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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schlagabtausch mit Russland Dann fliegen die Fetzen
Beim OSZE-Treffen kommt es zum Schlagabtausch zwischen Russland und dem Westen. Am Ende steht ein Kompromiss, doch die Probleme werden größer.
Erscheinen Vertreter der russischen Führung dieser Tage bei internationalen Treffen oder Konferenzen, wissen viele westliche Regierungen im Vorfeld nicht, was sie zu erwarten haben. Einen Wladimir Putin, der bei einer G20-Konferenz zuletzt über die gemeinsame Verantwortung für Frieden schwadronierte, obwohl er seit dem Februar 2022 die Ukraine angreift. Oder einen Außenminister Sergej Lawrow, der wie beim Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Nordmazedonien Donnerstag und Freitag verbal um sich schlägt. Russland ist für viele Staaten schlichtweg unberechenbar.
Neben der Tatsache, dass Putin mitten in Europa einen Angriffskrieg führt, ist es diese Unberechenbarkeit, die es ungemein schwer für den Westen macht, mit dem Regime des Kremlchefs Kompromisse zu finden. Das gegenseitige Misstrauen und das Eskalationspotenzial sind auf dem Höhepunkt. Doch das ist eben auch ein Dilemma: Denn Russland ist in vielen internationalen Organisationen vertreten, und möchte man die OSZE nicht sprengen, sind Gespräche mit dem Kreml nötig – auch wenn diese dem Westen nicht leicht fallen. Im Gegenteil.
Beim OSZE-Treffen in Skopje flogen nun wieder die Fetzen. Es kam zum Schlagabtausch zwischen westlichen Außenministerinnen und Außenministern wie Annalena Baerbock (Grüne) und Lawrow. Es herrschte Wut, kaum Dialog. Schnell wurde klar: Putin hatte seinen Sprengmeister nach Nordmazedonien geschickt. Selbst der Fortbestand der OSZE stand auf der Kippe.
Diese wurde im Kalten Krieg gegründet, um den Dialog zwischen Ost und West sicherzustellen. Doch in den aktuellen Zeiten russischer Aggression kommt es zu diesem Dialog nicht mehr, die Organisation steckt in einer existenziellen Krise. Denn bei dem wichtigen OSZE-Ministerrat mussten wichtige Entscheidungen über führende Positionen und Gelder für die Organisation getroffen werden.
"Ein perfides Spiel"
Das Treffen in Nordmazedonien wurde schon im Vorfeld zum Possenspiel. Auch Lawrow wurde von den nordmazedonischen Veranstaltern eingeladen, an den offiziellen Arbeitssitzungen durfte der russische Außenminister teilnehmen. Dafür musste der EU-Luftraum für ihn geöffnet werden. Aus Protest sagten die Ukraine, Polen sowie die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland daraufhin ihre Teilnahme ab.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE ist eine 1975 gegründete Organisation mit Sitz in Wien. Ihr gehören die europäischen Staaten, die Türkei, die ehemaligen Sowjetrepubliken, die Mongolei, die USA und Kanada an. Nordmazedonien hat aktuell den jährlich wechselnden Vorsitz inne.
Im Westen wird diese Haltung größtenteils nicht kritisiert. Immerhin sieht sich die Ukraine im Krieg mit Russland zunehmend in der Defensive und erwartet russische Angriffe gegen die eigene Infrastruktur über den Winter. Erneut werden wahrscheinlich zahlreiche Zivilisten sterben und in dieser Situation möchte man sich nicht mit einem Aggressor an einen Tisch setzen.
Für Baerbock, US-Außenminister Anthony Blinken und den Rest der westlichen Unterstützer der Ukraine ging es in Nordmazedonien vor allem darum, die OSZE zu retten. Baerbock kritisierte am Donnerstag: "Das perfide Spiel der russischen Regierung ist und war es eben auch, Organisationen, die auf ein friedliches Miteinander, auf Kooperation setzen, mit dem brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine ebenfalls zu zerstören." Die OSZE stehe wie kaum eine andere Organisation für die Sicherheit von mehr als 1,3 Milliarden Menschen. Die Grünen-Politikerin weiter: "Die OSZE zu retten bedeutet, unser Volk zu schützen. Das ist unsere Verantwortung."
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Viel Schlagabtausch, kaum Dialog
Doch die Rettung wurde zur Mammutaufgabe. In der OSZE können Beschlüsse nur einstimmig beschlossen werden. Ein neuer Vorsitz, der Posten der Generalsekretärin und andere leitende Positionen, der OSZE-Haushalt. Russland und Belarus konnten all diese Entscheidungen blockieren. Und warum sollte der Kreml nicht? Immerhin untergräbt Putin durch seinen Angriffskrieg aktuell die europäische Friedensordnung.
Eben so trat auch der russische Außenminister Lawrow in Skopje auf. Er machte am Donnerstag deutlich, dass die tiefe Krise der OSZE aus Russlands Sicht allein Schuld westlicher Staaten sei. "Die OSZE wird zu einem Anhängsel der Nato und der Europäischen Union. Die Organisation steht am Rande des Abgrunds", ergänzte er. Die "westliche Politikelite" habe sich für die östliche Nato-Erweiterung und somit gegen die OSZE entschieden.
Es ist das bekannte russische Narrativ: Die russische Führung greift die Ukraine an, aber die Schuld soll der Westen haben. Damit machte Lawrow deutlich, dass Russland nicht unbedingt eine Zukunft für die OSZE sehen würde – eine klare Drohung. Zudem gab es am ersten Tag des Treffens der Außenministerinnen und Außenminister keine Anzeichen dafür, dass Russland seine Blockade aufgibt. Stattdessen knallte es weiter.
Während Lawrows Rede verließen viele westliche Vertreter aus Protest den Saal. Die meisten Unterstützer der Ukraine teilten in ihren Wortbeiträgen heftig gegen Russland aus. "Krieg und Zerstörung sind Russlands Wahl. Man muss daran erinnern, dass Russland diesen Krieg jederzeit beenden könnte", sagte etwa die finnische Außenministerin Elina Valtonen. Auch Baerbock forderte Russland erneut dazu auf, den Krieg zu beenden.
Ungarn sorgt für Missmut
Lawrow reagierte, wie er das in den vergangenen zwei Jahren oft getan hatte. Er blickte zunächst während der Wortbeiträge stoisch auf ein Blatt, für den Großteil der Reden verließ er einfach den Verhandlungsaal.
Der Kreml weiß natürlich, dass er auf keiner internationalen Bühne viele Unterstützer für seinen Angriffskrieg finden wird. Doch darum geht es aus russischer Perspektive auch nicht. Putin möchte den Westen spalten – und teilweise gelingt ihm das: "Die Waffenlieferungen haben den Krieg verlängert. Und wir brauchen keinen Krieg, wir brauchen keine Waffen in der Region", sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. "Was wir brauchen, ist Frieden", so Szijjarto. Dazu sei es wichtig, die Kommunikationskanäle offen zu halten.
Über diese Positionen freut man sich in Moskau. Immerhin sagt Ungarn damit auch, dass es die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine nicht nur bei Russland sieht. Am Rande des OSZE-Ministerrats traf sich Szijjarto dann zu einem bilateralen Gespräch mit Lawrow. Zuvor hatte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán Putin im Oktober in Peking getroffen. Für den Westen wird das zunehmend zur Belastungsprobe. Und für die OSZE ist es ein weiterer Warnschuss.
Am Freitag einigten sich die 57 OSZE-Staaten doch noch auf einen Kompromiss. Malta wird den Vorsitz der Organisation übernehmen, das wurde schon am vergangenen Montag klar. Aber auch die deutsche Diplomatin Helga Schmid wird vorerst weiter die OSZE leiten können. Die Einigung sieht vor, dass Schmids Vertrag als Generalsekretärin um neun Monate verlängert wird. Die gleiche Lösung wurde für die drei OSZE-Vertreter für Minderheiten, Pressefreiheit sowie Demokratie und Menschenrechte gefunden.
Lawrows Spitze zum Ende des Treffens
Die Bundesregierung zeigte sich erleichtert, dass die Arbeitsfähigkeit der OSZE gesichert sei, erfuhr t-online aus Regierungskreisen. Nordmazedoniens Außenminister Bujar Osmani, als OSZE-Vorsitzender, feierte den Kompromiss als "historisch".
Das ist er nicht. Denn zuletzt wurden Posten in der OSZE für drei Jahre vergeben, nicht nur für wenige Monate. Die Organisation erhält nun eine Verschnaufpause, doch bereits im kommenden Jahr droht erneut Streit. Diese Strategie passt allzu gut in Putins Spielbuch, der damit schon 2024 wieder eine Gelegenheit bekommen wird, den Westen zu destabilisieren.
So sendet auch Lawrow zum Abschied beim OSZE-Ministerrat in Nordmazedonien noch eine Spitze gegen den Westen. Er warf dem Westen "Feigheit" vor, weil er direkten Gesprächen mit der russischen Seite zum Krieg in der Ukraine aus dem Weg gegangen sei. Sowohl US-Außenminister Antony Blinken als auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell seien bereits abgereist, sagte Lawrow bei einer Pressekonferenz am Freitag in Skopje. "Sie glauben wahrscheinlich, dass sie damit ihre Absicht unterstreichen, Russland zu isolieren. Aber ich finde, dass sie einfach feige sind, sie haben Angst vor jedem ehrlichen Gespräch mit Fakten", behauptete Lawrow.
Auch das ist eine riesige Inszenierung: Einerseits ist Russland die Kriegspartei, die für Gespräche zunächst einmal etwas auf den Verhandlungstisch legen muss. Andererseits war es ausgerechnet Lawrow, der sich seit Beginn des Krieges so früh wie möglich etwa von G20-Gipfeln verabschiedete, um diesen Gesprächen zu entgehen. Somit wird aus westlicher Perspektive auch das OSZE-Treffen in Skopje wieder einmal zum Schaubild der russischen Entfremdung von der Realität.
- derstandard.de: Maltas OSZE-Vorsitz 2024 und drei Spitzenposten nach Streit fixiert
- tagesschau.de: "Die Organisation steht am Rande des Abgrunds"
- zdf.de: Russland stellt Organisation der OSZE in Frage
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP