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Zum journalistischen Leitbild von t-online.China in der Krise Der Riese taumelt gewaltig
Chinas Wirtschaft steckt in der Krise. Eigentlich wollte Präsident Xi Jinping die USA als Weltmacht überholen, aber plötzlich ist von Niedergang die Rede. Die Gründe dafür reichen von der Corona-Pandemie bis hin zu Wladimir Putin.
Es herrscht schon wieder Alarmstufe Rot in China. Erneut verbreitet sich eine mysteriöse Lungenerkrankung in der Volksrepublik. Die Angst ist groß, vor allem Kinder stecken sich an, müssen mit Lungenentzündungen in Krankenhäuser eingeliefert werden. Doch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt Entwarnung, und auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht keinen neuen Erreger als Grund für die Erkrankung. Trotzdem kündigte die chinesische Führung Maßnahmen an, etwa verschärfte Grenzkontrollen.
Nach dem Corona-Schock in China sitzt die Angst bei der Regierung in Peking noch tief. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt leidet noch immer unter den Folgen der Corona-Pandemie und langen Lockdowns – eine Zeit, in der die chinesische Führung Millionen Menschen in ihren Häusern und Wohnungen einsperrte und in der viele wirtschaftliche Existenzen zerstört wurden.
Bislang konnte sich China noch nicht wirklich von der Pandemie erholen: Das chinesische Wirtschaftswachstum verlangsamt sich. Für die ambitionierte Supermacht wird das zunehmend zum Problem. Der Riese taumelt, vieles läuft schief. Das hat nicht nur mit den Folgen der Pandemie zu tun: Viele Chinesinnen und Chinesen vertrauen ihrer Führung und ihrem Präsidenten Xi Jinping nicht mehr.
Xi steht unter Druck
"Wenn Sie durch die Straßen in China gehen, sehen Sie viele geschlossene Geschäfte und Firmen und das trägt zur schlechten Stimmung im Land bei", sagte der China-Experte Klaus Mühlhahn im Interview mit t-online Anfang November. Es sei "erschütternd", die Stimmung schlecht, die Kritik an der Führung groß. Der Sinologe weiter: "Es fehlen ausländische Investitionen durch die aktuellen globalen Krisen."
Viele internationale Wirtschaftsexperten wurden von der Entwicklung Chinas nach der Pandemie durchaus überrascht. Die Welt rechnete nach dem Ende der Corona-Lockdowns in der Volksrepublik mit einer schnellen Erholung der chinesischen Wirtschaft, mit starkem Wachstum und mit einem rasanten Zuwachs des chinesischen Außenhandels. Doch das blieb bisher aus. Stattdessen diskutieren Ökonomen weltweit über den möglichen Niedergang der chinesischen Wirtschaft.
Auf den ersten Blick hat die chinesische Führung diese wirtschaftliche Talfahrt gestoppt. Von Januar bis Ende September wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt aufs Jahr gerechnet um 5,2 Prozent, so das Statistikamt in Peking. Damit scheint das von der chinesischen Führung angestrebte Wachstumsziel von 5 Prozent zum Jahresende durchaus erreichbar.
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Doch das Wachstum ist geschönt. Die chinesische Führung hatte mit einer Reihe von Maßnahmen versucht, den Absturz zu stoppen. Dazu gehörten Zinssenkungen durch die Zentralbank, verbilligte Kredite und finanzielle Unterstützung vor allem für Unternehmen des Immobiliensektors. Denn das Land steckt auch in einer Immobilienkrise: Wer heute durch chinesische Metropolen fährt, sieht viele Bauruinen – verwahrloste Gebäude, an denen nicht weitergebaut wird, wie Beobachter t-online berichten.
Hinzu kommt ein Rückgang des Außenhandels: Die chinesischen Exporte sanken im Oktober auf 274,8 Milliarden US-Dollar – knapp 8 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Außerdem steigt die Jugendarbeitslosigkeit in der Volksrepublik auch nach dem Ende der Lockdowns immer weiter an.
Verzweiflungsakt der chinesischen Führung
In China geht man nicht von einem Ende der Wirtschaftskrise aus. Die Führung greift daher zu anderen Mitteln: Um westliche Investoren anzulocken, können Bürger aus sechs Ländern, darunter Deutschland, ab Dezember visumfrei einreisen – das gilt für Geschäftsreisende und Touristen.
Das ist durchaus eine 180-Grad-Wende in der chinesischen Politik. Während die eigene Bevölkerung mit immer schärferen Überwachungsmaßnahmen konfrontiert ist, gibt die chinesische Führung nun ein wichtiges Überwachungsinstrument auf und lässt Menschen ohne Visum ins Land. Ein Verzweiflungsakt, der die gegenwärtige Dimension der Krise dokumentiert.
Klar: Es ist gut für die friedliche Koexistenz, wenn China und der Westen sich annähern. "Es ist positiv, dass die Behörden Schritte unternehmen, um den zwischenmenschlichen Austausch zu erleichtern", schreibt etwa die Europäische Handelskammer in China in einer Stellungnahme. "Dies ist eine spürbare und praktische Verbesserung, die auch das Vertrauen der Unternehmen stärken wird." Aber geplant war das von chinesischer Seite nicht.
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Präsident Xi Jinping hatte die Corona-Pandemie auch dazu genutzt, seine Bevölkerung vom westlichen Einfluss abzuschotten. Grenzen wurden geschlossen, internationale Medien erhalten nur noch schwer Akkreditierungen, ausländische Unternehmen haben in China Wettbewerbsnachteile gegenüber chinesischen Firmen. Deutlich wurde diese Strategie zum Beispiel bei den Olympischen Winterspielen 2022 in China: Dort achtete die chinesische Führung darauf, die eigene Bevölkerung von internationalen Gästen zu trennen und möglichst wenig Kontakt zu ermöglichen.
Ideologie vor Wirtschaft
Nun rudert Xi zurück. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ihn ein großer Teil der chinesischen Bevölkerung persönlich für die Wirtschaftskrise verantwortlich macht. Und auch innerhalb der Kommunistischen Partei scheint der Unmut zu wachsen. Denn die wirtschaftliche Entwicklung ist das Fundament des chinesischen Wohlstands und durch den Aufstieg des Landes zur zweitgrößten Volkswirtschaft hat sich eine Mittelschicht gebildet. Die Menschen haben plötzlich etwas zu verlieren.
"Viele Menschen in China haben das Gefühl, dass Xi seine Macht und seine ideologischen Ziele wichtiger sind als das Wachstum der chinesischen Wirtschaft", sagte Experte Mühlhahn, der in vergangenen Monaten öfters nach China gereist ist. "Das sorgt für Misstrauen und Enttäuschung. Ein Bekannter sagte zu mir, dass China dabei gewesen sei, Europa und die USA wirtschaftlich zu überholen, aber das sei im Grunde von Xi kaputt gemacht worden." Den Menschen in China sei klar: Unter Xi werde es keine positive Entwicklung mehr geben.
Eben dort liegt das grundlegende Problem für Chinas Wirtschaft – es ist Xis Ideologie. Der Präsident hat eine Vision von einem chinesischen Sozialismus, der durch den ideologischen Konflikt mit den USA geprägt ist. Für ihn gilt: Ideologie vor Wirtschaft. Die Corona-Pandemie oder der Handelskrieg mit den USA waren dagegen vor allem Brandbeschleuniger der Krise. Das erklärt, warum die Wirtschaftskrise in China nicht abflaut, solange Xi seine Strategie nicht ändert.
Xi setzt also auf staatliche Investitionsinitiativen anstatt auf eine weitere Liberalisierung des chinesischen Marktes. Damit erstickt er zunehmend die Privatwirtschaft. Denn im Ringen mit dem Westen sieht er eine Stärkung des Binnenmarktes als eine große Gefahr an. Somit schottete er sein Land ab und nahm die wirtschaftliche Stagnation in Kauf, um die Konsumentenbasis in China zu schwächen.
Westliche Unternehmen gehen auf Distanz
Für viele Chinesinnen und Chinesen ist das unverständlich, denn die Volksrepublik war schon einmal deutlich liberaler. Vor der Machtübernahme Xis hoffte ein großer Teil der chinesischen Bevölkerung darauf, dass die Rolle der Privatwirtschaft weiter steigen würde. Sie warten bis heute. "Alle Chinesen verdienen die gleichen Chancen, ein Leben in Wohlstand zu genießen, ihre Träume wahr werden zu sehen und gemeinsam von der Entwicklung des Landes zu profitieren", erklärte Xi in seiner ersten Rede als Präsident 2013.
Doch Xis Misstrauen gegenüber entfesselten Privatunternehmen ist groß. Er glaubt, dass die Kontrolle der Kommunistischen Partei über China nur dann weiter möglich ist, wenn die sozialistische Ideologie innerhalb der Partei und der Gesellschaft weitgehend lebendig bleibt. Das führt dazu, dass er westliche Werte als Gefahr wahrnimmt. Für sein Land wird das zum grundsätzlichen Problem.
Denn der ideologische Kampf des chinesischen Präsidenten führt dazu, dass immer mehr westliche Unternehmen Teile ihrer Produktion aus China abziehen. Auch die Bundesregierung – noch immer politisch traumatisiert durch den russischen Überfall auf die Ukraine und dessen Folge für die deutsche Wirtschaft – wirbt für eine Diversifizierung der China-Geschäfte deutscher Unternehmen. Xi dagegen unternimmt dagegen wenig, er steckt in der Falle seiner eigenen Ideologie.
Xi glaubt nicht, die chinesische Privatwirtschaft stärken zu können, ohne sein politisches System zu schwächen. Ein Dilemma. Deswegen verbündet sich China im systemischen Kampf gegen den Westen mit Ländern wie Russland und dem Iran. Denn auch Staatschefs wie Russlands Präsident Wladimir Putin sehen westliche Werte als Bedrohung für die Stabilität des eigenen Regimes.
China befindet sich also in einem Teufelskreis. Xis Bündnisse und die aggressive Rhetorik der chinesischen Führung gegenüber dem Westen führen dazu, dass immer mehr westliche Unternehmen ihre Investitionen in China zurückfahren. Die Folgen für die chinesische Wirtschaft sind verheerend. Andererseits wäre eine Steigerung des Konsums in China für Xi eine ideologische Kapitulation vor dem Westen. Das wäre für das Regime noch gefährlicher als die gegenwärtige wirtschaftliche Stagnation.
- tagesschau.de: Chinas Boom im Pausenmodus
- foreignpolicy.com: The Maoist Roots of Xi’s Economic Dilemma (englisch)
- zeit.de: Die chinesische Wirtschaft in der Krise
- tagesschau.de: Chinas Außenhandel schrumpft weiter
- foreignaffairs.com: China’s Path to Power Runs Through the World’s Cities (englisch)
- deutschlandfunk.de: Anders als Corona
- foreignaffairs.com: Who Killed the Chinese Economy? (englisch)
- welt.de: Dieser Schritt offenbart, wie katastrophal es um Chinas Wirtschaft wirklich steht