Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Russland im Krieg Darum ist Putins "Geldsegen" mörderisch
Russland wird von Russen bewohnt, heißt es immer wieder. Das stimmt so nicht, fast 200 Ethnien leben in dem Riesenland. Putins Armee nutzt die Armut vieler Völker aus, meint Wladimir Kaminer.
Offiziell hießen die Einwohner meiner alten Heimat Sowjetunion "das große sowjetische Volk". Von der Staatsführung wurde dieses Volk wie eine Person behandelt, eine Person, die brav in Richtung Kommunismus marschierte. Diese Haltung wurde in zahlreichen sowjetischen Witzen und Anekdoten verlacht: "Der Generalsekretär Breschnew kehrt aus Kuba zurück und erzählt: Unser Genosse Fidel Castro hat mir zwei Zigarren gegeben, die eine für mich und die andere für das große sowjetische Volk".
In Wahrheit waren es Hunderte Völker, verteilt über ein riesiges Territorium, rund einem Sechstel der Erde. Die meisten haben einander nur im Fernsehen einmal gesehen, eine kubanische Zigarre überhaupt nie in ihrem Leben. Auch nach Auflösung der Sowjetunion und dem Ausscheiden von 14 Republiken war Russland ein Vielvölkerstaat geblieben, nur eben nach den "Verlusten" nicht mehr ein Sechstel, sondern ein Neuntel der Erde groß, aber immerhin.
Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neues Buch "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".
Offiziell bewohnen heute 190 Ethnien Russland. Burjaten und Udmurten, Baschkiren und Tataren, Chanten und Mansen, Tscherkessen und Abasinen – sie alle wurden aber von der Außenwelt nie als eigenständige Völker wahrgenommen. Für den Westen waren sie schon immer alle "Russen", und die gab es in zwei Varianten: reiche und arme. Durch den Krieg sind sie alle arm dran.
Meine linken Freunde in Deutschland fragen mich oft, ob es stimmt, dass der von Russland gegen die Ukraine geführte Krieg auf Kosten der armen Bevölkerungsschichten ausgetragen wird, während die Reichen, die Oligarchen, vom Krieg nur profitieren. Das kann ich nicht bestätigen. Der Krieg, von der russischen Führung in überheblicher Blindheit angezettelt, breitete sich wie ein großes Unglück über alle Bevölkerungsschichten aus. Ob alt oder jung, reich oder arm, jeder bekommt sein Fett ab.
Verbindung zu Baden-Baden
Neulich sprach ich mit Einheimischen in Baden-Baden, die Stadt ist nach wie vor voller Russischsprachiger – wobei nicht auf den ersten Blick zu unterscheiden ist, ob es sich um hier lebende Menschen aus Russland oder geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer handelt. Die Russen hatten schon immer eine innige Beziehung zu Baden-Baden. Seit der russische Zar Alexander I. eine badische Prinzessin heiratete und regelmäßig mit großem Gefolge Baden-Baden besuchte, gehörte es für die russischen Eliten zum guten Ton, eine Immobilie in Baden-Baden zu erwerben, um ihre Nähe zur Macht zu demonstrieren.
Während der späteren, siebzig Jahre währenden kommunistischen Herrschaft waren die Russen der Stadt dann ferngeblieben. Doch Putins handgemachte Oligarchen haben diese Tradition fortgesetzt, sehr zur Freude des badischen Einzelhandels. Denn die Russen geizten nicht in Baden-Baden. Man sah diesen neuen Reichen an, dass sie ihr Geld nicht im Schweiße ihres Angesichts verdient und sich deswegen leicht wieder davon getrennt haben.
Die schicken Slipper aus der Haut von blauen Leguanen, 5.000 Euro das Paar, gingen wie frischgebackene Brötchen über die Theke. Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass ein Russe in der Fußgängerzone eine ganze Einrichtung aus dem Schaufenster mitgenommen hat, ohne auf die Preisschilder zu achten. Damit war mit Beginn des Krieges Schluss: Seit die Sanktionen gegen Russland auch Privatkapital einfroren, können die reichen Russen keine Geschäfte mehr tätigen, sie dürfen Immobilien auf gesetzlichem Weg weder verkaufen noch erwerben.
Nun versuchen die reichen Ukrainer (auch solche Menschen gibt es), die russischen Immobilien zu übernehmen. Nicht umsonst munkelt man, dass die Reichen keine Solidarität kennen. Und die armen Russen, vor allem die Vertreter der im Westen unbekannten kleinen Völker, verkaufen ihre Kinder an die Armee. Noch nie hat der russische Staat so großzügig Geld für Kinder ausgegeben. Nun allerdings, um sie zu töten.
Blutiges Geld
Für jeden Jungen, der einen Kontrakt mit der Armee unterschreibt, werden Gelder versprochen, die zu Friedenszeiten in den armen, abgelegenen Gegenden Russlands, bei den Burjaten, Udmurten, Chanten und Mansen, nicht einmal im Traum vorkamen. Für eine kriegsbedingte Verletzung, je nach Grad der Komplikation, wird man zusätzlich entschädigt. Und hat somit die Chance, mit einer Kugel im Hintern und einer vernünftigen Kriegsrente zurückzukehren.
Doch der wirkliche "Jackpot" wird der Familie eines getöteten Soldaten ausgezahlt. Die Familie bekommt eine Summe, die der Getötete nicht einmal in hundert Jahren seines Berufslebens verdient hätte. Der Krieg entwertet Menschenleben, macht sie zu einer Ware. Und während auf der ukrainischen Seite die Häuser zerstört, kaputt geschossen, weggebombt werden, wird auf der russischen Seite, weit weg von der Front, in den Dörfern gebaut.
Man munkelt, dass die ganzen neuen Siedlungen mit dem Geld von getöteten Soldaten finanziert werden. Aber man kann die Familien, die ihre Kinder an die Armee abgegeben haben, eigentlich nicht als Kriegsgewinnler bezeichnen. Auf beiden Seiten bringt der Krieg nur Zerstörung, geistige Verwahrlosung und Not.
Die Reichen weinen, die Armen leiden, der deutsche Einzelhandel macht dicht. Die einzigen, die eindeutig vom Krieg profitieren (abgesehen von den Waffenherstellern, versteht sich) sind die blauen Leguane. Ihre Haut wird nicht mehr so geschätzt, die Slipper-Produktion muss in der letzten Zeit enorm zurückgegangen sein.