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Erdoğan in Deutschland: Deshalb ist Olaf Scholz angespannt


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Erdoğan in Deutschland
Eine heftige Ohrfeige


Aktualisiert am 17.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident kommt am Freitag nach Deutschland. (Quelle: reuters)

Bereits vor dem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wuchs die Anspannung im Kanzleramt. Die Lage im Nahen Osten sorgt für Zündstoff beim Treffen.

Berlin ist wieder im Ausnahmezustand. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist zu Besuch in der Hauptstadt. Die Polizei sperrt das Regierungsviertel, der Verkehr wird umgeleitet, selbst das Parken von Autos ist verboten. Außerdem sind in diesen Sperrzonen Demonstrationen verboten. Diese Maßnahme ist kein Zufall: Denn Erdoğan hat bei seinem Deutschland-Besuch eine Menge politischen Sprengstoff im Gepäck.

Nach den Angriffen der Terrororganisation Hamas auf Israel hielt sich der türkische Präsident zwar zunächst zurück, aber mit zunehmenden israelischen Luftangriffen auf die Islamisten im Gazastreifen lobte Erdoğan immer mehr den Kampf der Hamas. Zuletzt beschimpfte er Israel als "Terror-Staat". Das macht den Besuch des türkischen Staatschefs durchaus umstritten – der Schock und die Wut über Erdoğans Aussagen sitzen auch im politischen Berlin tief.

Die Stimmung ist also explosiv und für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird das Treffen mit Erdoğan ein Drahtseilakt. Einerseits ist die Türkei für Deutschland ein wichtiger strategischer Partner, andererseits darf der Kanzler mögliche öffentliche Aussagen des türkischen Präsidenten nicht unkommentiert lassen. Deutschland steckt in einer Zwickmühle.

Der ganze Besuch von Erdoğan in dieser Krisenzeit ist ein großer Kompromiss. Das Motto: schnell rein, schnell wieder hinaus.

Der türkische Präsident kam am Freitagnachmittag an, danach traf er sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Dann folgt der Empfang durch Scholz, eine gemeinsame Pressekonferenz und nach einem Abendessen mit dem Kanzler sitzt Erdoğan am späten Abend schon wieder im Flieger zurück in die Türkei.

Der Plan der Bundesregierung sieht offenbar vor, möglichst öffentliche Auftritte zu vermeiden. Man ist sich bewusst, dass Erdoğan für Unruhe sorgen könnte. Allein in Berlin sind am Freitag mehrere pro-israelische und pro-palästinensische Demonstrationen angemeldet. Aufgrund der explosiven Stimmung ist der Erdoğan-Besuch wahrscheinlich möglichst kurz gehalten. Der türkische Präsident wird am Samstagabend nicht – wie von türkischer Seite gewünscht – das Freundschaftsspiel zwischen der deutschen und türkischen Fußballnationalmannschaft im Berliner Olympiastation besuchen.

Er wird auch bei diesem Besuch nicht, wie zuletzt 2018 in Köln, eine Rede vor der türkischstämmigen Community halten. Unbedingt verhindern möchte man eine Eskalation wie im Mai 2010 nach einem Erdoğan-Auftritt in einem Kölner Stadion. Damals rief er rund 15.000 seiner Landsleute zu, sich zu integrieren und Deutsch zu lernen. Jedoch fügte er auch hinzu: "Niemand kann erwarten, dass ihr euch assimiliert."


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Kein weiteres Öl ins Feuer

Für den türkischen Staatschef zählen die Menschen in Deutschland, die auch einen türkischen Pass haben, zu seiner Kernwählerschaft. Sie sehen in ihm den ersten Präsidenten, der sich um sie im Ausland kümmert. Das bringt der AKP bei jeder Wahl Zehntausende Stimmen.

Dass nun Erdoğan ohne lautstarke Kritik darauf verzichtet, nach Nordrhein-Westfalen zu reisen, um sich von seinen Anhängern dort feiern zu lassen, ist ein Zeichen: Die türkische Führung möchte eigentlich nicht weiter Öl ins Feuer gießen.

Für Erdoğan kommt die Eskalation des Nahostkonfliktes eigentlich zur Unzeit. Die Türkei steckt noch immer in einer schweren Wirtschaftskrise. Deswegen wollte die türkische Regierung sich der Europäischen Union wieder annähern und Erdoğan hatte sich erst im September mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu getroffen. Die Türkei hoffte auf bessere Handelsbeziehungen und gemeinsame Rohstoffförderungen im Mittelmeer.

Das sollte der türkischen Wirtschaft Luft verschaffen. Doch es kam anders. Nach dem Überfall der Hamas reagierte der türkische Präsident zunächst zurückhaltend, sprach sich für Verhandlungen aus und brachte sich als Vermittler ins Gespräch. Aber dann wurde der innenpolitische Druck auf Erdoğan immer größer – einerseits durch seine extremen Koalitionspartner, andererseits durch seine muslimisch-konservative Kernwählerschaft, die täglich in der Türkei gegen Israel auf die Straßen gingen.

Israel als "Terrorstaat" beschimpft

Aus machtpolitischen Interessen stellte sich der türkische Präsident mit immer harscheren Reden an die Spitze der Bewegung, wohl auch aus Furcht, seine Selbstinszenierung als der Verteidiger der muslimischen Sache in der Welt zu verlieren, wenn er es nicht tun würde.

"Mit der Brutalität der Bombardierung der Zivilisten, die während ihrer Umsiedlung aus ihren Häusern vertrieben wurden, setzt es im wahrsten Sinne des Wortes Staatsterrorismus ein", sagte Erdoğan über Israel. "Ich sage jetzt mit ruhigem Herzen, dass Israel ein Terrorstaat ist." Darüber hinaus lobte er Hamas-Mitglieder als "Widerstandskämpfer" und kritisierte den Westen für seine "unbegrenzte Unterstützung" Israels als "Heuchelei", denn Christen würden wegschauen, wenn Muslime sterben.

Aus westlicher Perspektive sind diese Äußerungen skandalös. Nicht wenige wollten Erdoğan vor seinem Deutschland-Besuch ausladen. "Eine Reise des türkischen Präsidenten nach Deutschland wäre zum jetzigen Zeitpunkt höchst problematisch", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle. Erdoğan sei ein "rhetorischer Brandstifter".

Aus türkischer Perspektive ist es der Versuch, mit populistischen Worten und einer Symbolpolitik, die Lage in der Türkei unter Kontrolle zu bringen. Denn eines muss klar sein: In der türkischen Gesellschaft gibt es sehr viele Menschen, die eine aktive Unterstützung der Hamas fordern. Das türkische Parlament lässt dagegen Coca Cola in seinen Restaurants in Ankara verbieten, weil das Unternehmen sich hinter Israel stellte. Das ist eine politische Maßnahme, die für viel Aufmerksamkeit sorgt, aber nicht wirklich Konsequenzen hat – außer vielleicht für Coca Cola.

Hätte die Bundesregierung Erdoğan ausladen sollen?

Dennoch richtet Erdoğan mit seiner aggressiven Rhetorik Schaden an, weil er die Stimmung gegen Israel weiter anheizt. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern liegen jetzt auf Eis – und auch Länder wie Deutschland reagieren wütend.

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Zuletzt wurden die unterschiedlichen Perspektiven auf den Nahostkonflikt beim Besuch von Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) Ende Oktober in der Türkei deutlich: Bei einem Treffen mit Erdoğans Stellvertreter Cevdet Yilmaz soll es laut geworden sein, berichteten mehrere Quellen aus der deutschen Delegation. Grund sollen Israel-Äußerungen der türkischen Führung gewesen sein. Er fahre "mit einem schlechteren Gefühl" weg, als er gekommen sei, konstatierte Habeck im Anschluss.

Eben diese weitere Verschlechterung der Beziehungen droht nun auch Scholz bei seinem Aufeinandertreffen mit Erdoğan. Trotzdem hält man es in diplomatischen Kreisen für richtig, dass der Besuch des türkischen Präsidenten stattfindet. Man könne sich nicht immer nur mit den Partnern treffen, mit denen man einer Meinung sei. Die Welt würde dadurch kein Stück besser werden. Man würde in einer Traumwelt leben, wenn man denke, dass es besser sei, nicht zu reden, heißt es in Diplomatenkreisen.

Furcht vor der Pressekonferenz

Dahinter steht jedoch auch ein gewisser Pragmatismus. Beide Seiten wollen kein Zerwürfnis mit der Gegenseite. Der SPD-Politiker wird sicherlich den Nahostkonflikt beim geplanten Drei-Gänge-Menü im Kanzleramt ansprechen. Doch es ist nicht das einzige Thema – im Gegenteil.

Wirtschaftlich erleben Deutschland und die Türkei aktuell nicht die besten Zeiten. Deswegen können sich beide Länder eine Verschlechterung ihrer Wirtschaftsbeziehungen nicht leisten. Die deutsch-türkische Handelsbilanz beträgt 52 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Außerdem sind knapp 8.000 deutsche Unternehmen in der Türkei tätig.

Aber Erdoğan ist nicht nur wirtschaftlich ein wichtiger Partner. Die Europäische Union drängt auch auf eine Wiederbelebung des Flüchtlingsdeals mit der Türkei. Das würde auch von Scholz innenpolitischen Druck in der Migrationsfrage nehmen. Hinzu kommt die Nato-Aufnahme von Schweden, bei der die Türkei seine Blockadehaltung aufgegeben hat – auch wenn die Ratifizierung des türkischen Parlaments noch immer aussteht. Außerdem ist die Türkei Schutzmacht von Aserbaidschan, wo sich Anfang November Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für eine Verbesserung der Lage im Konflikt um Bergkarabach einsetzte.

In Summe gibt es also viele Themen bei dem kurzen Besuch des türkischen Staatschefs in Deutschland. Für Scholz bleibt ein Risiko, denn Erdoğan ist nicht gerade einfach einzuschätzen. Deswegen bereitet man sich auch im Kanzleramt wahrscheinlich gut auf viele Eventualitäten vor.

Besonders wenn Erdoğan bei der gemeinsamen Pressekonferenz erneut Israel-Hass verbreiten sollte, steht der Kanzler unter Zugzwang. Scholz dürfte dies nicht so stehen lassen wie im August 2022 beim Skandalauftritt von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Dieser hatte die Angriffe Israels mit dem Holocaust verglichen, während der Kanzler mit versteinerter Miene danebenstand und nichts sagte. Sollte sich das mit Erdoğan wiederholen, wäre das für Deutschland eine politische Kernschmelze.

Verwendete Quellen
  • spiegel.de: Erdoğans Besuch wird für Olaf Scholz zur Gratwanderung
  • dw.com: Scholz und Erdogan: Spannungen über Nahost-Konflikt
  • tagesspiegel.de: Berliner Polizei sperrt Regierungsviertel und das Schloss Bellevue
  • tagesschau.de: Programm für ein heikles Treffen
  • rnd.de: Ein bizarrer Besuch
  • faz.net: Coca-Cola-Verbot in Ankara besorgt deutsche Wirtschaft
  • fr.de: Erdogan nennt Israel "Terrorstaat"
  • tagesspiegel.de: Bei Erdoğan-Besuch am Freitag gilt Sicherheitsstufe 1
  • zeit.de: Mindestens 65 Deutsche dürfen die Türkei nicht verlassen
  • spiegel.de: Erdoğan bezeichnet Israel als "Terrorstaat"
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