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Selenskyj will Deutschland im UN-Sicherheitsrat: Was steckt dahinter?


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Sitz im UN-Sicherheitsrat
Darum macht sich Selenskyj plötzlich für Deutschland stark


21.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wolodymyr Selenskyj spricht im UN-Sicherheitsrat in New York: Der ukrainische Präsident hat einen permanenten Sitz für Deutschland in dem Gremium gefordert. (Quelle: IMAGO/JASON SZENES/imago-images-bilder)

Selenskyj fordert einen permanenten Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat. Was steckt hinter seinem Vorstoß? Und ist die Forderung des ukrainischen Präsidenten überhaupt realistisch?

Selbst für den krisenerprobten UN-Sicherheitsrat war es keine alltägliche Situation: Der Besuch des ukrainischen Präsidenten im UN-Hauptquartier in New York erregte die Gemüter schon vor dessen Ankunft. Würde Wolodymyr Selenskyj bei der Sitzung des Sicherheitsrats erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf Sergej Lawrow treffen, den Außenminister Russlands?

Dazu ist es nicht gekommen. Die Tagesordnung des Rats trennte die Redetermine der beiden Männer weit voneinander. Einen Paukenschlag gab es dennoch: Selenskyj forderte, dass Deutschland einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat bekommen solle. "Deutschland ist zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden", sagte der ukrainische Präsident am Mittwoch. "Dies ist eine Tatsache. Fakt ist auch, dass Deutschland einen Platz unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates verdient."

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Das deutsch-ukrainische Verhältnis war zuletzt immer wieder angespannt: Berlin gilt zwar hinter den USA als zweitwichtigster Unterstützer der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Doch oft zögert Deutschland bei Lieferungen wichtiger Waffensysteme, wie aktuell bei den deutschen Taurus-Marschflugkörpern. Zudem belasteten in den vergangenen Jahren Streitigkeiten um die Nord-Stream-Pipelines die Beziehungen. Warum also macht sich Selenskyj gerade jetzt für Deutschland stark?

Selenskyj zeigt "Dankbarkeit gegenüber Deutschland"

Die Forderung des ukrainischen Staatschefs sei "eine Geste der Dankbarkeit gegenüber Deutschland für die Hilfen der vergangenen anderthalb Jahre", sagt Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik an der Universität Köln, im Gespräch mit t-online. "Sein Vorstoß ist aber völlig unrealistisch."

Dass Selenskyj Deutschland als "einen der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit" bezeichne, sei zudem falsch, sagt Jäger. "Deutschland kann nicht einmal für die eigene Sicherheit garantieren." Dennoch könnte Selenskyjs Forderung in Berlin mit Wohlwollen aufgenommen und als Bestätigung aufgefasst werden.

Prof. Dr. Thomas Jäger von der Universität Köln.
Prof. Dr. Thomas Jäger von der Universität Köln. (Quelle: privat)

Zur Person

Prof. Dr. Thomas Jäger ist ein deutscher Politikwissenschaftler, Hochschullehrer und Autor. Er hat die Professur für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln inne. Zudem ist er Herausgeber der "Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik" und der Buchreihe "Globale Gesellschaft und internationale Beziehungen".

Denn der ukrainische Präsident bediene mit seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat "das Selbstverständnis der deutschen Außenpolitik", erklärt der Experte. "Deutschland hat zwar ein Interesse an einer regelbasierten internationalen Ordnung, doch die Realität sieht anders aus." Es gebe gegenwärtig keine internationale Institution, die Normen setzen und auch durchsetzen könne, so Jäger. "Wo große Staaten Regeln brechen, regiert das Recht des Stärkeren: Niemand kann die Großmächte zur Einhaltung der Regeln zwingen. Der Krieg in der Ukraine macht dies deutlich."

Selenskyj übt scharfe Kritik an den UN

Selenskyj verfolgt nach Einschätzung Jägers ähnliche Ziele wie Deutschland: "Er will eine Institution, die den Krieg in seinem Land beendet. Doch die UN können das nicht leisten." Tatsächlich übte der ukrainische Staatschef deutliche Kritik an den Vereinten Nationen: "Die Menschheit setzt ihre Hoffnungen nicht mehr auf die UN, wenn es um die Verteidigung der souveränen Grenzen der Nationen geht", sagte er in New York. Mit Blick auf den Krieg in seinem Land erklärte Selenskyj: "Wir sollten erkennen, dass sich die UN in der Frage der Aggression in einer Sackgasse befinden."

Zudem habe Selenskyj seinen Vorstoß für einen permanenten Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat eingebettet in eine Forderung nach grundlegenden Reformen der Vereinten Nationen, sagt Thomas Jäger. So forderte der Präsident auch eine stärkere Repräsentation lateinamerikanischer, asiatischer und afrikanischer Staaten in dem Gremium.

Diese Diskussion werde schon seit Langem geführt, sagt der Politologe. Bereits zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine letztes Jahr habe Selenskyj "auf die Dysfunktionalität der UN hingewiesen, einen Krieg auf der Welt zu verhindern oder zu beenden". Doch offenbar ist das ein Kampf gegen Windmühlen: Denn die aktuelle Struktur mit den fünf Vetomächten im Sicherheitsrat verhindert grundlegende Reformen der Vereinten Nationen.

"Die Vetomächte müssten für den eigenen Machtverlust stimmen"

Dem Sicherheitsrat gehören derzeit 15 der 193 UN-Mitgliedstaaten an. Fünf Atommächte sind ständig dabei und haben Vetorecht bei allen Entscheidungen: die USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich. Einige der anderen 188 Mitgliedstaaten wechseln sich auf den verbleibenden zehn Sitzen alle zwei Jahre ab. Deutschland bewirbt sich alle acht Jahre um einen Sitz, das nächste Mal für 2027/28. Seit Jahren gilt das Gremium wegen gegenseitiger Blockaden der USA, Chinas und Russlands in zentralen Fragen als weitgehend handlungsunfähig.

"Die Chance für solche Reformen gehen meiner Meinung nach aktuell gegen null", so Jäger. "Denn die Vetomächte müssten sie einstimmig beschließen und damit für den eigenen Machtverlust stimmen." Doch das ist nicht der einzige Grund, warum der Experte eine Aufnahme Deutschlands in das Gremium für unrealistisch hält.

Deutschland verfolge diesen Wunsch schon länger. So habe es nach Ende des Ost-West-Konflikts gemeinsam mit Indien, Japan und Brasilien eine Initiative gegeben, in den Sicherheitsrat aufgenommen zu werden. Diesem Vorhaben stand nicht nur die Struktur der UN im Wege, sondern auch der Proporz: Im UN-Sicherheitsrat sitzen mit Frankreich und Großbritannien bereits zwei europäische Nationen. "Nichts würde eine Aufnahme Deutschlands als drittes europäisches Land rechtfertigen, wenn die anderen Kontinente nicht gleichzeitig ausreichend Sitze zugesprochen bekommen", betont Jäger.

Die Bundesregierung machte nach Selenskyjs Rede dennoch deutlich, dass man den lange gehegten Wunsch weiter verfolge. Deutschland werbe dafür, dass der UN-Sicherheitsrat erweitert wird, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstag. Angesichts der russischen Blockade als Vetomacht im Sicherheitsrat dürfe "nicht klein beigegeben" werden, erklärte die Grünen-Politikerin.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Prof. Dr. Thomas Jäger
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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