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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbocks Mission im Kaukasus Der Schock sitzt tief
Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan steht im Schatten der Krisen in Israel und in der Ukraine. Nun geht es für Annalena Baerbock im Kaukasus darum, weitere Eskalationen zu verhindern.
Es ist ein Mahnmal des Schreckens und ein Ort, an dem Besucherinnen und Besucher für kurze Zeit den Atem anhalten. Der Denkmalkomplex Zizernakaberd in Eriwan erinnert an den Völkermord, bei dem von 1915 bis 1918 Hunderttausende Armenier in der heutigen Türkei getötet wurden.
Für Außenministerin Annalena Baerbock ist der Besuch und das Gedenken an die Opfer zu Beginn ihrer Kaukasus-Reise ein Pflichttermin. Die Grünen-Politikerin platziert einen Blumenkranz am Mahnmal, hält kurz inne, geht dann weiter zur ewigen Flamme.
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An der Seite des Komplexes ist die Mauer des Schweigens zu sehen. In das Mauerwerk wurden die Namen der ehemaligen armenischen Städte und Dörfer in der Türkei gemeißelt. Baerbock lässt sich auf der anderen Seite die Namen derer zeigen, die im Zuge des Völkermordes die Armenier unterstützten. Diese Mauer ist auch eine Erinnerung daran, dass bis heute die Türkei den Völkermord nicht anerkennt. Die Armenier sind allerdings nicht nur mit dem Schweigen in der Vergangenheit konfrontiert, auch in der Gegenwart wachsen die Existenzsorgen.
Der Schock in Armenien sitzt tief. In den vergangenen Monaten hatte Aserbaidschan die Republik Bergkarabach angegriffen. Völkerrechtlich gehört die Region zu Aserbaidschan, doch überwiegend Armenier hatten ihre Heimat dort. Aus Angst vor ethnischen Säuberungen sind viele der Bewohner nach Armenien geflohen – es sollen mittlerweile mehr als 100.000 Vertriebene sein. Und in Armenien stellt sich die Frage, ob das dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew genügt.
Rückzug Putins wird zum Problem
Klar ist: Aserbaidschan ist Armenien militärisch deutlich überlegen. Dazu hat sich Russland aus der Region teilweise zurückgezogen und der Türkei die Rolle der regionalen Ordnungsmacht überlassen. Das macht die Mission im Kaukasus für Baerbock heikel, es wird ein Spagat zwischen zwei Welten: In Armenien muss sie Empathie zeigen, in Aserbaidschan dagegen verdeutlichen, dass Deutschland einen Angriff auf Armenien nicht akzeptieren wird.
Die Bundesregierung sitzt dabei in einer Zwickmühle. Eigentlich möchte sie mit Aserbaidschan wirtschaftlich noch enger zusammenarbeiten. Berlin hofft nach dem Wegfall russischer Energieimporte zum Beispiel auf Erdöl aus dem Kaukasus-Staat. Eine Eskalation der Lage wäre vor allem eines: nicht im deutschen Interesse.
Das wird auch beim Treffen der Außenministerin mit ihrem armenischen Amtskollegen Ararat Mirsojan am Freitagnachmittag in Eriwan deutlich. Natürlich wünscht sich Armenien mehr deutsche Unterstützung. Deutlich wird allerdings auch, dass die Bundesregierung kein Interesse daran hat, sich in dem Konflikt auf eine Seite zu stellen. "Wir stehen zur territorialen Integrität von Armenien und Aserbaidschan", betonte Baerbock auf der Pressekonferenz mehrfach. Den aserbaidschanischen Präsidenten Alijew zu verprellen, das will und kann man sich offenbar nicht leisten.
Doch ist Alijew als wirklich so viel besser als Putin? Ersetzt Deutschland beim Rohstoffkauf nicht lediglich einen gewaltbereiten Despoten durch einen anderen? In Armenien sind die Antworten auf diese Fragen klar, doch auch die armenische Führung ist in einer Zwickmühle. Sie braucht die Unterstützung der EU und Deutschlands. Deshalb wird jede Hilfe gern angenommen, unabhängig davon, wie klein sie sein mag. Immerhin brachte die deutsche Außenministerin weitere Entwicklungshilfe mit. Dafür ist man hier in Eriwan sehr dankbar.
Militärisches Ungleichgewicht
Primär ist Baerbock allerdings in der Region, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Das bestätigt auch Mirsojan. Die jüngsten Entwicklungen im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan lassen zumindest Zweifel an dieser Strategie zu. Immer wieder kommt es zu Grenzscharmützeln. Alijew befeuerte außerdem den Nationalismus in seinem Land. In Militärkleidung kniete er im Oktober in der Hauptstadt Bergkarabachs, Stepanakert, küsste dabei die aserbaidschanische Flagge. Dann ließ er es sich nicht nehmen, die Fahne von Bergkarabach mit Füßen zu treten. Er nährt den Mythos über die Befreiung der Bergregion, ähnlich wie Putin nach der Annexion der Krim 2014.
Diese Gemengelage macht die Situation brandgefährlich. Der gegenseitige Hass zwischen den Bevölkerungen in Armenien und Aserbaidschan befindet sich aktuell auf einem Höhepunkt. Dazu ist Russland – die eigentliche Schutzmacht Armeniens – massiv durch seinen Angriffskrieg in der Ukraine geschwächt. Moskau hat deswegen seit einigen Monaten einen Strategiewechsel vollzogen: Russland gibt sich zwar noch immer als Bewahrer des Friedens, baut aber gleichzeitig seine Beziehungen zu Aserbaidschan aus und überlässt der Türkei im Südkaukasus das Feld. Und diese steht eindeutig an der Seite ihres Brudervolkes Aserbaidschan.
Während die armenische Armee vor allem mit Waffen aus alten Sowjetbeständen kämpfen muss, stattete die türkische Führung die aserbaidschanische Armee mit moderner Technologie aus, trainierte sie teilweise nach Nato-Standards. Das militärische Ungleichgewicht im Südkaukasus wird zuungunsten Armeniens immer größer.
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Etappenweise Eskalation ist eine Gefahr
Die Ordnungsmacht Türkei forciert in der Region vor allem ihre eigenen Interessen – und die lassen sich nicht unbedingt mit Frieden verbinden. Erdoğan träumt von einer Landverbindung zum kaukasischen Meer und – ähnlich wie schon einige türkische Führer vor ihm – von einer Einheit der Turkvölker. Unwahrscheinlich ist es nicht, dass Aserbaidschan irgendwann versuchen wird, armenisches Territorium zu erobern, um eine Landbrücke zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan – und damit auch zur Türkei – zu schaffen.
Damit hätte auch die Türkei ihr strategisches Ziel erreicht. Erdoğan verfolgt eine Strategie der etappenweisen Eskalation. Der Hintergrund: Eine bewaffnete Auseinandersetzung darf nicht so groß werden, dass sie zu viel Aufmerksamkeit aus dem Westen hervorruft. Bislang ist das gelungen. Der Zeitpunkt des aserbaidschanischen Angriffs auf Bergkarabach war strategisch gewählt. Denn der Westen richtet seine Aufmerksamkeit auf den Krieg in der Ukraine.
Armenien tut das Einzige, was nach dem Wegfall der russischen Ordnungsmacht bleibt: Es versucht, die Beziehungen zur Türkei zu verbessern. Ob das ausreicht, um Erdoğan von seinen geopolitischen Plänen abzubringen, ist zumindest fraglich.
Schwierige Mission für Baerbock
Armenien steht dieser Übermacht relativ schutzlos gegenüber. Erschwerend kommt hinzu, dass die Krise in Bergkarabach für das Land ein Spaltpilz ist. Nationalistische Kräfte fordern von der Regierung, die Region als Heimat von Armeniern zu schützen und werfen ihr Tatenlosigkeit vor. Es gibt Proteste, sogar ein Anschlag auf die Regierung wurde laut Angaben des Geheimdienstes am Donnerstag verhindert.
Baerbock kommt nun in einer Zeit in den Südkaukasus, in der die Lage in der Region noch unruhiger ist als ohnehin schon. Sicherheitsgarantien für Armenien wird und kann Deutschland nicht geben. Bei ihrem Besuch geht es mehr darum, Mitgefühl zu zeigen. Vor allem für die Menschen, die aus Bergkarabach fliehen mussten. Bei einem Besuch einer Friedensmission der Europäischen Union macht sie sich außerdem ein Bild darüber, welche Rolle die EU beim Erhalt von Frieden spielen kann.
Wichtiger für den Friedenserhalt ist allerdings der zweite Tag ihrer Reise. Dann wird die deutsche Außenministerin in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku erwartet. Die Gasgeschäfte sind vielleicht der effektivste Hebel, den Deutschland hat, um Einfluss auf Aserbaidschan auszuüben.
Auch wenn die Strategie "Wandel durch Handel" im Angesicht des russischen Angriffskrieges in Europa überholt scheint: Schweigen ist auch für Deutschland keine Option, besonders in Anbetracht der armenischen Geschichte. Der Besuch der Außenministerin trägt zumindest dazu bei, dass der Konflikt im Kaukasus international gesehen wird. Und das ist besonders für Armenien von existenzieller Bedeutung.
- Begleitung von Außenministerin Baerbock