Vormarsch auf Syriens Terror-Metropole Geheimnisvolle Kurden-Kommandantin jagt den IS
An allen Fronten wird die Terror-Armee des Islamischen Staates (IS) zurückgetrieben. Jetzt hat der Vormarsch auf ihre syrische Hauptstadt Al-Rakka begonnen – nach über zwei Jahren Vorbereitung. Geführt wird er von der jungen Kurden-Kommandantin Rojda Felat - einer Frau über die alle sprechen, aber kaum jemand etwas weiß.
Die meisten Kämpfer beim Vormarsch auf die Stadt am Euphrat gehören - wie die Kommandantin - zur Kurden-Miliz YPG ("Volksverteidigungseinheiten"). Die Hauptverbündeten der USA auf dem syrischen Kriegsschauplatz führen ihrerseits eine Koalition aus Kurden, arabischen Stammeskämpfern und assyrischen Christen. "Demokratische Front Syriens" (SDF) heißt die Truppe.
Sie gilt als diszipliniert, verschwiegen - und erfolgreich: t-online.de hatte vergangenen November Gelegenheit, eine gerade von der SDF eroberte Stadt des IS in Nordsyrien nahe der irakischen Grenze zu besuchen. Seitdem ist die Koalition über 100 Kilometer vorgerückt.
"Ein Löwe ist ein Löwe, egal, ob Mann oder Frau"
Doch wer sind ihre Anführer? Was Informationen angeht, hält sich vor allem die YPG bedeckt, wie ihre türkische Mutter-Organisation, die kurdische PKK. Im Fall Rojda Felat, scheint jedoch wirklich kaum jemand etwas zu wissen.
Recherchen von t-online.de bei mehreren kurdischen Institutionen in Europa und Syrien ergeben zurzeit immer die gleiche Antwort: Ja, Rojda Felat leite den Angriff auf Al-Rakka, von vielen kurz "Rakka" genannt. Ihr zur Seite stehe der Kommandeur Ebu Feyyat. Felat sei jedoch federführend. Wolle der Anrufer mehr wissen, müsse man sich aber erst erkundigen.
Selbst der Pressesprecher ihrer eigenen Miliz im syrischen Amuda verspricht gegenüber t-online.de nur: "Am Donnerstag fahre ich an die Front. Wenn ich es schaffe, sie zu treffen, oder etwas über sie herauszukriegen, melde ich mich - versprochen."
Auf Twitter taucht seit dem 24. Mai - dem Beginn des Vormarschs - der Hashtag #RojdaFelat immer öfter auf. "Du bist unser Stolz", schreibt eine Kurdin. "Ein Löwe ist ein Löwe, egal, ob Mann oder Frau", twittert ein Landsmann. Dabei taucht immer wieder eine kurze Video-Sequenz mit der körperlich eher kleinen Frau an der Rakka-Front auf:
Felat selbst lässt sich so zitieren: "Ich halte es für sehr wichtig, dass gerade eine Frau den IS besiegt." Kurden, die mit der Szene Nord-Syriens - die Kurden nennen das Land "Rojava" - vertraut sind, berichten, man habe von Felat immer wieder gehört. Konkretes gebe es aber nicht, denn bisher habe sie immer im Verborgenen gewirkt. Die Frau sei "wirklich sehr geheimnisvoll".
Nicht einmal ihr Alter ist bekannt: Abwechselnd nennen Twitterer und Presse 1962, 1966 oder 1968 als ihr Geburtsjahr. Auf einer Seite wird das türkische Batman als ihre Geburtsstadt angegeben. "Nein, sie kommt aus Rojava, ganz sicher", weiß eine Bekannte. Ein Redakteur der auf Rojava spezialisierten türkischen Kurdenseite "Jihan News" sagt am Telefon: "Sie ist 36 Jahre alt und kommt aus Al-Hasaka in Nord-Syrien."
Mehr als zwei Jahre Vorbereitung
Vor Ort - bislang noch rund 50 Kilometer nordwestlich von Rakka - sind die Truppen bereits in den Bezirk Groß-Rakka eingedrungen. Mehrere IS-Stellungen und Dörfer seien überrannt worden, melden ortsansässige Medien auf Twitter.
Die Offensive ist offenbar von langer Hand geplant: Kurden und Araber hätten über zweieinhalb Jahre hinweg Tausende Kämpfer in den Ebenen vor der Stadt massiert, melden kurdische und arabische Medien aus der Region.
Die Operation ist durchaus heikel: Rakka wird vor allem von Arabern bewohnt, die zwar den IS nicht wollen, den Kurden gegenüber aber ebenfalls misstrauisch sind. Umso wichtiger sind die eher geringen arabischen Truppenteile innerhalb der SDF. Das wissen auch die Kurden - der Hauptgrund dafür, dass sie dem Plan der USA zugestimmt haben, die SDF aus der Taufe zu heben.
Die USA wiederum unterstützen den Vormarsch wie schon seit Monaten mit Luftangriffen. Vor Ort sollen sich bis zu 250 amerikanische Militärexperten und Mitglieder von Spezialeinheiten aufhalten, die die syrischen Kämpfer unterstützen. Dieser Tweet mit Bildern von "Russia Today" zeigt angeblich einige von ihnen in Frontnähe:
Die Situation des IS erinnert derweil an die Lage der deutschen Wehrmacht in der zweiten Hälfte des Zweiten Weltkriegs: Rückzug folgt auf Rückzug. Im Irak begannen die kurdischen Peschmerga vergangenen Monat auf die dortige IS-Hauptstadt Mosul vorzurücken. Derzeit wird das seit US-Zeiten umkämpfte Falludscha belagert.
In Syrien haben die Terroristen gerade die Wüstenstadt Palmyra verloren. Auch an die Großstadt Deir ez-Zor rückt die Kurdenfront immer näher heran. Jetzt ist auch Rakka in Gefahr, dem IS verloren zu gehen.
"Die wichtigste Offensive seit Kobane"
Und der Vormarsch geht planvoll voran - wie immer, wenn die disziplinierten kurdischen Einheiten die Sache übernehmen. Die hatten Anfang 2015 schon den IS aus dem zerstörten Kobane vertrieben - der Anfang vom Ende des Siegeszuges der Terroristen.
Jetzt kommt wohl Rakka an die Reihe. "Ich glaube, zumindest symbolisch ist das die wichtigste Offensive seit Kobane", wurde Joshua Walker vom "German Marshall Fund" gestern in Al-Dschasira zitiert.
Ohne Emotionen geht die Sache freilich nicht über die Bühne. Gestern twitterte ein Sympathisant des IS aus Rakka auf englisch: "Die Menschen in Rakka wollen nicht, dass der SDF in die Stadt kommt." Eine Kurdenkämpferin retweetete und droht: "Ich werden mich an diesen Dschihadisten-Account erinnern, wenn der Tag gekommen ist."
Derweil haben die USA schon zwei mal Flugblätter über der Stadt abgeworfen, die die Einwohner zur Flucht auffordern. Darauf steht auf arabisch: "Es wird Zeit! Der Moment ist gekommen, Rakka zu verlassen":
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