Krisen & Konflikte Männervergewaltigung als grausame Kriegswaffe
Sexuelle Gewalt gegen Männer wird weltweit als Kriegswaffe eingesetzt - doch kaum jemand spricht über die grausamen Taten. Gerade den Opfern fällt es schwer, das Tabu zu brechen und ihre Erlebnisse in Worte zu fassen: Ein Mann, er heißt Job, hält seinen Kopf zwischen den Händen und blickt beschämt auf den Boden, als er leise und traurig zu sprechen beginnt: "Ich wurde von Soldaten festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Dort fesselten zwei Soldaten meine Hände und Beine und vergewaltigten mich, einer nach dem anderen."
Er schrie, aber niemand half. Nach einiger Zeit fiel Job in Ohnmacht, der Schmerz war einfach zu stark. Die gleiche Szene wiederholte sich über Wochen immer und immer wieder. "Ich habe die ganze Zeit geblutet", sagt Job.
Der hoch gewachsene Kongolese war 2007 in der Provinz Nord Kivu gefangen genommen worden, wo damals der dritte Kongokrieg zwischen Regierungssoldaten und Rebellengruppen tobte. Seine Peiniger warfen dem heute 50-Jährigen vor, mit den Rebellen zusammenzuarbeiten.
"Kann nicht schlafen, mich nicht konzentrieren, bin impotent"
Nach den wiederholten Gruppenvergewaltigungen war für Job nichts mehr wie vorher. Und die Verletzungen sind nicht nur physischer, sondern vor allem auch psychischer Natur. "So viele Gedanken schwirren in meinem Kopf herum, meine ganze Zukunft ist ruiniert. Zeitweise hat man mich sogar in eine psychiatrische Klink gebracht", erzählt er. "Ich kann nicht schlafen, ich kann mich nicht konzentrieren, und ich bin impotent."
Hilfe und Menschen, denen gegenüber er sich öffnen kann, hat Job erst in der ugandischen Hauptstadt Kampala gefunden, wo er heute als Flüchtling lebt. Dort bemüht sich das "Refugee Law Project" (RLP) der Makerere-Universität darum, Vertriebenen aus ganz Afrika bei der Traumata-Bewältigung zur Seite zu stehen.
Das Projekt, dessen Räumlichkeiten in einer ruhigen Wohngegend auf einem kleinen Hügel liegen, wird täglich von durchschnittlich zehn Männern und acht Frauen aufgesucht, die alle grausamsten sexuellen Missbrauch durchleiden mussten. Als Sofortmaßnahme werden die Opfer meist zunächst in ein Krankenhaus gebracht und später von Sozialarbeitern beraten und betreut, um ihnen die Rückkehr in - so gut es geht - ein normales Leben zu ermöglichen.
Männervergewaltigung findet keine Beachtung
Viele der Männer leben jahrelang mit ihrem schrecklichen Geheimnis und sind stark traumatisiert. Denn der Einsatz von sexueller Gewalt gegen Männer als Kriegswaffe ist fast überall auf der Welt ein Tabu, über das schlichtweg nicht gesprochen wird.
Nicht einmal in den internationalen Menschenrechtsgesetzen wird das Thema berücksichtigt: Eine Resolution des Weltsicherheitsrates aus dem Jahr 2000 etwa nennt im Zusammenhang mit sexueller Kriegsgewalt ausschließlich Frauen und Mädchen.
Besonders schlimm ist diese Tabuisierung in Afrika, wo vergewaltigte Männer als Homosexuelle angesehen werden. Denn Homosexualität ist in den meisten afrikanischen Ländern immer noch illegal. Uganda hatte zuletzt versucht, einen Gesetzesentwurf durch das Parlament zu bringen, das die Todesstrafe für Schwule vorsah. Erst nach einem internationalen Aufschrei wurde das Vorhaben vorerst auf Eis gelegt.
Abartige Gewalt gegen hilflose Männer
"Manche Männer erzählen, dass ihnen Schraubenzieher in den Anus gestoßen wurden und sie schlimme Infektionen haben", erklärt Salome Atim, eine Mitarbeiterin des Refugee Law Project. Andere beklagen, ihnen sei Chili-Pulver in den Penis eingeführt worden. "Viele dieser Männer riechen nach Kot, sie können nicht richtig laufen und benutzen Damenbinden, um das Blut und den Eiter aufzufangen."
Eine der wenigen internationalen Experten, die sich mit dem Thema ausführlich befasst haben, ist Lara Stemple vom "Health and Human Rights Law Project" der Universität Kalifornien in Los Angeles. In ihrer Studie "Male Rape and Human Rights" ("Männervergewaltigung und Menscherechte") betont sie, dass sexuelle Gewalt gegen Männer nicht nur in Afrikas Krisengebieten vorkommt, sondern auch in Ländern wie Chile, Griechenland, Kroatien, Iran, Kuwait, der ehemaligen Sowjetunion und Ex-Jugoslawien.
Opfer werden als Homosexuelle geächtet
"Überall da, wo Homosexualität stigmatisiert wird, haben die Opfer es noch viel schwerer, mit dem Erlebten umzugehen", sagt Stemple. Es sei ein "chronisches Problem", dass meist den Vergewaltigten selbst die Schuld für das Erlebte zugewiesen wird. "Die Schuld liegt hingegen bei den Tätern und den Regierungen, die solche Straftaten nicht verfolgen", klagt die Wissenschaftlerin.
In Afrika ist Missbrauch von Männern nicht nur im Krisenland Kongo an der Tagesordnung, sondern auch unter Flüchtlingen, die versucht haben, Konflikten etwa in Burundi, dem Sudan, Somalia und Eritrea zu entkommen. Viele von ihnen besuchen das RLP in Uganda, aber nur ganz wenige erklären sich bereit, auch mit Journalisten über ihre Erfahrungen zu sprechen. Manche wollen sich noch nicht einmal Ärzten gegenüber öffnen, weil sie sich so schämen, erklärt Atim.
Auch Moses wurde im kongolesischen Nord Kivu gefangen genommen, jedoch nicht von Regierungssoldaten, sondern von Rebellen. Als er zu fliehen versuchte, wurde er entdeckt und ins Camp zurückgebracht. "Die Rebellen sagten, dass sie mich bestrafen würden, und dass es keine Frauen draußen im Busch gäbe. Deshalb sollte ich ihnen sexuelle Dienste leisten." Er wurde immer wieder vergewaltigt, bis es ihm schließlich - ebenso wie seinem Landsmann Job - gelang, nach Uganda zu fliehen.
Jobs Blick während des Interviews ist wirr. Immer wieder blickt er in alle Richtungen um sich und springt erschrocken auf, wenn jemand sich ihm nähert. Sein ganzes Leben ist aus den Fugen geraten, und vor allem fragt er sich ständig, ob er überhaupt noch ein richtiger Mann ist. In einem aber ist er sich ganz sicher: "Ich will nicht, dass andere mit anhören, was mir passiert ist."