan für die Zerstörung der beiden Nord-Stream-Pipelines vorlegte." Man sei damit den Wünschen von Biden nachgekommen.

"Bidens Entscheidung, die Pipelines zu sabotieren, kam nach mehr als neun Monaten streng geheimer Hin- und Her-Debatte innerhalb des Washingtoner sicherheitspolitischen Zirkels, der darüber diskutierte, wie man dieses Ziel am besten erreichen kann", schreibt Hersh. Die Frage sei ihm zufolge gar nicht gewesen, ob man die Mission überhaupt durchführen sollte. Diskutiert worden sei lediglich, wie man das Ganze komplett geheim halten könnte.

Laut Hersh soll die CIA argumentiert haben, dass alles, was getan wurde, verdeckt geschehen müsste. Denn allen Beteiligten sei klar gewesen, was auf dem Spiel stehen würde. "Das ist kein Kinderkram", sagte laut Hersh seine Quelle. Wenn dieser Angriff auf die Vereinigten Staaten zurückverfolgt werden könnte, "ist es eine Kriegshandlung".

Der Haken an Hershs Version

Hier könnte ein entscheidender Haken in der Hersh-Geschichte liegen. Es erscheint unrealistisch, dass eine so heikle und gefährliche Operation ohne eine wirkliche Diskussion, in der das Für und Wider abgewogen wird, beschlossen würde.

Während im Krieg mit der Ukraine jeder Schritt, etwa zu Waffenlieferungen, abgewogen wird, um keinen Dritten Weltkrieg zu entfachen, soll diese Aktion einfach so beschlossen worden sein?

Dass so etwas früher oder später herauskommt, damit hätte die Biden-Administration rechnen müssen. Hersh liefert mit seiner Geschichte sogar unfreiwillig den Beweis: Wenn seine Version stimmt, dann wäre es den USA ziemlich egal, ob sie einen möglichen Atomkrieg mit Russland anzetteln.

Immerhin: Hershs Quelle soll ihm verraten haben, dass es auch Bedenken einiger Mitarbeiter in der CIA und im Außenministerium gegeben habe. Sie sollen demnach geraten haben, es nicht zu tun. "Das ist dumm und wird ein politischer Albtraum, wenn es herauskommt", sollen die Personen laut Hershs Quelle gesagt haben. Anfang 2022 soll dann eine CIA-Arbeitsgruppe an Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan berichtet haben: "Wir haben eine Möglichkeit, die Pipelines zu sprengen."

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Biden wäre ein Sicherheitsrisiko

Zu allem Überfluss soll dann der US-Präsident Joe Biden den heiklen Plan ausgeplappert haben. Hersh zieht dafür den Videoschnipsel einer Pressekonferenz heran, der seit einem Jahr als Beleg für eine Operation der Amerikaner herumgereicht wird, vor allem von kremlnahen Medien. "Wenn Russland einmarschiert … wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende bereiten", antwortete Biden, als er im Februar neben dem deutschen Bundeskanzler stand.

Zuvor hatte auch schon Bidens Unterstaatssekretärin Victoria Nuland bei einem Briefing des Außenministeriums im Wesentlichen eine ähnliche Botschaft übermittelt. Darüber habe die Presse, so Hersh, aber nicht berichtet. Falls Russland in die Ukraine einmarschiere, werde Nord Stream 2 nicht mehr fortgeführt werden, und zwar "auf die eine oder andere Weise", sagte Nuland. Für Hersh ist das Grund genug, um zu raunen.

Laut Hersh soll seine Quelle gesagt haben: "Der Plan war, dass die Option nach der Invasion ausgeführt wird und nicht öffentlich beworben werden sollte. Biden hat es einfach nicht verstanden oder ignoriert."

Würde diese Behauptung stimmen, würden der US-Präsident und seine Mitarbeiterin nicht weniger als ein nationales Sicherheitsrisiko darstellen.

Eine reine Glaubensfrage

Die einzige Quelle von Seymour Hersh müsste immense Einblicke in verschiedene streng geheime Treffen, Gespräche und Papiere gehabt haben. Da nur ein sehr kleiner Kreis in solche Handlungen eingeweiht würde, bestünde auch für eine solche Quelle die ständige Gefahr aufzufliegen. In so einem Fall würde das viele Jahre Gefängnis bedeuten. Die Motivlage der mutmaßlichen Quelle, ein so hohes Risiko für sich selbst einzugehen, verrät Hersh seinen interessierten Lesern nicht.

Solange für seine Geschichte nicht mehr Belege ans Licht kommen, bleibt sie genau das: eine Geschichte. Man kann sie glauben oder nicht. Überprüfbare Fakten bleibt Seymour Hersh wie so oft schuldig. Fakt ist allerdings auch, dass die wahren Hintergründe der Sabotage-Aktion bislang nicht öffentlich bekannt sind.

Davon unbeirrt teilte das russische Außenministerium am Mittwoch eilig mit, die Vereinigten Staaten hätten jetzt Fragen zu ihrer Rolle bei Explosionen an den Unterwasser-Gaspipelines Nord Stream im vergangenen Jahr zu beantworten. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, forderte die US-Regierung auf, sich zu den vorgelegten "Fakten" von Hersh zu äußern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Austausch mit John Sipher
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