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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Star-Ökonom Roubini warnt "Wir erleben gerade die ersten Tage des Dritten Weltkriegs"
Russland kämpft trotz Rückschlägen brutal weiter, die Inflation steigt, die Erde erhitzt sich rasant: Die Welt befindet sich in einer tiefen Krise. Das Schlimmste kommt aber erst noch, prophezeit der Top-Ökonom Nouriel Roubini.
Corona und Rekordinflation, Ukraine-Krieg und Energieknappheit: Die Welt wird von Krisen gebeutelt. Es kann aber noch sehr viel schlimmer kommen, sagt Nouriel Roubini, einer der berühmtesten Ökonomen der Welt. Die verheerende Finanzkrise von 2008 hatte Roubini treffsicher prophezeit, Skeptiker hatten dem Mahner deswegen den Spitznamen "Dr. Doom" verpasst. Nun warnt Roubini in einem neuen Buch vor gleich zehn Mega-Bedrohungen, die imstande seien, unsere Welt dramatisch zu verändern – zum eindeutig Schlechteren. Die Klimakrise ist nur eine davon.
Warum der Dritte Weltkrieg in Roubinis Augen bereits begonnen hat, weshalb wir uns nicht nur vor Russland und China fürchten sollten und auf welche Weise Künstliche Intelligenz zur größten Gefahr werden könnte, erklärt der Ökonom im t-online-Gespräch.
t-online: Professor Roubini, Kritiker nennen Sie "Dr. Doom", Ihre unheilvollen Prognosen treten aber immer wieder mit beunruhigender Treffsicherheit ein. Nun warnen Sie in Ihrem neuen Buch vor gleich zehn Mega-Gefahren, die uns bedrohen. Hat die Menschheit überhaupt noch eine Chance zu überleben?
Nouriel Roubini: Nein. Im Prinzip nicht.
Wie bitte?
Ich meine es ernst. Das Spiel ist aus, die Menschheit wird bald einpacken können. Wir werden von zehn Mega-Gefahren gleichzeitig bedroht und werden schon mit der bedrohlichsten von ihnen nicht fertig.
Sie meinen die Klimakrise.
Seit Jahrzehnten warnt die Forschung in immer schrilleren Tönen vor den Folgen der Klimaerwärmung. Und was tut die Politik? Produziert noch mehr heiße Luft! Hätten wir das Problem der Erderhitzung früher angepackt, könnten wir es vielleicht noch in den Griff bekommen. Aber jetzt stehen wir mit dem Rücken zur Wand.
Zugleich hat Putin mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine Europa zurück in die finstersten Zeiten des 20. Jahrhunderts gestürzt.
Die Situation ist noch viel schlimmer: Wir erleben gerade die ersten Tage des Dritten Weltkriegs.
Sie übertreiben!
Überhaupt nicht. In künftigen Geschichtsbüchern werden zwei Daten als Ausbruch des Dritten Weltkriegs infrage kommen: Entweder der 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine überfiel. Oder der 7. Oktober 2022. An diesem Tag hat US-Präsident Joe Biden die amerikanische Eindämmungspolitik gegen China drastisch verschärft, indem er den Chinesen den Zugang zu Halbleitern blockierte. Damit hat er Peking teilweise von allen modernen Technologien abgeschnitten. Die meisten Menschen ahnen nicht einmal, was das bedeutet: Diese Entscheidung war aus amerikanischer Sicht dringend notwendig, um das immer aggressivere China einzudämmen – aber dies kann den Machtkampf zwischen Washington und Peking brutal eskalieren lassen. Ich erinnere an den japanischen Überfall auf Pearl Harbor 1941 – vorher hatten die USA ein Ölembargo gegen Japan verhängt. Das war ein Grund für den Kriegsausbruch im Pazifik.
Nouriel Roubini, 1958 in Istanbul geboren, gehört zu den gefragtesten Ökonomen unserer Zeit. 2008 sagte er die globale Finanzkrise voraus – diese Prognose verschaffte ihm den Spitznahmen "Dr. Doom". Er lehrte unter anderem an der Stern School of Business der New York University und war Wirtschaftsberater des Weißen Hauses und des US-Finanzministeriums während der Präsidentschaft Bill Clintons. Heute leitet der Ökonom Roubini Global Economics, ein Unternehmen für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsanalysen. Gerade erschien Roubinis neues Buch "Megathreats: 10 Bedrohungen unserer Zukunft – und wie wir sie überleben".
Von einer solchen Eskalation sind wir hoffentlich weit entfernt. Immerhin haben sich Joe Biden und Xi Jinping auf Bali die Hände geschüttelt.
Wirtschaftlich und technologisch haben die USA Peking jetzt den Krieg erklärt, daran besteht kein Zweifel. Und China wird sich bald bitter rächen. Ich denke an Exportstopps für Seltene Erden und andere Rohstoffe, wie sie etwa die Produktion von Elektrofahrzeugen benötigt. So schlimm es auch werden wird, Joe Bidens Entscheidung ist trotzdem richtig. Denn andernfalls würde China bald das maschinell lernende Quantencomputing dominieren. Mit dieser Art neuer Supercomputer würde Peking die Industrien der Zukunft anführen – von militärischen Möglichkeiten ganz abgesehen.
Admiral Charles A. Richard, der Chef der US-Atomstreitkräfte, hat vor Kurzem eindringlich vor der kommenden "großen Krise" mit China gewarnt.
Wir sollten wirklich auf die Experten hören – sie rechnen mit einem chinesischen Angriff auf Taiwan eher in Jahren als in Jahrzehnten. Die Gefahr droht jetzt, nicht irgendwann in einer fernen Zukunft: Das ist die Botschaft, die ich mit meinem Buch vermitteln will. Und es sind nicht nur Russland und China, um die wir uns sorgen müssen.
In welcher Region könnte es noch brenzlig werden?
Wo soll ich anfangen? Nicht nur Russland könnte bald zur Atombombe greifen. Israel wird dem Bau einer iranischen Nuklearwaffe sicher nicht mehr lange tatenlos zusehen. Auf der anderen Seite behaupten nun die Mullahs, dass Israel und die USA die Protestierenden im Iran unterstützen, um einen Regimewechsel herbeizuführen. Das kann innerhalb der nächsten sechs bis zwölf Monate dramatisch eskalieren. Außerdem haben wir Autokraten und Rechtsextremisten, wo wir nur hinschauen: Viktor Orbán in Ungarn, Giorgia Meloni in Italien, selbst in Schweden regieren nun Neonazis de facto mit. Große Sorgen mache ich mir aber vor allem um die Türkei.
Präsident Erdoğan muss sich dort im kommenden Jahr einer Wahl stellen.
Und er steht mächtig unter Druck. Weil er die Wahl angesichts der schlechten Wirtschaftslage zu verlieren droht, könnte Erdoğan bald einen Krieg mit Griechenland anzetteln. Zuzutrauen wäre es ihm. Was ein wiedergewählter Donald Trump wiederum anrichten würde, könnte noch schlimmer sein.
Sie warnen in Ihrem Buch aber nicht nur vor politischen und militärischen, sondern auch vor wirtschaftlichen Bedrohungen – etwa der "Mutter aller Schuldenkrisen".
Das Schuldenmachen ist völlig außer Kontrolle geraten – und das betrifft Staaten, Unternehmen und Privatleute gleichermaßen. 1999 beliefen sich die staatlichen und privaten Schulden auf 220 Prozent der jährlichen globalen Wirtschaftsleistung – Ende 2021 waren es rund 350 Prozent! Die Schulden wachsen trotz aller Beteuerungen von Regierungen seit Jahrzehnten. Zurzeit blasen Konjunkturmaßnahmen parallel gewaltige Spekulationsblasen auf. Und was tun solche Blasen irgendwann zwangsläufig? Sie platzen! Und das in einer Zeit, in der die Industrie- und Schwellenländer so hoch verschuldet sind wie nie zuvor. Sicherheitsnetze gibt es auch nicht mehr, die Politik hat ihre Mittel der Finanz- und Geldpolitik ausgeschöpft. Wenn dann auch noch Putin zur Atombombe greift oder China Taiwan attackiert, ist die Katastrophe perfekt.
Moment! Die Zentralbanken haben immer noch die Möglichkeit gegenzusteuern.
Zentralbanken und Finanzbehörden können derzeit nichts tun. Sie sind verdammt, wenn sie etwas tun, und sie sind genauso verdammt, wenn sie nichts tun. Wenn die Zentralbanken die Leitzinsen drastisch erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen, werden Realwirtschaft und Finanzmärkte einen ziemlich harten Aufschlag auf dem Boden der Realität erleben. Wenn sie die Zinsen unten lassen, wird die Inflation steigen und steigen. Machen wir uns nichts vor: Wir müssen uns auf das Schlimmste gefasst machen, es kommen furchtbare Zeiten auf uns zu.
Zurzeit leiden wir unter Inflation, Energiekrise und unterbrochenen Lieferketten zugleich. Das erinnert an die Siebzigerjahre mit ihren Ölpreisschocks – die haben wir aber einigermaßen glimpflich überstanden.
Wir werden an den Punkt kommen, an dem wir uns nach den überschaubaren Siebzigerjahren zurücksehnen werden. Ich habe mir damals nie Gedanken über einen Atomkrieg gemacht, weil die Zeichen im Kalten Krieg auf Entspannung standen. Pandemien? Klimakrise? Alles völlig unbekannt. Heute ist die Lage hoffnungsloser. In der Gegenwart haben wir viel mehr geopolitische Konflikte, eine extreme politische Fragmentierung in Rechts und Links und zusätzlich einen gigantischen Schuldenberg.
Aber zumindest für Schuldner ist die gegenwärtige hohe Inflation keine schlechte Sache.
Das ist im Prinzip richtig – weswegen Kreditgeber bei neuen Schulden aber auf höheren Zinssätzen bestehen. Das setzt eine Spirale in Gang, die zu immer höheren Kosten für Hypotheken von Privatleuten und bei Krediten für Firmen führt. Wir müssen uns eine Tatsache bewusst machen: Die Mega-Bedrohungen, vor denen ich warne, sind nicht nur jede für sich genommen gewaltig, sie sind auch miteinander verschränkt.
Haben Sie ein Beispiel?
Xi Jinping, der mittlerweile unwidersprochen Kaiser von China ist, hat die wichtigsten Posten im chinesischen Wirtschafts- und Finanzsystem mit seinen Gefolgsleuten besetzt. Die einzige Qualifikation dieser Leute besteht in bedingungsloser Loyalität – und diese Typen sollen nun eine Volkswirtschaft von mehr als einer Milliarde Menschen steuern. Das ist absolut beängstigend, es könnte zu einem wirtschaftlichen Crash kommen. Autokraten vom Schlage eines Xi Jinping werden zudem unter Druck nicht friedfertiger, sondern leiten den inneren Druck nach außen ab.
Womit wir bei Taiwan wären.
Wo 50 Prozent aller Halbleiter und 80 Prozent aller hochwertigeren Chips dieses Planeten hergestellt werden. Damit wäre es im Falle eines chinesischen Angriffs vorbei, von den wirtschaftlichen Schockwellen rund um den Globus ganz abgesehen. Eines Globus, der bis zum Hals in den Schulden steckt. Seien wir ehrlich: Zumindest wir im Westen konnten 75 Jahre Frieden, Fortschritt und Wohlstand genießen, wir sind weitgehend von existenziellen Krisen verschont geblieben. Aber diese Zeit ist nun vorbei.
Im ägyptischen Scharm el-Scheich wurde soeben der soundsovielte Versuch unternommen, die Klimakrise zumindest ansatzweise einzudämmen. Nehmen Sie der Politik dieses Ziel noch ab?
Ich glaube an die Wissenschaft, nicht an die Politik. Deswegen bin ich davon überzeugt: Wir steuern auf die Katastrophe zu. Kyoto, Paris und Glasgow: Alles, was auf diesen Klimakonferenzen beschlossen wurde, ist ein Witz. Das 1,5-Grad-Ziel? Hohles Gerede! Bei allem Respekt für die unzähligen Menschen, die sich für den Planeten einsetzen: Der Klimaschutz kommt nicht schnell genug voran.
Was müsste stattdessen geschehen?
Für die Klimakrise gibt es nur drei mögliche Lösungen. Nummer eins lautet Anpassung: Wir akzeptieren einen Anstieg der Temperaturen um mehr als drei Grad Celsius und versuchen, die Folgen irgendwie erträglich zu machen. Das ist eine wenig attraktive Option, weil Milliarden Menschen bedroht wären. Nummer zwei, Geotechnologie: Das ist der technologische Versuch, durch das Einspeisen von Partikeln in die Atmosphäre den Planeten abzukühlen. Wäre das im nötigen Umfang machbar? Ich bezweifle es. Nummer drei, die Senkung der Emissionen auf null: Das wäre eine effiziente, aber auch enorm schmerzhafte Vorgehensweise.
Für einen Großteil der Welt würde das ein wirtschaftliches Null- oder gar Negativwachstum bedeuten. Erinnern Sie sich an die Lockdowns während der Corona-Pandemie 2020: Damals hatten wir die schlimmste Rezession der letzten 60 Jahre – aber die Netto-Treibhausemissionen gingen nur um neun Prozent zurück. Ein Witz! Wenn wir die Emissionen Richtung null drücken wollen, müsste unsere gegenwärtige Wirtschaft mit ihren massiven Treibhausgasemissionen also praktisch stillstehen, Flugzeuge müssten jahrelang am Boden und Autos auf den Parkplätzen bleiben.
Das wird nicht passieren, die Menschen würden es nicht tolerieren.
Und deshalb gibt es nur eine einzige wirksame Lösung gegen die Klimakrise: Wir müssen ärmer werden, unsere Wirtschaft muss kontrolliert schrumpfen. Und zwar sofort. Wir müssen weniger produzieren, weniger transportieren, weniger reisen – und dabei hoffen, dass die Erderhitzung in einem beherrschbaren Rahmen bleibt. Dabei haben wir in den Industriestaaten den größten Anteil zu leisten, schließlich haben wir im Laufe der Geschichte die meisten Emissionen erzeugt. Wir müssten jetzt eigentlich konsequent auf alles verzichten, was wir nicht unbedingt zum Überleben brauchen. Die Ironie besteht wiederum darin, dass die Wirtschaft der Industriestaaten eigentlich ein hohes Wachstum benötigt, um die vielen Schulden zu bezahlen. Was ohne höheren Ausstoß von Treibhausgasen zurzeit nicht möglich ist. Sie sehen, was ich meine: Die Mega-Bedrohungen existieren jetzt, und sie sind miteinander verknüpft.
Sie machen uns wirklich wenig Hoffnung. Wie überleben wir die von Ihnen beschworenen Mega-Bedrohungen?
Ich sehe mehrere mögliche Szenarien. Das erste ist finster, eine Dystopie: Darin käme es zu einer gewaltigen Wirtschafts- und Finanzkrise, womöglich einem Zusammenbruch der gesamten Wirtschaftstätigkeit. Die liberalen Demokratien würden ebenfalls kollabieren und autoritäre Regime die Macht übernehmen, während Künstliche Intelligenzen – eine weitere Mega-Bedrohung – immer mehr Menschen arbeitslos machten. Auch ein Atomkrieg wäre denkbar, ein Ende der Welt ist keineswegs unrealistisch.
Nun aber bitte das positive Szenario!
Es gilt das Prinzip Hoffnung: Wenn uns etwas retten kann, dann ist es die Technologie. Ein Glücksfall wäre es, wenn in absehbarer Zeit die Kernfusion günstige und nachhaltige Energie liefern könnte. Das ist gar nicht so unrealistisch. Dafür muss man aber in zivile Kernforschung investieren, statt Atomreaktoren abzuschalten. Auch die Künstliche Intelligenz, die ebenfalls rasante Fortschritte macht, kann uns durchaus helfen. Allerdings ist sie zugleich eine Bedrohung, weil sie uns ersetzt. Jemand wie ich wird in zehn Jahren überflüssig sein, weil eine Künstliche Intelligenz meinen Job viel besser macht. Das gilt auch für Sie.
Wir hoffen, dass es anders kommt.
Seien Sie lieber realistisch. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass technologischer Fortschritt immer auch Schattenseiten hat. Sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg brachten beeindruckende neue Technologien hervor – aber wofür haben wir diese genutzt? Um noch gewaltigere Waffen zu entwickeln. Auch das Rennen um die Vorherrschaft bei der Künstlichen Intelligenz dient keinesfalls nur friedlichen Zwecken. Wenn Sie wüssten, was mit automatisierten Kampfdrohnen und Militärrobotern alles möglich ist. Diese Technologien werden bald in der Lage sein, die Welt zu beherrschen.
Nun sind wir wirklich desillusioniert.
Der Historiker Niall Ferguson hat neulich angemerkt, dass wir vor zwei Möglichkeiten stehen: Entweder gleicht unsere Situation dem Beginn der 1940er Jahre, als der Zweite Weltkrieg endgültig eskalierte. Oder den 1970er Jahren, als globale Wirtschaftskrisen ausbrachen, die aber eingedämmt werden konnten. Beides ist erschreckend, aber die zweite Option ist sicherlich die bessere.
Eine letzte Frage: Sie sind dafür bekannt, Ihren Spitznamen "Dr. Doom" zu hassen. Wäre Ihnen ein anderer lieber?
Wenn es schon sein muss, bevorzuge ich "Dr. Realismus".
Professor Roubini, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Nouriel Roubini via Videokonferenz