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Mossul: In der "befreiten" Stadt tobt der Kampf gegen IS


"Befreites" Mossul
Diese Kämpfe dürfte es gar nicht geben

dpa, Benno Schwinghammer

Aktualisiert am 13.07.2017Lesedauer: 4 Min.
Trotz des verkündeten Sieg über den IS ist der Krieg im Irak noch nicht vorüber. Mossul gleicht nach den schweren Kampfhandlungen der letzten Monate einem Friedhof.Vergrößern des Bildes
Trotz des verkündeten Sieg über den IS ist der Krieg im Irak noch nicht vorüber. Mossul gleicht nach den schweren Kampfhandlungen der letzten Monate einem Friedhof. (Quelle: Goran Tomasevic/Reuters-bilder)

Während das Staatsfernsehen eine Stadt im Siegesrausch zeigt, tobt in Mossul weiter der Kampf gegen den IS. Der schwere Häuserkampf hat die ehemalige Metropole schwer gezeichnet. Zwischen den Ruinen spielen die Kinder.

Eigentlich soll der Krieg vorbei sein. Doch noch immer dröhnen Maschinengewehrsalven durch das, was einmal die Straßen Westmossuls waren. Am Rande der Altstadt geht ein Ruck durch den Boden. Gefolgt vom dumpfen Knall einer Explosion, die es eigentlich nicht geben dürfte. Hinter zerschossenen Fassaden steigt eine Rauchsäule in den blauen Himmel auf.

Schon vor Tagen wurde der Sieg der irakischen Armee über die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verkündet. Aber der nach US-Angaben schwerste Häuserkampf seit dem Zweiten Weltkrieg geht weiter. Der IS in Mossul ist noch nicht ganz besiegt. Dabei hatten die Dschihadisten bereits kapituliert. Zumindest symbolisch.

Gleich rechts neben der Rauchsäule müsste eigentlich das berühmte schiefe Minarett der Al-Nuri-Moschee über den Dächern thronen. Auf der Höhe seiner Macht hatte sich IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi - der nach Gerüchten tot sein soll - 2014 unter dem krummen Turm zum ersten Mal öffentlich gezeigt.

Ende Juni legten die Extremisten das symbolisch wichtige Gebetshaus in Schutt und Asche, bevor die irakische Armee es zurückerobern konnte. Für Regierungschef Haider al-Abadi hat der IS damit formal seine Niederlage erklärt.

Eine Stadt liegt in Trümmern

Die unglaublich brutale Schlacht der vergangenen neun Monate hat Iraks zweitgrößte Stadt teilweise fast bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet. In einem Labyrinth aus Trümmern und meterhohen Schutthaufen schieben sich breite Militärjeeps und Panzer zwischen geborstenen Fassaden hindurch. Kein Haus blieb ohne tiefe Einschusslöcher. Ein gräulicher Film hat sich über die Stadt gelegt.

Auf einigen der Ruinen weht die irakische Flagge. In Vorgärten hat es Autowracks aufs Dach geschleudert. Aus dem Loch eines riesigen Bombenkraters hängen gebrochene Rohre und zerfetzte Kabel. Der Wachposten vor seinem Panzer daneben erhebt seine Finger trotzdem zum Victory-Zeichen.

Inmitten der absoluten Zerstörung rennt plötzlich ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, in einem roten T-Shirt über die benachbarte Kreuzung. Es lacht in der unbeschwerten Art und Weise eines Kindes, das Fangen spielt. Doch in Mossul gibt es keine Wiesen oder Wälder, wo man sich hinterherjagen könnte, sondern nur Sandberge, auf denen die Läufe von Maschinengewehren blitzen.

Niemand hatte mit einem solchen Blutbad gerechnet

Im nordirakischen Juli steht die Sonne fast senkrecht. Es sind 45 Grad im Schatten, doch den gibt es außerhalb der verminten Häuser fast nicht. Unter einem verbogenen und von Kugeln durchsiebten Wellblechdach am Straßenrand versucht Mostafa Mohammed, sich und seine blaue Camouflage-Uniform vor der Hitze zu schützen.

Der Leutnant der irakischen Bundespolizei gibt den Vollblut-Kämpfer. Es seien harte Gefechte gewesen, schließlich aber habe man gesiegt und die Zivilisten geschützt. Ob er vor den Selbstmordattentätern Angst gehabt habe, als sie auf ihn zurasten? "Wir haben keine Angst", sagt er und wechselt unvermittelt in die Gegenwart.

Niemand hätte im Oktober, beim Start der Militäroperation, gedacht, dass die Schlacht so grausam und so lang werden würde. Gerade hier, westlich des Flusses Tigris, führte die fanatische Gegenwehr der Extremisten zu einem Massensterben, dessen Opfer nur geschätzt werden können.

Bevor der IS sich im dicht bebauten Stadtzentrum verschanzte, trieben die Kämpfer dort Zivilisten aus umliegenden Dörfern zusammen, wie Amnesty International dokumentierte. Teilweise verschweißten die Kämpfer die Türen von außen und versahen sie mit Sprengstoff, um ihre lebendigen Schutzschilde an der Flucht zu hindern. Wer es doch wagte, wurde an Strommasten aufgehängt.

Mossul ist zu einem Friedhof geworden

Bewohner Saif Essam erinnert sich unter Schaudern an die Nacht, in der ihn IS-Kämpfer aus dem Bett trieben: "Die haben uns alle aus den Häusern geholt, als die angrenzende Nachbarschaft befreit wurde. Sie sagten "geh vor uns, geh hinter uns", sodass keiner sie angreifen konnte", sagt Essam. Nicht nur in dieser Nacht hatte er Todesangst.

Die Armee und die US-geführte internationale Koalition setzten trotzdem schwere Waffen ein, um die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie kämpften die Gegner aggressiv nieder. Vielleicht auch skrupellos. Viele Zivilisten hatten am Ende nur die Wahl zwischen dem Tod durch den IS oder durch einen Angriff der Jets und Panzer.

Amnesty schließt Kriegsverbrechen an Unbeteiligten dabei nicht aus. Ihre Leichen sind teilweise noch unter dem Schutt begraben. Augenzeugen berichten von einem beißenden Geruch im Stadtzentrum. Mossul ist dieser Tage mehr Friedhof denn befreite Stadt.

"Aus dem Herzen Mossuls geben wir den Sieg bekannt", hatte Ministerpräsident Haidar al-Abadi am Montag verkündet. Die totale Rückeroberung, nachdem 2014 Zehntausende Streitkräfte vor einigen Hundert IS-Kämpfern in Panik aus der Stadt geflohen waren. Nun soll es vorbei sein. Nur noch Aufräumaktionen, heißt es von schmallippigen Kommandeuren.

Doch Kampfgeräusche und durchsickernde Berichte sprechen eine andere Sprache: Soldaten vor Ort berichten von noch 100 IS-Kämpfern, die sich verschanzt hätten. Andere Quellen sagen, viele Dutzend Sicherheitskräfte seien getötet worden. Der Stadtkern wurde abgeriegelt. Was dort passiert, findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Von Siegesfeiern, wie sie im Staatsfernsehen zu sehen waren, ist man hier weit entfernt.

Restaurantbesitzer Essam aber ist optimistisch: "Ich glaube, dass das Leben jetzt zurückkommt", sagt der 32-Jährige, der an einer Hauptstraße unweit des Tigris sitzt. "Erstickt" habe er sich unter der Herrschaft des IS gefühlt. Seinen Grill konnte er zwar noch nicht wieder aufmachen. Aber für einen Hähnchenstand, der den Straßenrand in den Geruch von Fett und gerösteter Haut hüllt, reicht es schon.

Doch auch Essam hat Angst vor den Extremisten, die in den Wirren der Schlacht untertauchen konnten. Der IS verschwindet in Mossul dieser Tage wieder dahin, wo er schon lange vor 2014 das Sagen hatte: In den Untergrund. Dort können US-Kampfjets die Terrorgruppe nicht mehr sturmreif schießen.

"Natürlich ist der Machtapparat des IS in Mossul erledigt, aber die Mentalität der Menschen um uns herum ist immer noch dieselbe", sagt Tarek Salem. Der Mann mit dem tätowierten Kreuz auf dem Arm drückt das Misstrauen vieler Iraker gegenüber den sunnitischen Bewohnern in Mossul aus. Viele von ihnen hätten den IS mit offen Armen empfangen.

Salem lebt in einem Flüchtlingslager und will nicht zurück ins Umland von Mossul, aus dem er 2014 floh. Für die Menschen dort sei er weiter ein Ungläubiger. Mossul sei einfach kein Ort mehr für Christen.

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