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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Putin und Xi Sie legen neues Feuer
China lädt zum großen Seidenstraßen-Gipfel in Peking ein, und die meisten demokratischen Länder sagen ab. Wladimir Putin ist der prominenteste Gast. Für den Kreml-Chef ist das Treffen ähnlich wichtig wie für Xi Jinping.
Für ihn ist es sicherlich eine besondere Reise. Wladimir Putin ist seit Beginn seines Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 kaum im Ausland gewesen. Er besuchte zwar einige Ex-Sowjetrepubliken, die ohnehin weitestgehend abhängig von Russland sind. Aber darüber hinaus sagte er die persönliche Teilnahme an den meisten Gipfeln ab und schickte oft seinen Außenminister Sergej Lawrow vor. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Putin hat mitten in Europa einen Territorialkrieg angezettelt. Deswegen luden viele Staaten den Kreml-Chef gar nicht mehr ein. Zudem gab es in Moskau oft Sicherheitsbedenken. Immerhin könnte Putin im Ausland gar Opfer eines Attentates oder verhaftet werden. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat ihn aufgrund von Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben. Deswegen sind im Prinzip alle Länder, die den IStGH anerkennen, dazu verpflichtet, Putin festzunehmen und auszuliefern.
Für den russischen Präsidenten, der laut Russland-Experten ohnehin zu Verfolgungswahn und Misstrauen neigt, sind das gewichtige Gründe, um Moskau nicht zu verlassen. Das brachte ihm in Russland bei seinen Kritikern schon den Spitznamen "Bunker-Opa" ein. Für Putin ist es deshalb wichtig, sich im Ausland einmal wieder als Staatsmann zu präsentieren. Er möchte zeigen, dass er eines nicht ist: ein Ausgestoßener.
Deshalb ist es keine Überraschung, dass er nun die Einladung des Staatschefs annahm, den er als Freund wähnt. Xi Jinping hat ab Dienstag zum Jubiläumsgipfel der chinesischen "Belt and Road"-Entwicklungsinitiative nach Peking eingeladen. Es ist ein Treffen, von dem beide Präsidenten – Putin und Xi – profitieren. Ein Treffen, bei dem China und Russland auf den Westen zielen, bei dem sie die Säge an Europa legen.
Russland ist abhängig von China
Putin und Xi, die sich immer wieder als "gute Freunde" bezeichnen, trafen schon zum Auftakt des Seidenstraßen-Forums am Dienstag aufeinander, gaben sich die Hand und wechselten kurz ein paar Worte. Anschließend stellten sie sich zu einem Gruppenfoto mit anderen Teilnehmern des Treffens auf.
Der russische Präsident konnte die chinesische Einladung kaum ausschlagen. Nach seiner Invasion in der Ukraine und die folgende wirtschaftliche Entkoppelung vom Westen ist Russland massiv von China abhängig. Chinesische Unternehmen versuchen die Lücken zu stopfen, die westliche Firmen in Russland gelassen haben. China kauft russische Rohstoffe, Russlands Reservewährung ist der chinesische Yuan und ohne grünes Licht aus Peking könnte der Kreml nicht seine Beziehungen nach Nordkorea verbessern und mutmaßlich nordkoreanische Waffen für den Ukraine-Krieg kaufen.
Deshalb kommt Putin zu einem Gipfel, der für Xi besonders wichtig ist. Das vor zehn Jahren gestartete Projekt Neue Seidenstraße hat zum Bau von Häfen, Eisenbahnlinien, Flughäfen und Industrieparks in Asien, Europa, Afrika und darüber hinaus geführt. Diese Projekte sollen China einen besseren Zugang zu den Märkten anderer Länder verschaffen. International wird die Initiative teils scharf kritisiert, weil sie ärmere Länder in die Verschuldung und Abhängigkeit von China treibt.
Für Xi ist die Neue Seidenstraße das Fundament für den Ausbau des chinesischen Einflusses. Es ist sein Herzensprojekt, das nun zehn Jahre alt wird.
Gegenwind für Xi Jinping
Deshalb nehmen ab Dienstag an dem zweitägigen Forum in Peking Vertreter von 140 Ländern teil. Putin gilt zwar als der wichtigste Gast, aber China versucht auch darüber hinaus den Gipfel möglichst pompös zu inszenieren. Es ist der größte internationale Gipfel seit der Corona-Pandemie, den die chinesische Führung in der Volksrepublik organisiert hat.
Aber der Gegenwind, der China gegenwärtig ins Gesicht weht, wird auch bei diesem Treffen deutlich. Kaum westliche Demokratien sitzen mit am Tisch, dabei sollte die chinesische Seidenstraße eigentlich Europa und Asien verbinden. Doch der Ukraine-Krieg war für viele europäische Staaten ein Weckruf, sich nicht noch weiter in eine Abhängigkeit von China zu verstricken.
Der Westen baut eigene Entwicklungsinitiativen und Handelsrouten auf. Darunter ist der sogenannte "Indien-Nahost-Europa-Korridor" (IMEC), der von Indien nach Saudi-Arabien und über Israel bis nach Südeuropa führen soll. Bislang waren diese europäischen Projekte oft wenig erfolgreich. Aber die stetigen Kampfansagen von Xi und Putin an den Westen sorgen hierbei gegenwärtig für eine große Motivation, dass diese Vorhaben ohne China funktionieren. Erst auf dem G20-Gipfel in Neu-Delhi im September verkündeten US-Präsident Joe Biden, Indiens Premier Narendra Modi und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Gründung der IMEC. Italien stellte dabei in Aussicht, das chinesische Seidenstraßen-Projekt zu verlassen.
China wird also zumindest in Europa zurückgedrängt und das ist für Xi, dessen heimische Wirtschaft sich ohnehin noch nicht von der Corona-Pandemie erholt hat, eine Katastrophe. Deswegen umgarnen Xi und Putin in Peking vor allem die Schwellenländer, die kein Interesse an westlichen Forderungen nach mehr Demokratie haben. Der Seidenstraßen-Gipfel in China ist auch eine Feier der Autokraten.
Spaltung in Europa
Für China und Russland geht es darum, Schwellen- und Entwicklungsländern eine wirtschaftliche Alternative zum Westen zu bieten. Produktionskapazitäten, Absatzmärkte, Rohstoffe – ohne Vorgaben zur Einhaltung von Menschenrechten. Das ist die Ordnung, die Putin und Xi zu konstruieren versuchen.
Dabei steht besonders Europa im Fokus, denn dort sehen Peking und Moskau die Chance, den Westen zu spalten.
Es kein Zufall, dass der chinesische und der russische Präsident bereits am Dienstag den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Peking hofierten. "Wir betrachten Sie als Freund", sagte Xi zu Orbán. Putin erklärte bei einem Treffen: Es sei sehr "zufriedenstellend", dass Russland weiterhin Beziehungen zu "vielen europäischen Ländern" unterhalte – "eines dieser Länder ist Ungarn". Es sei ihm "sehr wichtig", sich mit einem EU-Land über bilaterale Fragen, "aber auch über die Lage in Europa und der Welt auszutauschen", fügte er hinzu.
Außerdem unterzeichneten China und Serbien am Dienstag ein Freihandelsabkommen. Das Abkommen werde neue Perspektiven für die Beziehungen eröffnen, sagte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. "Wir verzeichnen Fortschritte in allen Bereichen." Das Problem: Serbien verhandelt seit 2014 über einen Beitritt zur Europäischen Union (EU). Spätestens bis zu einem Beitritt müsste das Balkanland seine Freihandelsabkommen mit Drittstaaten aufkündigen. Belgrad lässt allerdings wenig Reformbereitschaft erkennen. Die EU-Verhandlungen treten deshalb seit Jahren auf der Stelle. Das nun ist ein weiterer Rückschritt, der den Balkan weiter destabilisieren könnte.
Ukraine: Hofnung auf Frieden?
Für Putin gibt es also mehrere Gründe zur Freude. Er nutzte seinen ersten Tag in Peking, um gleich mit mehreren Staats- und Regierungschefs ins Gespräch zu kommen. Bei seinem Treffen mit Orbán sagte Putin laut russischen Medienberichten, aufgrund der "aktuellen geopolitischen Lage" seien "die Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung von Kontakten und zum Ausbau von Beziehungen" derzeit" sehr begrenzt". Dass der Grund dafür seine Invasion in der Ukraine ist, erwähnt er selbstverständlich nicht.
Außerdem sieht er eine Gelegenheit darin, dass die Welt aktuell nach dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas in Israel auf den Nahen Osten blickt und eben nicht primär auf die Ukraine. Das führt teilweise zu zynischen Bemerkungen: Russland und China kritisierten die israelischen Luftschläge und die zivilen Opfer im Gaza-Streifen, verurteilten den Angriff der Hamas aber nicht als Terrorakt. Das in einer Zeit, in der Putin gezielt zivile Infrastruktur in der Ukraine bombardieren lässt und China diesen Krieg nicht verurteilt.
Im chinesischen Fernsehen erklärte Putin in einem Interview, dass Chinas Friedensinitiative ein guter erster Schritt für Frieden sei. Aber diese Aussage ist nur ein Feigenblatt, um die Ergebnislosigkeit von Xis Initiative zu kaschieren. Der chinesische Vorstoß aus dem Februar 2023 hat bislang nichts bewirkt. Das liegt vor allem daran, dass Putin an seinen Kriegszielen festhält und von der Ukraine die Aufgabe der von Russland annektierten Gebiete fordert.
Putin möchte also momentan keinen Frieden und auch für Xi haben andere Dinge größere Priorität. Es geht in Peking um die Stabilisierung des Bündnisses zwischen Russland, China und dem Iran. Eine Achse, die in Peking, Moskau und Teheran als Fundament für den Kampf gegen den Westen gesehen wird. Am Mittwoch könnte es zu einer weiteren Kampfansage an den Westen und die Nato kommen. Dann treffen sich Xi und Putin zu einem längeren Gespräch.
- stern.de: Putin zu Gast bei Xi Jinping: Vereint gegen den Westen
- edition.cnn.com: China is celebrating a decade of the Belt and Road Initiative. What is it about? (engl.)
- bbc.co.uk: Is China's trillion-dollar gamble worth it? (engl.)
- tagesschau.de: Festnahme ausgeschlossen
- edition.cnn.com: China and Russia criticize Israel as divisions with the West sharpen (engl.)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa