Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ukraines Nachbar im Visier Moskaus Wie ein Land Putins Machenschaften standhält
Die Republik Moldau ist ein kleines Nachbarland der Ukraine – und im Visier Wladimir Putins. Doch bislang behauptet sich die moldauische Staatsführung gegen Russlands Treiben, meint Brigitta Triebel von der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Mittlerweile scheint der Winter in Moldau endgültig überwunden. Das ist nach diesem Krisenjahr nicht bloß ein Jahreszeitenwechsel, sondern auch ein politischer Erfolg der reformorientierten Regierung der Partei "Aktion und Solidarität" (PAS) in der Hauptstadt Chișinău und der Präsidentin des Landes, Maia Sandu. Noch im Herbst 2022 sahen die Prognosen düster aus: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte die Sicherheitslage auch für Moldau grundlegend verändert. Bei einem Erfolg der russischen Truppen im Süden der Ukraine hätte auch die Republik Moldau jederzeit in den Fokus russischer Ambitionen geraten können.
Die deutlich reduzierten russischen Gaslieferungen an Moldau führten zu den von Moskau gewünschten Folgen: Die moldauische Regierung hatte plötzlich eine Energiekrise und eine drohende Versorgungsknappheit zu managen. Eine Verdreifachung der Preise und eine steigende Inflation mit bis zu 35 Prozent – höher als im Kriegsland Ukraine – führten zu einer Verschlechterung der sozialen Lage für einkommensschwache Gruppen.
Brigitta Triebel leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chișinău (Republik Moldau). Zuvor war die promovierte Osteuropahistorikerin und Politikwissenschaftlerin für die Stiftung in der Ukraine tätig. Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist eine der CDU ideell nahestehende Denkfabrik, die sich unter anderem für die europäische Verständigung einsetzt.
Die Befürchtungen vor einer wachsenden Instabilität machte sich die prorussisch orientierte Oppositionspartei um den Oligarchen Ilan Șor zunutze. Und organisierte beziehungsweise finanzierte mit russischer Hilfe Proteste gegen die Regierung mit teilweise bis zu 6.500 Teilnehmern in Chișinău. Wie weitreichend die hybride Kriegsführung Russlands in Moldau ist, machte Maia Sandu erstmalig Mitte Februar 2023 öffentlich. Sie sprach von russischen Plänen eines gewaltvoll herbeigeführten Machtwechsels.
Die Energie- und Sicherheitskrise beanspruchte die Regierung in Chișinău dermaßen, dass die eigentlichen und dringend notwendigen Reformvorhaben, vor allem im Justizsektor, nur nachrangig behandelt werden konnten und sich weiter verzögerten. Moldau blickt demnach auf einen Winter mit vielfachen Krisen zurück, von denen jede einzelne bereits kaum zu meistern gewesen wäre.
Moldau ist auf gutem Weg
Gerade aus diesem Grund lässt sich ein erstes positives Zwischenfazit ziehen: Die befürchtete Energieknappheit konnte abgewendet werden. Die Regierung hat mithilfe der Europäischen Union Notfallpläne für die kritische Infrastruktur aufgestellt und eine neue Lieferinfrastruktur mit den Nachbarländern und westlichen Partnern aufgebaut. Der Wandel ist dabei langfristig: Von der vormals hundertprozentigen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen ist Moldau bereits weit entfernt, eine Energieunabhängigkeit soll in den kommenden fünf Jahren erreicht sein.
Mithilfe europäischer Finanzhilfen konnten zudem die hohen Energiepreise zumindest für die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen in Moldau gedeckelt werden. Auch die inszenierten Proteste in Chișinău gegen die Regierung haben nicht zu einer landesweiten Protestbewegung geführt. Keineswegs konnten Ilan Șor und seine Anhänger eine Atmosphäre in der moldauischen Gesellschaft kreieren, die einen Sturz der Regierung oder der Präsidentin begünstigt hätte.
In Sicherheitsfragen hat sich die Präsidentin Maia Sandu klar positioniert. Sie hat den russischen Angriff auf das Nachbarland verurteilt und wirbt seitdem für die Stärkung der eigenen Widerstandskraft. Die Regierung hat hierfür Reformen der eigenen Sicherheitskräfte gestartet und den Kampf gegen hybride Bedrohungen im Land konsequent aufgenommen. Bereits im März nahm die moldauische Polizei Personen mit russischen Pässen fest. Sie stehen im Verdacht, im russischen Auftrag die Gewalt vor allem bei Protesten eskalieren zu lassen.
Zum positiven Fazit nach diesem Krisenwinter tragen auch die Aussichten für die Republik Moldau bei, da der Status als EU-Kandidat dem Land eine langfristige Entwicklungsperspektive verschafft. Diese ist dringend notwendig für die weiterhin nur schwach entwickelte Wirtschaft des Landes. Zudem werden demokratische Reformen nun noch dringlicher, denn die von der Regierung anvisierte Reform im Justizbereich ist ein Kernstück der Verhandlungen mit der Europäischen Union.
Prorussisches Regime
Das erfolgreiche Krisenmanagement der gegenwärtigen moldauischen Regierung unter dem Ministerpräsidenten Dorin Recean zeigt zudem, dass die Ministerien und Behörden trotz begrenzter finanzieller und personeller Kapazitäten handlungsfähig sind. Auch sind nach einem Jahr Krieg die zwei Nachbarländer Ukraine und Moldau enger zusammengerückt. Die ukrainische Seite ist dankbar für die große Solidarität Moldaus mit den ukrainischen Flüchtlingen.
Viele der 100.000 Flüchtlinge (Stand: Februar 2023) leben bis heute in privat bereitgestellten Unterkünften. Chișinău wiederum ist sich bewusst, dass die ukrainischen Streitkräfte an der Front auch ihre Sicherheit verteidigen. Schon jetzt hilft Moldau mit alternativen Transportwegen für ukrainische Produkte aus – eine politische wie wirtschaftliche Kooperation, die sich ausbauen lässt. Zudem scheint die Regierung in Chișinău das Dauerproblem Transnistrien trotz Krieg und russischer Einflussnahme gegenwärtig managen zu können.
Nach einem Krieg zu Beginn der 1990er-Jahre hat sich in diesem östlichen Teil Moldaus ein prorussisches De-facto-Regime etabliert, dessen Führung lange Zeit von Unabhängigkeit und einem anschließenden Anschluss an Russland sprach und häufig als ein Instrument Moskauer Einflussnahme auf die Politik in Chișinău diente. Mit dem Krieg scheint die dortige Führung unter dem Pseudopräsidenten Wadim Krasnoselski weit weniger Interesse an einer Eskalation zu haben. Zumindest hält man sich auffallend zurück mit der Unterstützung Russlands im Krieg.
Abhängig vom Ausgang des Krieges könnte die moldauische Regierung durchaus an Optionen gewinnen, um die Spaltung des Landes friedlich zu beenden. Die Herausforderungen für die proeuropäische Regierung unter Dorin Recean bleiben jedoch: Das anhaltende Kampfgeschehen in der Ukraine bedeutet für Moldau eine Fortsetzung der russischen Destabilisierungsversuche. Zudem wird entscheidend sein, wie sich die moldauische Gesellschaft bei den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2024 und 2025 positionieren wird.
Nato ist nicht überall beliebt
Weiterhin gibt es beträchtliche Bevölkerungsteile, die sich skeptisch bis ablehnend gegen eine Integration Moldaus in westliche Bündnisstrukturen wie die Nato aussprechen. Traditionell gibt es eine Teilung der Bevölkerung in diejenigen, die eine prowestliche Orientierung des Landes befürworten, und jene, die eine erneute Annäherung an Russland wünschen. 53 Prozent der Menschen im Land unterstützen eine EU-Integration ihres Landes, während circa 24 Prozent der Bevölkerung einen Beitritt zum russisch dominierten Bündnis der Eurasischen Union vorziehen.
Wichtig dabei ist zu verstehen, dass eine Mehrheit der Moldauer zwar den europäischen Weg ihres Landes unterstützt, damit aber nicht zwangsläufig eine Aufgabe der in der Verfassung verankerten Neutralität verbinden. So ist die Hälfte der Bevölkerung gegen einen Nato-Beitritt. Damit ist die Hoffnung vieler Menschen in Moldau verbunden, sich zwar wirtschaftlich und demokratisch zu entwickeln, jedoch aus vor allem militärischen Konfrontationen zwischen "Ost" und "West" heraushalten zu können. Für die weitere Entwicklung Moldaus werden die kommenden eineinhalb Jahre bis zur nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahl entscheidend sein.
Zunächst kommt es darauf an, dass die Regierung mit ihrem klaren europafreundlichen Reformkurs die Wählerinnen und Wähler abermals überzeugen kann, selbst wenn sich Erfolge ihrer Politik aufgrund der angespannten Wirtschafts- und Sicherheitslage höchstwahrscheinlich erst später einstellen werden. Darüber hinaus wird die weitere Entwicklung des Krieges in der Ukraine einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklungen im kleineren Nachbarland haben.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.