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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vom Händler zum Käufer Russland gehen die Waffen aus
Russlands Rolle als Großexporteur von Rüstungsgütern schrumpft. Bei einigen Ländern aber steigert der Kreml seine Exporte – aus strategischen Gründen.
Vor dem Krieg gegen die Ukraine war Russland der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt – nach den USA. 16 Prozent aller Waffenverkäufe entfielen auf russische Unternehmen, das berühmt-berüchtigte Sturmgewehr AK-47 und die Panzerfaust RPG-7, beide aus russischer Produktion, sind weltweit die am meistverkauften ihrer Art, schreibt das US-amerikanische Zentrum für Marineanalysen (CNA) in einem Lagebericht. Die russischen Waffen sind bei Soldaten wie Terroristen gleichermaßen beliebt und gelten als im Krieg zuverlässig und vergleichsweise günstig in der Anschaffung. Das AK-47 hat es sogar auf die Nationalflagge Mosambiks geschafft.
Doch seit Beginn der Vollinvasion wandelt sich Russlands Marktposition: Russland wird zunehmend abhängig von ausländischen Waffenlieferungen. Seine besten Kunden ziehen sich zurück und setzen zunehmend auf eigene Produktion. Und: Einen großen Teil seiner Waffen braucht Russland selbst, auch weil sich bislang kein Ende im Krieg abzeichnet, der nun schon mehr als eineinhalb Jahre dauert.
Das CNA, ein vom Weißen Haus in Washington finanzierter Thinktank, schreibt in einem Bericht, dass von 2013 bis 2022 knapp zwei Drittel aller russischen Waffenexporte an nur drei Kunden gingen. Neun Prozent der russischen Waffenverkäufe gingen an Ägypten, 23 Prozent an China und 31 an Russlands besten Kunden Indien. Allein in den letzten fünf Jahren hat Indien militärische Ausrüstung im Wert von mehr als 10 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 9,2 Milliarden Euro) gekauft, schreibt das CNA und beruft sich auf die russische Nachrichtenagentur Interfax.
Chinesisches Schießpulver für 80 Millionen Schuss Munition
Genaue Zahlen über seine Verkäufe hält Russland seit dem Krieg in der Ukraine geheim, aber klar ist: Schon vor 2022 war die Einkaufslust seiner Großabnehmer gesunken – ein der CNA zufolge harter Einschnitt für den Kreml, da Indien und China seit Beginn der Sanktionen 2022 die "Lebensader der russischen Wirtschaft" seien.
Russland werde nicht nur politisch und zivilwirtschaftlich, sondern auch in der Rüstungswirtschaft zum Juniorpartner des Reichs der Mitte, schreibt das CNA. Vor allem im Bereich der Mikroelektronik sei Russland schwer abhängig von chinesischen Lieferungen. Denn noch 2021 importierte Russland aus den USA Halbleiter und Mikrochips im Wert von 114 Millionen US-Dollar, umgerechnet 104 Millionen Euro. Aufgrund der westlichen Sanktionen muss Russland seinen Elektronikbedarf nun anderweitig decken und wendet sich dabei an China. Peking hat Moskau 2022 Mikroelektronik im Wert von 500 Millionen US-Dollar verkauft (460 Millionen Euro).
Auch die Sonderwirtschaftszone Hongkong habe ihre Halbleiterexporte nach Russland auf einen Umfang von 400 Millionen Dollar (368 Millionen Euro) verdoppelt. Zudem habe China Russland genug Schießpulver zukommen lassen, um 80 Millionen Schuss Munition herzustellen.
China als Kunden habe Russland bislang noch vergleichsweise gut bedienen können, denn China verlange nach Rüstungsgütern, von denen Russland im Krieg bisher eher wenige ersetzen musste: Flugzeugmotoren, Luftabwehr, U-Boot-Technologie und schwere Helikopter. Aber auch China setzt laut CNA mehr und mehr auf Eigenproduktion.
Zuckerbrot und Peitsche für Ägypten
Russlands Exportrückgänge nehmen dem CNA zufolge auch deswegen weiter zu, weil die besten Kunden des Kremls unabhängiger werden wollen und mehr Waffen selbst herstellen. Für die Modernisierung seiner Armee braucht etwa Indien Sturmgewehre vom Typ AK-203, einer der neuesten Variante des AK 47 aus Russland. Im Rahmen seines "Make in India"-Programms kooperiert Indien zwar mit russischen Unternehmen, produziert aber zu Hause. Von den 670.000 benötigten Gewehren kamen nur 70.000 aus Russland, den Rest will Indien selber produzieren, berichtet der indische Nachrichtensender Zeenews.
Ähnliches gilt für Ägypten. Außerdem wird Ägyptens Rüstungspolitik von einer sogenannten Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik der USA unter Druck gesetzt. Auf der einen Seite sanktionieren die USA jedes Land, das Waffen des Kremls kauft. Auf der anderen haben die Vereinigten Staaten im Februar angekündigt, Ägypten jährlich 1,3 Milliarden US-Dollar (1,2 Milliarden Euro) Militärhilfe zukommen zu lassen.
Andere Staaten wollen Russlands Lücke füllen
Beim Handel mit anderen afrikanischen Staaten steckt Russland dem CNA zufolge in der Bredouille, denn die dortigen Kunden verlangen nach genau den Militärgütern, von denen Russland im Ukrainekrieg am meisten verloren hat: gepanzerte Fahrzeuge und leichte Artillerie. Insgesamt waren die Exporte nach Afrika schon bis 2022 um zwölf Prozent zurückgegangen.
In Subsahara-Afrika sieht die Lage anders aus, denn dort will Russland den Einfluss ehemaliger westlicher Kolonialmächte wie Frankreich zurückdrängen. Im Süden der größten Wüste der Welt habe Russland daher China im März 2023 als größten Waffenverkäufer abgelöst, schreibt das CNA. Die größten Abnehmer dort seien Angola, Nigeria und Mali; in letztgenanntem Land ist seit einiger Zeit die Wagner-Söldnertruppe aktiv.
Russland kann seine Waffen also nur nach strategischen Gesichtspunkten verkaufen, aber kaum noch nach ökonomischen. In die Lücke, die Russlands Exportrückgang hinterlässt, stoßen nun andere vor, hält das CNA fest: Frankreich und die Türkei seien schon im Begriff, ehemalige Kunden des Kremls zu bedienen.
- cna.org: "Weakened But Never Alone: Russia’s Evolving Arms Market and Customer Base" (englisch)
- zeenes.india.com: "Russia delivers all the contracted 70,000 AK203 assault rifles to India" (englisch)