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Nach Putschversuch: Fast 3000 Richter in der Türkei entlassen


Erste Säuberungsaktionen?
Fast 3000 Richter in der Türkei abgesetzt

Von ap, afp, dpa
Aktualisiert am 16.07.2016Lesedauer: 4 Min.
Der türkische Präsident Erdogan nach dem Putschversuch.Vergrößern des Bildes
Der türkische Präsident Erdogan nach dem Putschversuch. (Quelle: reuters)
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Nach dem gescheiterten Putschversuch des Militärs in der Türkei gibt es offenbar schon die ersten Säuberungsaktionen. 2745 Richter im ganzen Land wurden abgesetzt.

Zudem seien fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte in Ankara vom Dienst entbunden worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats wurden in Ankara festgenommen. Ihnen werde die Unterstützung des Putsches vorgeworfen.

Der Staatsrat ist eines der obersten Gerichte in der Türkei. Ob es sich bei den Festgenommenen um Richter oder Staatsanwälte handelt, ist größtenteils unklar. Zwei Namen wurden aber nun genannt: In einem Bericht von CNN Türk hieß es ohne weitere Details, zu den Festgenommenen gehöre der Verfassungsrichter Alparslan Altan. Aus Regierungskreisen verlautete, Erdal Tezcan befinde sich in Gewahrsam - auch er ist Verfassungsrichter.

Das Verfassungsgericht mit seinen 17 Richtern gilt als Gegengewicht zur islamisch-konservativen Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan.

Bei dem Treffen des Rats in Ankara sollten disziplinarische Maßnahmen gegen Mitglieder diskutiert werden, die mutmaßlich Verbindungen zur Bewegung des in den USA lebenden Geistlichen Fethullah Gülen haben. Die Regierung hatte ihr vorgeworfen, für den Putsch verantwortlich zu sein.

Das wies Gülen umgehend zurück. Der Kleriker galt einst als Erdogans Verbündeter, doch haben sich die beiden entzweit. Seit langem hält ihm der Präsident Umsturzpläne vor.

Diskussion über Todesstrafe

Die Regierung hatte zuvor erklärt, dass sie die Lage unter Kontrolle habe. Ministerpräsident Binali Yildirim brachte zudem die Todesstrafe ins Gespräch. Sie sei in der Verfassung zwar nicht vorgesehen. Die Türkei müsse aber Gesetzesänderungen erwägen, um sicherzustellen, dass sich ein Putschversuch nicht wiederholen könne. Zu den Aufständen in der Nacht sagte der Regierungschef, die Lage sei "vollständig unter Kontrolle".

Über 260 Todesopfer bei Putschversuch

Bei dem Putschversuch gestern Abend waren nach Regierungsangaben mindestens 265 Menschen ums Leben gekommen, darunter 104 Putschisten. Zudem wurden mehr als 1400 Menschen verletzt. 2839 Militärangehörige wurden festgenommen. (Hier die Ereignisse der Nacht zum Nachlesen.)

Zunächst reklamierten die Putschisten die Macht im ganzen Land für sich, doch erklärte die Regierung den Umsturz später für abgewendet. Präsident Erdogan erklärte vor Anhängern, dass er weiter das Sagen habe.

Doch die Lage ist stellenweise immer noch unübersichtlich: In den frühen Morgenstunden waren Schusswechsel in Ankara und Istanbul zu hören. In der Nähe des Präsidentenpalastes in Ankara gebe es noch Probleme, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Atatürk-Flughafen in Istanbul. In der Nähe des Palastes sollen Kampfjets Bomben abgeworfen haben. Zudem dauern Operationen gegen Putschisten im Armee-Hauptquartier in Ankara an. Aus Regierungskreisen hieß es, am Morgen hätten Teilnehmer des Umsturzversuches noch aus dem Gebäude geschossen. "Das ist im Moment ihr letzter Stützpunkt."

Nach Angaben aus Regierungskreisen ist der Einsatz gegen die Putschisten weitgehend abgeschlossen. Vereinzelte Operationen würden aber noch einige Stunden andauern, sagte der Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan.

Kampfflugzeuge über Ankara

Begonnen hatte das Drama mit Berichten über Kampfflugzeuge, die am Freitagabend über Ankara flogen. Dann blockierten Militärfahrzeuge Brücken in Istanbul.


TV-Bilder zeigten dramatische Szenen: Panzer fuhren auf den Straßen, Soldaten feuerten in die Luft und stellten sich Demonstranten entgegen, Autos brannten. In Istanbul kam es am Taksim-Platz zu einem Feuergefecht zwischen Polizei und Soldaten. Medien meldeten darüber hinaus Schüsse auf demonstrierende Putschgegner an der Bosporus-Brücke. Im Gebäudekomplex des Parlaments in Ankara explodierte eine Bombe, die mehrere Polizisten verletzte.

An der Zentrale der Militärpolizei in Ankara wurden 16 Putschisten getötet, sagte Polizeichef Celalettin Lekesiz laut Anadolu. 250 weitere wurden demnach festgenommen. Bei einem Militäreinsatz wurde später der von Putschisten als Geisel genommene Generalstabschef Hulusi Akar befreit, wie Anadolu meldete.

Erdogan: Putschversuch "ein Segen Gottes"

Erdogan zeigte sich am Istanbuler Atatürk-Flughafen bei einem ersten Auftritt seit Beginn des Putschversuchs kampflustig. "Der Präsident, den 52 Prozent des Volkes an die Macht gebracht hat, hat die Kontrolle. Die Regierung, die vom Volk an die Macht gebracht wurde, hat die Kontrolle", sagte er. In einer TV-Ansprache hatte Erdogan zuvor ein hartes Vorgehen gegen die Putschisten angekündigt. Sie würden einen "hohen Preis für ihren Hochverrat" zahlen.

Der Putschversuch sei "letztendlich ein Segen Gottes", sagte Erdogan weiter. Er werde nun als Anlass dafür dienen, "dass unsere Streitkräfte, die vollkommen rein sein müssen, gesäubert werden".

Türkische Geschichte reich an Putschen

In der Türkei hatte das Militär bereits in den Jahren 1960, 1971 und 1980 geputscht. Dennoch entwickelte sich das Land später zu einer stabilen Demokratie und zum engen Partner von EU und Nato. Zuletzt häuften sich jedoch Terroranschläge. Der Kurdenkonflikt im Südosten des Landes brach wieder auf, der Flüchtlingspakt mit der EU wurde durch Erdogans umstrittene Anti-Terror-Gesetze in Frage gestellt. Präsident Erdogan wurde ein zunehmend autokratischer Stil vorgehalten.

Darauf schien sich auch Erklärung der Umstürzler zu beziehen, die die Nachrichtenagentur Dogan verbreitete. Das Militär wolle "die verfassungsmäßige Ordnung, Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten wiederherstellen", hieß es darin. Im Land sollten wieder Rechtsstaatlichkeit und Ordnung gelten.

Deutschland, die USA, Russland, die Europäische Union und die Nato zeigten sich alarmiert über die jüngsten Ereignisse bei dem wichtigen Bündnispartner und mahnten zum Respekt für die Demokratie dort.

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