Alte Saddam-Bestände IS hat in Kobane wohl Giftgas eingesetzt
Fotos, die das israelische Magazin "Middle East Review of International Affairs" (Meria) veröffentlicht hat, nähren einen schrecklichen Verdacht: Anscheinend hat die Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) beim Angriff auf die nordsyrische Grenzstadt Kobane Giftgas eingesetzt.
Bereits im Juli unternahm IS einen ersten, aber erfolglosen Versuch, die Kurdenhochburg Kobane einzunehmen. Aus dieser Zeit stammen Bilder von verwundeten und gefallenen kurdischen Aktivisten. Die Körper weisen die für den Kontakt mit Senfgas typischen Merkmale auf: Verbrennungen der Haut, der Augen und der Atemwege.
Nisa Ahmed, Gesundheitsminister der Kobane-Enklave, sprach laut "Meria" von "Verbrennungen und weißen Flecken auf den Körpern der Toten, ausgelöst durch Chemikalien". Die Leichen dreier Kurden hätten keinerlei Einschusswunden oder äußerliche Blutungen aufgewiesen.
Chemie-Waffen in der Hand des IS?
Jetzt berichtet die "New York Times" von Chemiewaffenlager im Irak, die noch aus den Zeiten Saddam Husseins und seinem Krieg gegen den Iran von 1980 bis 1988 stammen. Laut bislang geheimen Dokumenten des US-Militärs, die die auf Grundlage des "Freedom Information Acts“ vom Pentagon herausgegeben werden mussten, hätten amerikanische Soldaten und durch die USA ausgebildete irakische Sicherheitskräfte in der Zeit nach dem Irak-Krieg und dem Sturz Saddams von 2003 bis 2011 etwa 5000 alte Giftgas-Sprengköpfe, Granaten und Bomben im Irak gefunden.
Jetzt wächst die Sorge, IS-Extremisten könnten die Altbestände des Saddam-Regimes bergen und sowohl im Irak und in Syrien gegen die Kurden und die von den USA geführte internationale Allianz einsetzen.
Die meisten Waffenlager befinden sich rund um die Ruine des Chemiewaffen-Komplexes Muthanna nordwestlich der Hauptstadt Bagdad. Dieses und große Teile der weiteren Gebiete, in welchen die US-Soldaten vor Jahren den Giftgas-Fund machten, sind mittlerweile unter Kontrolle des IS. Die irakische Regierung geht davon aus, dass sich dort noch mindestens 2500 weitere Chemie-Waffen unter der Erde befinden.
Ob das Senfgas, dass im Juli wohl in Kobane eingesetzt wurde, auch aus diesen beständen stammt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. "Meria" geht unter Berufung auf eine verlässliche Quelle davon aus, dass das besagte Giftgas aus dem Irak stammt und über eine Fabrik in der Nähe Kobanes in die Hände der IS-Miliz gefallen sei.
Jahrelange Geheimhaltung
Jarrod L. Taylor, ein ehemaliger Army-Sergeant, müsse immer lachen, wenn es heiße, im Irak gäbe es keine Chemie-Waffen. "Da waren jede Menge", sagte er gegenüber der "New York Times". Taylor war zuständig für die Vernichtung und Entsorgung von Senfgas-Granaten.
Doch sprechen durfte er darüber nicht. Er sah "Wunden, die niemals passierten", verursacht durch "das Zeug, dass nicht existiert". Die Öffentlichkeit sei über Jahre hinweg getäuscht worden. Selbst Soldaten in den betroffenen Gebieten hätten nicht von der Gefahr erfahren.
US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat die Enthüllungen der "New York Times", die sich unter anderem auf Aussagen 17 ehemaliger Angehöriger der US-Army und der irakischen Polizei beruft, bislang nicht kommentiert. Ein möglicher Grund für die jahrelange Geheimhaltung: Ein Großteil der gefundenen Chemie-Waffen wurde in den USA entwickelt, in Europa gefertigt und im Irak abgefüllt.