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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Finstere Drohungen aus Syrien Der Terrorwettlauf gegen den Westen beginnt
Die syrische Al-Nusra-Front - ein Al-Kaida-Ableger - schien lange abgeschlagen zu sein. Jetzt meldet sie sich mit einer finsteren Drohung gegen den Westen zurück. Ein Experte befürchtet einen neuen Terror-Wettlauf zwischen ihr und dem Islamischen Staat (IS), nach dem Motto: Wer verübt den spektakulärsten Anschlag seit 9/11?
In Syrien herrschen mehrere Kriege: Säkulare Rebellen kämpfen gegen Assad, Kurden kämpfen gegen Dschihadisten; die wiederum bekämpfen alle anderen. Ein weiterer Krieg herrscht seit Dezember: Da begannen die zwei gefährlichsten Dschihadisten-Gruppen des Landes - Al-Nusra und IS - Krieg gegeneinander zu führen.
Eigentlich könnte der Westen zufrieden sein, wenn Terroristen sich gegenseitig ausschalten. Doch wieder einmal kommt wohl alles anders.
"Dieser Krieg könnte Jahrzehnte dauern"
Seit dem Beginn des Bruderkrieges mit IS schien das alte Al-Kaida-Netzwerk auf dem absteigenden Ast zu sein. IS dagegen sagte sich von Al-Kaida los und erlebte in Syrien und im Irak einen beispiellosen Siegeszug. Möchtegern-Gotteskrieger aus aller Welt laufen IS seitdem in Scharen zu. Jetzt wollen die alten Kaida-Kader offenbar mit spektakulären Anschlägen gegen den Westen die Führungsrolle in der internationalen Dschihad-Gemeinde zurückgewinnen.
Bereits Anfang der Woche warnten US-Geheimdienste vor der ebenfalls mit Al-Kaida verbündeten Gruppe "Chorasan", die offenbar einen großen Anschlag im 9/11-Stil gegen den Westen plant. Ihr Anführer, der ehemalige Bin-Laden-Vertraute Muhsin al-Fadli, soll dem amerikanischen SITE-Institut zufolge dieses Wochenende bei einem Luftangriff getötet worden sein. Den Plänen der Gruppe dürfte dies aber keinen Abbruch tun.
Jetzt haben auch ihre Al-Kaida-Verbündeten von der vermeintlich kaltgestellten Nusra-Front dem Westen Vergeltung für die Luftangriffe angekündigt, die Al-Nusra genauso treffen, wie den IS. Die an den Angriffen beteiligten Staaten seien zum Ziel für Gotteskrieger in aller Welt geworden, erklärte einer ihrer Sprecher in einer am Samstag im Internet veröffentlichten Audiobotschaft.
Es werde nicht Krieg gegen die Nusra-Front geführt, sondern gegen den Islam als Ganzes. "Dieser Krieg könnte Jahrzehnte dauern", hieß es weiter. Es war die erste Reaktion der Gruppe seit dem Beginn der Angriffe.
Ein spektakulärer Anschlag fehlt dem "Kalifen" noch
Und der Islamische Staat? Die Gruppe zieht zwar viele Wirrköpfe aus dem Westen an, die womöglich als "Schläfer" aus dem Dschihad zurückkehren. Allerdings ist sie mittlerweile mehr eine militärische Einheit, die weite Landstriche erobert, als eine reine Terrorgruppe. Im Irak haben ihre Ableger seit 2003 vermutlich hunderte Anschläge verübt.
Mit anderen Worten: Ein wirklich großer, spektakulärer Schlag gegen den Westen fehlt IS, um sich im internationalen Dschihadismus unsterblich zu machen.
Möglicherweise könnte der bald kommen: Der Terrorismusexperte Guido Steinberg warnt in der aktuellen Ausgabe des "Spiegel" vor Anschlägen des IS in Europa. Sollten die Organisation und ihr Anführer Baghdadi ihren Einfluss halten, werde der selbst ernannte "Kalif Ibrahim" auf lange Sicht Osama Bin Laden als Führer der dschihadistischen Bewegung beerben wollen, glaubt Steinberg.
"Um dies zu schaffen", erläutert der Islamwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, "müsste er aber mindestens einen weltweit aufsehenerregenden Anschlag im Westen verüben." Da Baghdadi Hunderte europäische Rekruten zur Verfügung stehen, sei es gut möglich, dass die Terror-Armee versuchen werde, in Europa aktiv zu werden.
Ex-Dschihadisten und Geheimdienstexperten hatten bereits im Februar im Gespräch mit t-online.de vor dieser Entwicklung gewarnt.
Festnahme in Berlin
Dass der Westen jetzt mit allem rechnen muss, zeigen auch die Enthüllungen von Polizei und Geheimdiensten in den vergangenen Wochen: So deckte ein irakischer Sicherheitsdienst erst vor wenigen Tagen Anschlagspläne von Islamisten aus den USA und Frankreich gegen ihre Heimatländer auf. In Australien flog eine Gruppe auf, die geplant hatte, einen willkürlich ausgesuchten Passanten auf offener Straße zu enthaupten.
Und in Berlin nahm eine Spezialeinheit der Polizei vorvergangene Woche einen 40-jährigen Syrien-Rückkehrer "wegen Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat" fest. Der Generalbundesanwalt werde möglicherweise die Ermittlungen übernehmen, hieß es - ein Zeichen dafür, wie ernst die Bedrohung offenbar war.
Nahost-Fachmann Steinberg mahnt im "Spiegel" eine weitaus aggressivere Aufklärung durch die deutschen Nachrichtendienste an: "Deutschland sollte nicht auf den ersten großen Terroranschlag hierzulande warten, bis es seine Sicherheitsarchitektur auf den Stand bringt, den die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts notwendig machen."