Bedrängte Kurden PKK droht Türkei mit neuem Krieg
Angesichts der Kämpfe zwischen Kurden und IS-Milizen in der syrischen Grenzstadt Kobane wachsen die Spannungen auch innerhalb der Türkei. Nach tagelangen gewalttätigen Protesten der türkischen Kurden gegen die passive Haltung der Regierung, droht der stellvertretende PKK-Chef Cemil Bayik der Türkei ganz offen mit einem Ende des Friedensprozesses und einem neuen Guerillakrieg, sollten bei künftigen Unruhen in den Kurdengebieten erneut Menschen sterben.
In der Türkei kosten die Proteste gegen die türkische Untätigkeit im Kampf um Kobane immer mehr Menschen das Leben. Inzwischen seien bei Zusammenstößen vor allem im kurdisch geprägten Südosten des Landes 31 Menschen getötet worden, sagte Innenminister Efkan Ala in Ankara nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. Zusätzlich seien am Donnerstag zwei Polizisten in Ostanatolien erschossen worden. 360 Menschen seien verletzt worden, darunter 139 Polizisten. In 35 der 81 türkischen Provinzen sei es seit Dienstag zu Ausschreitungen gekommen.
Die Türkei hat an ihrer Südgrenze Panzerverbände in Schuss- und Sichtweite von Kobane stationiert, ist aber nicht bereit, allein mit Bodentruppen gegen den IS vorzugehen. Die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestufte PKK befürchtet hingegen ein Massaker an der kurdischen Bevölkerung von Kobane und dringt auf ein Eingreifen der internationalen Allianz unter Führung der USA.
"Wir haben die Türkei gewarnt"
In einem Interview mit dem ARD-Hörfunk in den nordirakischen Kandil-Bergen droht PKK-Führer Cemil Bayik offen mit der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in der Türkei. Für den Fall, dass bei Unruhen in den türkischen Kurdengebieten weiterhin Menschen getötet werden, werde die Guerilla wieder zu den Waffen greifen, erklärte er.
Bayik betonte: "Wir haben die Türkei gewarnt. Wenn sie so weiter machen, dann wird die Guerilla den Verteidigungskrieg zum Schutz des Volkes wieder aufnehmen. Die Hauptaufgabe der Guerilla besteht darin, das Volk zu schützen." Da der eigentliche PKK-Chef Abdullah Öcalan seit Jahren in türkischer Haft sitzt, ist Bayik de facto Chef der PKK.
"Entscheidung gegen die PKK getroffen"
Die türkische Regierung verhandelt seit knapp zwei Jahren mit der PKK über eine friedliche Beendigung des Kurdenkonflikts, der seit 1984 mehr als 40.000 Menschen das Leben kostete. Die Zukunftsaussichten beurteilt Bayik kritisch. Die türkische Regierung habe sich nicht an Absprachen gehalten und die militärische Präsenz der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei stark ausgebaut. Die PKK habe bereits darauf reagiert: "Weil die Türkei ihre Politik ohne Änderungen fortgesetzt hat, haben wir alle aus der Türkei abgezogenen Kämpfer zurückgeschickt."
Auch die am 2. Oktober vom türkischen Parlament beschlossenen Ermächtigung der Regierung, die türkische Armee im benachbarten Syrien und Irak einzusetzen, sieht Bayik kritisch. Dies sei im Kern eine Kriegserklärung an die PKK. "Die IS-Terrormiliz wird in dieser Ermächtigung kaum erwähnt. Die PKK wird sehr wohl erwähnt", kritisiert er. "Mit dieser Ermächtigung ist eine Entscheidung für den Krieg gegen die PKK getroffen worden. Mit der Verabschiedung im Parlament hat die Türkei den Friedensprozess beendet", schließt der PKK-Führer.
Versöhnliche Töne der syrischen Kurden
Optimistischer zeigt sich der Chef der größten syrischen Kurdenpartei. Der Vorsitzende der Partei der Demokratischen Union (PYD), Salih Muslim, hat die Türkei aufgefordert, durch Hilfen für die Verteidiger der Grenzstadt Kobane den Friedensprozess mit den Kurden voranzutreiben. "Die Augen aller Kurden sind auf Kobane gerichtet", sagte er. "Wenn die Türkei eine positive Haltung einnimmt, wird sie die Sympathien aller Kurden in Rojava gewinnen" - also in den Kurdengebieten im Norden und Nordosten Syriens.
Die Extremisten seien für die Türkei genauso gefährlich wie für die Kurden in Syrien. "Die Kurden wollen ihren Platz in einem demokratischen und pluralistischen Syrien einnehmen, mit ihrer eigenen Identität. Nichts anderes als das", betonte Muslim. Solange die Kurdenpolitik der Türkei auf ihrem eigenen Staatsgebiet diesem Ziel nicht entgegenstehe, "haben wir mit ihr kein Problem".