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Mutmaßlicher US-Angriff: die Tragödie von Mossul


Mutmaßlicher US-Luftangriff
Die Tragödie von Mossul

spiegel-online, Christoph Sydow

27.03.2017Lesedauer: 4 Min.
Traumatisiert: Ein Mann betrauert tote Familienmitglieder nach einem Luftangriff im irakischen Mossul.Vergrößern des Bildes
Traumatisiert: Ein Mann betrauert tote Familienmitglieder nach einem Luftangriff im irakischen Mossul. (Quelle: AFP-bilder)

Zehn Tage sind vergangen, seit schwere Explosionen den Westen der irakischen Stadt Mossul erschütterten. Menschen wurden dabei getötet, Häuser zerstört - das ist unstrittig. Doch was genau im Viertel Neu-Mossul passierte, ist auch jetzt noch unklar. Die irakischen Behörden verweigern Journalisten den Zutritt in den Stadtteil.

Als die Detonationen am 17. März passierten, herrschte in dem Viertel noch die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Die Dschihadisten verbieten den Menschen unter ihrer Herrschaft das Filmen und Posten von Videos im Internet. Deshalb gibt es auch keine Aufnahmen aus den ersten Stunden und Tagen nach der Explosion und erst eine Woche danach sind Berichte über den Vorfall nach draußen gesickert.

Geflüchtete Bewohner und Bedienstete der Stadt Mossul schildern verheerende Zerstörungen am Tatort. "Sechs Gassen in dem Viertel sind völlig zerstört worden. Der Zivilschutz hat bislang 160 Leichen ausgegraben", sagte ein Beamter der Gesundheitsbehörde der Nachrichtenagentur Reuters. Dutzende Menschen würden noch vermisst. Das irakische Militär berichtet hingegen von nur einem zerstörten Gebäude, aus dem 61 Leichen geborgen worden seien.

"Wie ein Erdbeben"

Augenzeugen schildern, dass der Stadtteil bei einem Luftangriff getroffen wurde. "Es war wie ein Erdbeben. Ein Luftschlag traf meine Straße", berichtet Abu Ayman, ein Anwohner, der inzwischen aus Neu-Mossul geflüchtet ist. "Nachdem das Bombardement aufhörte, ging ich mit einigen Nachbarn nach draußen und sah, dass einige Häuser in meiner Straße dem Erdboden gleichgemacht wurden."

Dagegen berichtet die irakische Armee, es gebe keinen Hinweis darauf, dass das Gebäude bei einem Luftangriff zerstört wurde. Stattdessen habe der IS Sprengfallen in dem Haus hinterlassen, die dann explodierten.

Eine andere Version liefert Muntathar al-Shamari, Chef der Antiterroreinheit in Mossul. Demnach habe der Luftangriff ein Fahrzeug des IS getroffen, das mit Sprengstoff beladen war. "Als der Lastwagen getroffen wurde, explodierte er und zerstörte ein oder zwei Häuser, in denen sich Familien versteckt hatten."

"Wir untersuchen den Vorfall"

Basma Basim, Chefin des Provinzrats von Mossul, nahm am 24. März, also eine Woche nach den Explosionen, ein Facebook-Video am Tatort auf. Darin berichtet sie von 500 Toten. Diese Zahl bezieht sich aber offenbar auf den gesamten Stadtteil Neu-Mossul.

Das Pentagon hat inzwischen eingeräumt, dass die US-geführte Militärkoalition am 17. März einen Luftangriff in West-Mossul ausführte - "an dem Ort, der mit Angaben über zivile Opfer übereinstimmt." Der Angriff habe sich eigentlich gegen IS-Kämpfer gerichtet und sei auf Anforderung der irakischen Sicherheitskräfte erfolgt.

"Wir untersuchen den Vorfall, um herauszufinden, was genau passierte", sagte Joseph Votel, Oberbefehlshaber des für die Anti-IS-Koalition zuständigen Zentralkommandos der US-Armee. Die Untersuchung soll mehrere Wochen dauern.

Hat das US-Militär seine Einsatzregeln geändert?

Sollte sich bewahrheiten, dass das US-Militär für die Attacke verantwortlich ist, wäre es einer der folgenreichsten Fehlschläge seit Jahrzehnten. Seit dem Vietnamkrieg gab es nur einen US-Angriff mit noch mehr zivilen Opfern. 1991 starben Hunderte Iraker beim Bombenangriff auf einen Luftschutzbunker in Bagdad.

Irakische Offizielle sehen in dem Angriff eine Folge der veränderten Strategie unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Seit Februar sei es deutlich leichter geworden, das amerikanische Militär um Luftunterstützung zu bitten.

Früher seien Luftangriffe von einem Kommandozentrum außerhalb von Mossul geprüft und befohlen worden, heute entscheide ein untergeordneter US-Militär in der Stadt über Luftschläge. Das Pentagon bestreitet eine Veränderung der Einsatzregeln.

Menschliche Schutzschilde

Allerdings steigt seit Trumps Amtseinführung nicht nur im Irak die Zahl der zivilen Opfer bei US-Luftangriffen. In Syrien hat sich ihre Zahl seit Januar vervielfacht. Trump hatte wenige Tage nach seinem Einzug ins Weiße Haus das US-Militär aufgefordert, die Kriterien bei der Auswahl der Ziele von Luftangriffen zu überdenken. Unklar ist, ob die neue Regierung die Einsatzregeln tatsächlich gelockert hat.

In Mossul wird die Situation dadurch erschwert, dass der IS offenbar Zivilisten gezielt als menschliche Schutzschilde einsetzt. Flüchtlinge aus Neu-Mossul berichten, dass die Dschihadisten unter Zwang Menschen aus anderen Stadtteilen in das Viertel gebracht hätten. Dann habe der IS von dort aus mit Luftabwehrraketen auf Kampfjets gefeuert und so möglicherweise einen Bombenangriff provoziert.

Das Dilemma der Anti-IS-Koalition

Die irakische Armee und ihre amerikanischen Verbündeten stellt das vor ein gewaltiges Dilemma. Mehrere Hunderttausend Zivilisten sind in den Vierteln von West-Mossul gefangen, die noch immer vom IS gehalten werden. Die Nahrungsmittel gehen zur Neige, in weiten Teilen der Stadt gibt es auch kein sauberes Trinkwasser mehr. Mit jedem Tag, den sie auf die Rückeroberung warten müssen, verschlechtert sich ihre Lage.

Zugleich aber sind in den Stadtvierteln westlich des Tigris mehrere Tausend IS-Kämpfer, die zu allem entschlossen sind und keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen. Die Altstadt und umliegende Gebiete sind äußerst eng bebaut, ein fehlgeleiteter Angriff kann für Zivilisten tödliche Folgen haben.

Das irakische Militär hatte am Wochenende eine Unterbrechung der Bodenoffensive angekündigt, um über eine neue Strategie für den Häuserkampf zu beraten. Doch Augenzeugen in der Stadt widersprechen den Angaben aus Bagdad: Die Kämpfe in Mossul gehen demnach unvermindert weiter.

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