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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Droht am Golf ein Krieg? Alarmstufe rot
Die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen nehmen mit Raketen die Achillesferse der Weltwirtschaft ins Visier. Die USA greifen ein und bitten auch um Unterstützung aus Deutschland. Möchte Teheran einen Krieg provozieren?
Schon wieder Alarmstufe Rot am Roten Meer. Erst am Dienstag wurde ein norwegischer Tanker von Marschflugkörpern getroffen, ein Feuer brach auf dem Deck aus. Am Donnerstag versuchten dann Huthi-Rebellen, an Bord eines isländischen Tankers zu gelangen. In beiden Fällen musste ein US-Zerstörer eingreifen. Am Freitag dann geriet ein deutsches Containerschiff unter Beschuss, auch in diesem Fall könnten die Rebellen aus dem Jemen dahinterstecken.
Die Angriffe sind keine Einzelfälle. Seit Wochen ist die Gefahr für Frachtschiffe in der Region beträchtlich gestiegen. Die jemenitischen Huthi-Rebellen nehmen eine der wichtigsten Seehandelswege ins Visier und attackieren dort offenbar wahllos westliche Schiffe.
Die Angriffe aber sind Teil eines größeren Bilds. Denn nach Beginn des Krieges gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen haben die Huthi-Rebellen wiederum den westlichen Unterstützern Israels den Krieg erklärt. Doch handeln sie auf eigene Faust? Immerhin legt sich die vergleichsweise kleine schiitische Miliz aus dem Jemen momentan mit der größten Militärmacht der Welt, den USA, an. Normalerweise ein Selbstmordkommando.
Doch die Huthi-Angriffe tragen die Handschrift des Iran. Es ist das Mullah-Regime, das die Rebellen im Jemen aufrüstet, im Stellvertreterkrieg gegen Saudi-Arabien.
Huthi nehmen Schiffe ins Visier
Fast täglich fliegen Raketen aus dem Jemen in Richtung der Seestraße zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden, die Rebellen setzen auch Drohnen ein. Die Huthis hatten zuletzt gedroht, künftig Schiffe jeglicher Nationalität ins Visier zu nehmen. Nur Frachtern, die Hilfsgüter für den Gazastreifen lieferten, würde die Durchfahrt gewährt. Alle anderen würden zu "legitimen Zielen unserer Streitkräfte", hieß es von den Rebellen.
Die Angriffe erfolgen mit Drohnen, Marschflugkörpern; mehrfach hat die Miliz in den vergangenen Wochen auch versucht, Schiffe mit Soldaten zu entern. Bisher gab es keine Todesopfer, aber durch die steigende Anzahl von Attacken wird auch eine Eskalation immer wahrscheinlicher.
Die genauen Ziele der Huthi sind allerdings unklar. Fest steht nur: Die Angriffe gegen Frachtschiffe sind nicht nur als Unterstützung der Hamas zu verstehen. Sie sollen auch die Grenzen des US-Militärs testen. Einer Supermacht, die durch die zahlreichen Konflikte in der Welt zunehmend an ihre Belastungsgrenze kommt. Die Huthi-Angriffe bringen Washington nun in eine Zwickmühle. Denn langsam liegen die Nerven blank.
Druck auf Israel und die USA
Im Westen scheint klar, dass die Huthi-Rebellen ohne Zustimmung des Iran keine Angriffe auf westliche Schiffen wagen würden. Sie galten zwar lange Zeit als Miliz, die vor allem für eigene Interessen kämpft, Geld und Waffen allerdings erhält sie aus der Islamischen Republik.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte am Dienstag in Berlin: "Wir gehen davon aus, dass diese Angriffe ohne die langjährige Unterstützung der Huthis durch Iran nicht möglich wären." Sie seien "völlig inakzeptabel" und müssten aufhören. Diese Interpretation kommt nicht von ungefähr. Denn vieles deutet darauf hin, dass der Gaza-Krieg zunehmend zum Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten werden könnte.
"Die Huthi versuchen mit ihren Angriffen, Druck auf Israel auszuüben, um den Gaza-Krieg zu beenden", sagte der ägyptische Politikwissenschaftler Mohammed Ezz Al-Arab der "Tagesschau". "Denn die Huthi gehören zur sogenannten Achse des Widerstands, die für ihren Kampf gegen Israel vom Iran unterstützt wird". Die Huthi-Rebellen wollten außerdem bei den Verhandlungen über eine dauerhafte Friedenslösung im Jemen eine wichtigere Rolle spielen, meinte der Experte.
Es droht ein weiterer Krieg
Doch es ist nicht ganz klar, welche Interessen der Iran aktuell verfolgt. Die islamistische Republik hat nach dem Terrorangriff der Hamas gegen Israel mit über 1.200 Todesopfern zum Kampf gegen den israelischen Staat ausgerufen. Doch einen Krieg mit Israel und den USA gleichzeitig möchten die Mullahs offenbar nicht riskieren. Das iranische Regime weiß wahrscheinlich, dass es militärisch chancenlos wäre. Deswegen wird der Iran selbst nicht militärisch aktiv, lässt die Huthis oder Hisbollah im Libanon angreifen.
Die Angriffe dienen dazu, die Grenzen der Reaktionsfähigkeit der USA zu testen. Die Amerikaner sollen demnach laut der Propaganda der Mullahs in der Region zurückgedrängt werden. Wenn die US-Marine die Handelswege nicht schützen kann, wächst der Einfluss des Iran; Teheran könnte seinerseits als Schutzmacht des Welthandels agieren.
Ob aber dieser Plan aufgeht, ist mehr als fraglich. Experten halten einen bewaffneten Konflikt zwischen den USA und dem Iran mittelfristig für wahrscheinlich. In Washington gibt es vor allem unter den Republikanern eine Fraktion von Hardlinern, die schon viele Jahre für einen Angriff auf den Iran lobbyieren. 2019 hatte sich der damalige US-Präsident Donald Trump nach dem Abschuss einer US-Drohne durch den Iran bereits für einen Angriff entschieden, in letzter Minute aber den Abbruch befohlen.
Die Beziehungen zwischen den USA und dem Iran gleichen also einem Pulverfass. Es bleibt brandgefährlich.
Deutscher Beitrag zu Schutzmission denkbar
Die Angriffe der Huthi-Rebellen kommen für Washington zur Unzeit. Die USA stecken vor allem finanziell momentan tief in drei Konflikten. Die USA sind der größte Geldgeber der Ukraine im Angesicht des russischen Angriffskrieges: Auch Israel im Konflikt mit der Hamas und Taiwan im Ringen mit China werden finanziell und mit militärischem Gerät unterstützt. Das erfordert eine Menge Ressourcen, und das ist auch in den USA umstritten. Die Militärhilfen sind bereits zum Politikum geworden, die Republikaner blockieren derzeit das nächste Hilfspaket für die Ukraine. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr dürften sich diese innenpolitischen Spannungen weiter verschärfen.
Nun wittern vor allem die Feinde der USA darin eine Schwäche der Supermacht. Es gibt in der US-Bevölkerung kaum noch Bereitschaft, sich in einem weiteren Konflikt zu engagieren. Ein Dilemma, denn so lange eine Demonstration der Stärke durch die USA ausbleibt, wirkt der Westen in der Region angreifbar. Davon profitiert der Iran.
Dabei ist die US-Marine in der Region eigentlich gut aufgestellt. Zwei Flugzeugträger plus Flottenverbände hatte US-Präsident Joe Biden ins Arabische Meer und ins östliche Mittelmeer verlegt. Eigentlich ein Zeichen der Abschreckung, das nun aber nicht funktioniert. Ein fatales Signal für den Westen, der eigentlich einen Flächenbrand verhindern möchte.
Auch deswegen wirbt die US-Regierung nun um Unterstützung bei den europäischen Verbündeten, besonders auch von Deutschland. Die Bundesregierung befindet sich aktuell in der internen Abstimmung und für Ampelpolitiker ist eine deutsche Mission durchaus denkbar, wie t-online aus Regierungskreisen erfuhr. Das "Handelsblatt" hatte zuerst darüber berichtet.
Denn fest steht: Auch der deutsche Handel ist durch die Angriffe der Huthi-Rebellen gefährdet. Reedereien schlagen bereits Alarm: "Deutschland und die Europäische Union müssen die Lage sehr ernst nehmen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), Martin Kröger, am Donnerstag in Hamburg. Es müsse sichergestellt werden, "dass die zivile Handelsschifffahrt und insbesondere die Seeleute auf unseren Handelsschiffen nicht in den Konflikt zwischen Israel und der Hamas, den die Huthis als Grund für die Angriffe nennen, hineingezogen werden".
Bereits einen Tag später wurde mit dem Angriff auf ein deutsches Containerschiff offensichtlich, wie real diese Warnungen sind. Verletzt wurde dabei zwar niemand. Aber es war der nächste Warnschuss für den Westen.
- tagesschau.de: "Was steckt hinter den Angriffen der Huthi?"
- spiegel.de: "Huthi bestätigen Angriff auf norwegischen Tanker"
- handelsblatt.com: "USA wollen Deutschland für Marine-Einsatz im Roten Meer gewinnen"
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp