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China und die neue Seidenstraße: Was der Westen davon lernen kann


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Chinas "Neue Seidenstraße"
"Teils ist ausgeschlossen, dass der Westen unabhängiger wird"

InterviewVon Malte Bollmeier

Aktualisiert am 25.12.2023Lesedauer: 7 Min.
Der chinesische Präsident Xi Jinping und ausgewählte Staatsgäste beim Forum zur Neuen Seidenstraße: Im Oktober trafen sich Vertreter chinesischer Partnerländer in Peking, um das zehnjährige Bestehen des Projekts zu feiern.Vergrößern des Bildes
Der chinesische Präsident Xi Jinping und seine Gäste: Im Oktober trafen sich Teilhaber der Neuen Seidenstraße anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Projekts in Peking. (Quelle: Wang Ye/imago-images-bilder)

Investitionen von fast einer Billion Euro: So viel Geld stecken chinesische Unternehmen im Seidenstraßen-Projekt in ausländische Infrastruktur. Was der Westen davon lernen kann, erklärt der Ökonom Jacob Gunter.

Etwas über zehn Jahre ist es her, seit der chinesische Präsident Xi Jinping die "Neue Seidenstraße" ausgerufen hat. Im Rahmen des weltweiten Investitionsprojekts haben chinesische Unternehmen in vielen Partnerländern Infrastruktur wie Häfen und Eisenbahnen, aber auch Stromnetze gebaut. So will China seine Wirtschaftsbeziehungen mit Europa verbessern und sich Zugang zu wichtigen Ressourcen verschaffen – insbesondere in Afrika.

Kritiker werfen China vor, seine Partner mit überhöhten Krediten von sich abhängig zu machen und politischen Druck auszuüben. Nach einer Dekade ist es Zeit für eine Bilanz. t-online hat dazu mit dem Chinaexperten Jacob Gunter von der Forschungseinrichtung Merics gesprochen.

t-online: Zehn Jahre "Neue Seidenstraße" – was hat das mit der Welt gemacht, Herr Gunter?

Jacob Gunter: Das Projekt hat Chinas Position in der Welt verändert. Viele chinesische Unternehmen konnten ihre globalen Marktanteile vergrößern. Zudem sind sie in vielen Ländern die ersten großen Firmen, die in die jeweiligen Märkte einsteigen, und haben so einen Zeit- und Vertrauensvorsprung. China bindet diese Länder außerdem mit dem Bau von Infrastruktur langfristig an sich, da vor allem chinesische Unternehmen die Häfen und Eisenbahnen zum Transport ihrer Güter nutzen werden.

Jacob Gunter
Jacob Gunter (Quelle: Marco Urban)

Zur Person

Jacob Gunter ist Ökonom am Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics), nach eigenen Angaben die größte europäische Forschungseinrichtung, die sich ausschließlich mit der Analyse Chinas beschäftigt. Gunter hat in Großbritannien und China Internationale Beziehungen und Sinologie studiert und hat zudem einen Abschluss in Business Administration.

War die "Neue Seidenstraße" bisher ein Erfolg für China?

Ja. Trotz einzelner Fehlschläge dürfte Peking insgesamt glücklich mit dem Projekt sein. Dabei ist zu beachten, dass viele Unterprojekte zwar nicht kommerziell, aber strategisch erfolgreich sind.

Was heißt das?

China hat nur mit 20 Ländern ein Außenhandelsdefizit. Alle diese Länder produzieren Ressourcen, die in China nicht oder zu wenig vorhanden sind. Australien etwa liefert Eisenerz. Genau diese Abhängigkeiten will China verringern und sucht nach alternativen Rohstoffquellen und neuen Absatzmärkten. Die Chinesen bereiten sich auf eine neue Welt vor, in der sich der Konflikt mit dem Westen weiter zuspitzt. Das bedeutet: Selbst wenn einige Projekte der "Neuen Seidenstraße" finanziell wenig erfolgreich erscheinen, haben sie einen politischen Nutzen.

Wie sieht das in der Praxis aus?

China baut Infrastruktur wie Häfen und Schienennetze in seinen Partnerländern meist größer als aktuell benötigt, um sie in Zukunft voll ausschöpfen zu können. In einem Riesenland wie China funktioniert das. Aber in einem kleinen Land wie Sri Lanka rentiert sich das nicht. Trotzdem hält sich Peking zumindest die Option offen, künftig mehr Rohstoffe fördern zu können, und nimmt dafür auch Ineffizienz in Kauf.

Wie betrachten Chinas Partnerländer die "Neue Seidenstraße" nach zehn Jahren?

Viele Partnerländer haben sich schwer verschuldet, aber auch gute Geschäfte gemacht. Wenn China etwa eine Eisenbahn in Kenia baut, bietet Peking das All-inclusive-Paket: China stellt die Baufirmen, die Schienen, die Züge und den nötigen Kredit. Diese Eisenbahn wäre unter anderen Umständen wahrscheinlich nie gebaut worden, denn den Partnerländern fehlen oft die Mittel und Technologien dazu.

Vielen Menschen fällt es schwer, die Bedeutung des Seidenstraßen-Projekts abzuschätzen. Können Sie das einmal einordnen, etwa im Vergleich zur Entwicklungshilfe des Westens?

Ein Vergleich mit der Entwicklungshilfe ist unpassend, denn die "Neue Seidenstraße" umfasst nur Kredite und keine Zuschüsse wie in der Entwicklungshilfe. Chinas Partner bekommen nichts geschenkt. Diese Kredite belaufen sich nach zehn Jahren auf über eine Billion US-Dollar, also über 927 Milliarden Euro, was nach viel klingt. Aber zu dieser Summe rechnet China so gut wie alle Investitionen seiner Unternehmen im Ausland. Wenn also der chinesische Logistikkonzern Cosco im Ausland Häfen baut, sollte man das vergleichen mit Investitionen westlicher Unternehmen wie der deutschen Reederei Hapag-Lloyd.

Warum vergleichen wir unsere Investitionen bislang nicht mit den chinesischen?

Die Chinesen verkaufen sich besser. Wenn ein chinesisches Unternehmen einen Hafen in Afrika baut, sagen sie, "China hat diesen Hafen gebaut". Und viele Menschen im Westen übernehmen diese Formulierung. Wenn aber ein westliches Unternehmen einen Hafen im Ausland baut, sagt niemand "Europa hat das gebaut". Das Seidenstraßen-Projekt ist also auch eine Vermarktungsstrategie. Um sich ebenso gut zu verkaufen, müsste man alle ausländischen Investitionen des Westens zusammenrechnen.

Wir würden also westliche Investitionen, die ohnehin getätigt werden und wurden, anders etikettieren?

Genau, der Westen braucht eine eigene Marke. Es muss heißen: "Europa hat diesen Hafen gebaut".

Einheitliche Vermarktung schön und gut, aber was ändert das?

Würde der Westen seine ausländischen Investitionen als Einheit begreifen, würde das im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme ermöglichen, wie viel er bereits in ausländische Infrastruktur investiert. Im zweiten Schritt könnte der Westen überlegen, ob er im Wettbewerb mit China koordinierter vorgehen sollte und ob wir in bestimmten Branchen mehr investieren müssen oder nicht.

Der Westen könnte im Vergleich also besser dastehen, als einige Medien das behaupten?

Genau. Das ist jetzt schon in einigen Regionen zu erkennen. In südostasiatischen Ländern sind etwa Japan und die USA deutlich aktiver als China, obwohl diese Länder recht nah bei China liegen.

Inwiefern schadet denn Chinas aggressive Geopolitik – besonders im Indopazifik – der "Neuen Seidenstraße"?

Sie untergraben wahrscheinlich bestimmte Projekte, vor allem solche, die unter die Definition kritischer Infrastrukturen fallen, da Länder mit Sicherheitsproblemen mit China es vorziehen könnten, Peking von solchen Systemen fernzuhalten. Einige Länder – wie Indien – haben die "Neue Seidenstraße" größtenteils aufgrund von Grenzkonflikten und der zentralen Bedeutung der "Neuen Seidenstraße" für Chinas Beziehungen zu Pakistan abgelehnt. Allerdings sind viele Seidenstraßen-Projekte und chinesische Investitionen im Allgemeinen in südostasiatische Länder geflossen, darunter auch in einige Länder, die im Südchinesischen Meer heftige Konflikte mit China haben.

Der Westen versucht auch, unabhängiger von China zu werden. Wie geht das voran?

Das geht nur langsam voran und ist teils quasi ausgeschlossen.

Das müssen Sie erklären.

Nehmen wir etwa das Metall Gallium, das für den Bau von Solarzellen, Computerchips und viele andere Spitzentechnologien gebraucht und zu 95 Prozent in China produziert wird. Gallium kommt kaum natürlich, sondern vor allem als Abfallprodukt in der Aluminiumproduktion vor. Der größte Aluminiumproduzent ist China. Wollte Europa Gallium produzieren, bräuchte es eine eigene Aluminiumproduktion und einen Absatzmarkt für das ganze Aluminium. Das ist viel zu teuer und ineffizient, nur damit Europa einen Rohstoff unabhängig von China beziehen kann. Die Lösung für Europa: Westliche Staaten müssen ihre Wirtschaft diversifizieren, also auch mit anderen Ländern als China handeln, die Aluminium herstellen.

Das klingt fast so, als wollten Sie, dass der Westen die Seidenstraßen-Strategie kopiert.

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Ja. Mit der Weltwirtschaft ist es ein bisschen so, als hätte die Welt seit Jahrzehnten Fußball gespielt. Und immer öfter ändert China die Regeln, nimmt den Ball in die Hand, zieht eine Rüstung an und spielt am Ende American Football. Europa muss sich entscheiden, ob er weiter strikt nach den alten Regeln spielt. Die USA und Japan nehmen den Ball schon öfter in die Hand. Wo es passt, wenden sie sich dem Protektionismus zu und verschaffen ihrer Wirtschaft mit Zöllen, Importquoten und Subventionen Vorteile gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Der klassische globale Freihandel hat ausgedient. Es gibt – zumindest in Bezug auf die wirtschaftlichen und technologischen Beziehungen zu China – viele andere Handelspartner, mit denen wir nach den traditionellen Regeln zusammenarbeiten können. Europa hängt noch etwas hinterher, das zu begreifen.

Welche Strategie schlagen Sie vor?

Es wäre unklug, mit China um jeden Hafen und in jedem Land in Konkurrenz zu treten. Wir sollten uns auf Zukunftstechnologien wie grüne Energie, Telekommunikation und zugehörige Infrastruktur konzentrieren. Wir können nicht in jedem Gebiet mit China konkurrieren, müssen aber auch nicht.

Wieso nicht?

Es ist zum Beispiel nicht so wichtig, dass Europa versucht, jedes Brücken- oder Autobahnprojekt zu gewinnen, um das China konkurriert. Aber es ist ziemlich wichtig, dass es versucht, bei Telekommunikationsinfrastrukturprojekten zu konkurrieren. Wenn China eine Straße baut, verlässt sich das Empfängerland nicht weiter auf die chinesische Technologie und das Wissen um die Instandhaltung und Verwaltung der Straßen. Das ist bei etwas Fortschrittlicherem wie einem 5G-Netz nicht der Fall.

Wenn beispielsweise Tansania sich für chinesische Anbieter wie Huawei entscheidet, um sein 5G-Netz aufzubauen, ist es bei der Wartung und Aktualisierung des Netzes auf Huawei angewiesen. Das schafft Abhängigkeitsrisiken, die Peking ausnutzen könnte, ganz zu schweigen von den Bedenken hinsichtlich der Cybersicherheit eines von Huawei errichteten Netzes. In diesem Sinne sollte Europa um ein solches Projekt konkurrieren.

China ist in letzter Zeit vermehrt in wirtschaftliche Schwierigkeiten gelangt. Wie könnte es mit der "Neuen Seidenstraße" weitergehen?

Chinas Wirtschaft wächst weniger als in den vorigen Jahren, und etliche Partnerländer können ihre Kredite nicht bezahlen. Peking wird vermehrt auf kleinere, gezielte Vorhaben setzen. Dazu zählt dieser, meiner Meinung nach etwas lächerliche, Warenkorridor durch Zentralasien. Der soll über Land durch Kasachstan, mit dem Schiff übers Kaspische Meer und danach durch Aserbaidschan und Georgien verlaufen, um dann entweder über das Schwarze Meer oder über die Türkei nach Europa zu führen.

Es ist aber teuer, immer wieder zwischen Transportarten zu wechseln. Das lohnt sich nur, wenn eine Ware unbedingt schneller als über den Seeweg transportiert werden soll und auch nicht mehr über die Eisenbahnlinien, die durch Russland führen. Zudem könnte diese Route grüner sein, also der Transport insgesamt weniger Treibhausemissionen verursachen und damit Kunden bedienen, die an umweltfreundlichen Produkten interessiert sind.

Was plant China noch?

Langfristig will China mehr Länder auf seine Seite ziehen. Mittelfristig geht es Peking darum, prowestliche Länder in neutrale Akteure umzuwandeln. Wie das aussehen kann, hat sich bei der UN-Abstimmung zur Verurteilung des Ukraine-Krieges gezeigt, bei der sich viele Länder enthalten haben. Alle diese Länder hatten eine Bindung zu Russland. Falls es für China mal zu einer ähnlichen Abstimmung kommt, etwa in Bezug auf Taiwan, will die chinesische Regierung politisch vorbereitet sein.

Wie erreicht Peking das?

China will seine Partner künftig in der Regierungsführung unterstützen, um dadurch subtilen Einfluss zu erhalten. Es wird Peking aber auch weiter darum gehen, seine wirtschaftliche Macht in politische umzuwandeln. Wenn Länder wirtschaftliche Einbußen fürchten müssen, falls sie gegen chinesische Interessen handeln, kann das zu vorauseilendem Gehorsam führen. So will China eine Atmosphäre der Angst erzeugen.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Jacob Gunter
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