Putin-Propaganda bei G20-Gipfel Der Kremlchef setzt auf Leerstellen
Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich auf dem virtuellen G20-Gipfel zum Krieg in der Ukraine geäußert. Doch er verschweigt entscheidende Punkte.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat erstmals seit langem an einem Austausch mit mehreren westlichen Staats- und Regierungschefs teilgenommen. Am Mittwoch ließ er sich zu einem virtuellen G20-Gipfel dazuschalten. Dabei wies er jegliche Schuld für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine von sich.
Einige Teilnehmer der Gruppe der führenden Wirtschaftsmächte (G20) hätten sich in ihren Reden erschüttert gezeigt über die Aggression Russlands in der Ukraine, sagte Putin nach Angaben des Kremls am Mittwoch. "Ja natürlich, kriegerische Handlungen sind immer eine Tragödie." Man müsse darüber nachdenken, wie diese Tragödie beendet werden könne, sagte er.
Immer wieder inszeniert der Kreml die Ukraine als ein angeblich von "Neonazis" geführtes Land und stellt den Machtwechsel, der 2014 auf proeuropäische Proteste in Kiew folgte, als vermeintlichen Auslöser für den Krieg dar. Tatsächlich aber hatte Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 angegriffen.
Putin verschweigt die Details
Zu möglichen Verhandlungen behauptete Putin: "Russland hat Friedensgesprächen mit der Ukraine nie eine Absage erteilt." Die Ukraine verweigere sich Verhandlungen, warf er Kiew vor. Tatsächlich hält Russland inklusive der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim derzeit rund ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes besetzt und hatte bislang scharfe Bedingungen an die ukrainische Regierung gestellt, damit überhaupt Verhandlungen geführt werden könnten.
Ginge es nach dem Kreml, müsste die Ukraine etwa die Waffen niederlegen, ihre Ambitionen zu einem Nato-Beitritt aufgeben, Russisch als Staatssprache akzeptieren sowie die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Krim als russisch anerkennen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Friedensgespräche darum bislang abgelehnt. Für Kiew ist ein Rückzug der russischen Truppen zudem eine Bedingung für dauerhaften Frieden. Das wiederum lehnt Moskau ab.
Scholz: "Er musste zuhören"
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, der G20-Gipfel sei eine gute Gelegenheit gewesen, klarzustellen, dass Frieden in der Ukraine leicht wiederhergestellt werden könne, wenn Russland Truppen zurückziehe. "Und das haben wir gemacht und andere auch. Und insofern war das auch interessant, weil er ja zuhören musste."
Putin lenkte bei seinem G20-Auftritt dann auf den Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas in Gaza über. Die Mitglieder der G20 begrüßten laut Indiens Premierminister Narendra Modi die ab diesem Donnerstag geplante humanitäre Pause sowie die damit verbundene geplante Freilassung einiger Geiseln. Mehr dazu lesen Sie hier.
Putin hingegen fragte, ob die Kollegen nicht erschüttert seien über die Ermordung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Terroristen der islamistischen Hamas hatten am 7. Oktober Massaker in Israel verübt. Israels Militär flog anschließend Luftangriffe auf den Gazastreifen und rückte mit Bodentruppen in das abgeriegelte Küstengebiet ein.
Putin ergreift seit dem immer wieder Partei für die Palästinenser – so wie etwa sein enger Verbündeter, das islamische Regime im Iran. Dieses finanziert nicht nur die Terrororganisation Hamas, sondern rüstet Russland auch mit Drohnen für dessen Krieg gegen die Ukraine aus. Bereits zu Beginn des Krieges in Nahost hatten Expertinnen und Experten davor gewarnt, dass der Kreml die Situation im Nahen Osten dazu nutzen werde, von seinem Krieg gegen die Ukraine abzulenken.
Auch bei der Wirtschaft setzt Putin auf Leerstellen
Putin machte schließlich noch die führenden westlichen Mächte für Teuerung und andere Probleme der Weltwirtschaft verantwortlich. Es seien Billionen US-Dollar und Euro in die Wirtschaft geflossen, teilweise auch zur Bekämpfung der Corona-Epidemie, sagte Putin. Dies führe aber zu globaler Inflation, zu gestiegenen Preisen für Lebensmittel und Energie, unter denen vor allem die armen Länder litten.
Auch hier verschwieg Putin, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mitursächlich für die weltweite Inflation ist. Infolge der russischen Invasion in die Ukraine war Russland von zahlreichen Ländern sowie der EU mit Sanktionen belegt worden. Russland reagierte damit, indem es beispielsweise Gaslieferungen durch die Nordseepipeline reduzierte, woraufhin Gas in Europa teurer wurde. Auch die Sanktionen gegen Russland infolge seines Krieges ließen die Preise etwa in Deutschland steigen.
Zudem hatte Putin im Sommer ein mit der Ukraine geschlossenes Abkommen aufgekündigt, das einen sicheren Export des Getreides aus der sogenannten "Kornkammer Europas" sichern sollte – und damit die weltweite Nahrungssicherheit. Ein neues Abkommen wurde seitdem nicht geschlossen, stattdessen greift die russische Armee regelmäßig ukrainische Häfen an, in denen das Getreide bis zu seinem Export gelagert wird.
Die Videoschalte der Staats- und Regierungschefs aus 20 wichtigen Industrie- und Schwellenländern war von der derzeitigen indischen G20-Präsidentschaft einberufen worden. Ab Dezember übernimmt Brasilien den Vorsitz. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass Putin sich mit mehreren Staats- und Regierungschefs westlicher Länder austauschte. Anfang September in Neu-Delhi hatte sich Putin noch von Außenminister Sergej Lawrow vertreten lassen. Auch im vergangenen Jahr war Lawrow statt Putin zum Gipfel nach Indonesien gereist.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa und Reuters
- Eigene Recherche