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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Russland rüstet auf Wie Putin sich nach Wagners Marsch auf Moskau schützt
Nach dem Wagner-Aufstand greift Putin weiter durch. Davon profitiert offenbar die Nationalgarde, die dem Präsidenten direkt unterstellt ist. Was dahinter steckt.
Wiktor Solotow war einer der wenigen, der Kremlchef Wladimir Putin im Chaos des Wagner-Aufstands Ende Juni Unterstützung zusicherte. Seine Männer seien bereit, Moskau bis zum Tod gegen die anrückenden Wagner-Söldner zu verteidigen, ließ der Chef der Nationalgarde und Putins früherer Leibwächter verbreiten. In der russischen Hauptstadt und in Rostow am Don waren seine Einsatzkräfte zu sehen. Doch auch sie hielten den Vormarsch der Privatarmee nicht auf.
Nun scheint es, als ob Solotow dennoch als Nutznießer aus dem Aufstand hervorgehen könnte. Er selbst hatte bereits von der Möglichkeit gesprochen, nach dem Aufstand schwere Waffen und Panzer für seine Streitkräfte zu beschaffen. Das ist jetzt scheinbar beschlossene Sache – seine "Rosgwardija" wird offenbar insgesamt ausgebaut. Jüngst hat ein Vorhaben die Duma durchlaufen, das die Garde wohl erheblich stärken wird.
Etwas verklausuliert behandelt das Parlament das Thema aktuell unter dem Begriff "spezielle militarisierte Formationen". Solotows Truppe wird in der Regel im Inland eingesetzt und ist leicht bewaffnet. Nun sollen die neuen "Formationen" und Waffen die "Rosgwardija" offenbar schlagkräftiger machen.
Grundsätzlich soll die Nationalgarde russisches Territorium verteidigen, die Aufgaben sind vielfältig, sie ist dem Innenministerium angegliedert, aber direkt Präsident Putin unterstellt. Die Garde taucht beispielsweise immer dann auf, wenn Menschen in Russland versuchen zu demonstrieren. Beim Wagner-Aufstand waren Scharfschützen der Truppe in Moskau postiert. Generell soll sie Kriminalität bekämpfen, wird aber auch bei Terroranschlägen tätig und rückte bereits in russisch besetzte Gebiete in der Ukraine nach – Gebiete, die Russland nach einem Vormarsch völkerrechtswidrig als eigenes Territorium beansprucht. Mehr als 300.000 Mann sollen in den Einheiten der Nationalgarde dienen.
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung
Die nun in der Duma behandelten neuen Formationen sollen sie "noch umfassender unterstützen", berichtet das kremlkritische Medium "Meduza". Dazu zählt die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und die Verteidigung der Grenzen Russlands. Außerdem sollen sie "illegal bewaffnete Formationen" bekämpfen, was als Hinweis auf den Wagner-Putsch interpretiert werden kann. Für ihre Aufgaben sollen die neuen Formationen Schusswaffen bekommen.
Fahrzeuge in der Luft oder am Boden zerstören
Im Bedarfsfall dürfen die neuen Gruppierungen laut "Meduza" künftig unbemannte Fahrzeuge in der Luft, unter Wasser oder auf dem Boden zerstören. Die Einheiten von Wagner-Chef Prigoschin waren unter anderem mit Panzern aufgefahren. Wie viele Waffen die Gardisten nun bekommen – und welche –, ist demnach zunächst nicht definiert.
"Meduza" berichtet, dass die Einsatzkräfte den Schaden "so gering wie möglich halten" und die Menschen warnen müssen, bevor sie Waffen einsetzen. Waffeneinsatz sei beispielsweise erlaubt, wenn eine Menschenmenge "Gruppenwiderstand" leiste oder versuche, eine bewachte Einrichtung anzugreifen, wodurch das Leben von Personen bedroht wird. Die Formulierungen sind vage gehalten, der "Bedarfsfall" ist also weit auslegbar.
Der russischen Zeitung "Wedomosti" zufolge soll zudem die "Grom"-Einheit der "Rosgwardija" unterstellt werden. Diese bekämpft eigentlich Drogenkriminalität, soll aber "radikal" mehr Befugnisse erhalten und von rund 2.700 auf 6.200 Personen vergrößert werden.
Paramilitärs gegen bewaffnete Aufstände
In Moskau soll ebenfalls eine Einheit entstehen. Bislang ist relativ wenig über diese Hauptstadteinheit bekannt, denkbar wäre, dass sie bei der Bekämpfung künftiger Drohnenangriffe eingesetzt werden könnte, sowie bei inländischem Terrorismus. Offenbar werden derzeit Mitglieder rekrutiert. Das berichtet "Meduza".
Die Journalistin Farida Rustamowa argumentiert laut "Meduza", dass der Kreml "Schlussfolgerungen aus dem Prigoschin-Aufstand" gezogen habe und sich im Falle eines weiteren bewaffneten Aufstandes anderer paramilitärischer Gruppen schützen wolle.
Rosgwardija erhält Panzer
Dass die "Rosgwardija" selbst ebenfalls besser ausgestattet wird, steht bereits fest: Garde-Chef Solotow erklärte Ende Juni bei einer Ansprache im Kreml, dass seine Einheiten Panzer und Artillerie erhalten würden. Wann sie geliefert würden, hänge noch von der Finanzierung des Vorhabens ab, es sei aber mit Putin abgestimmt. Der Sprecher der "Rosgwardija", Walerij Gribakin, sagte der Wirtschaftszeitung "RBK", die Panzer ermöglichten es der Garde, "die übertragenen Aufgaben effektiver zu erfüllen"; auch ihre Vorgängerorganisation habe bereits Panzer besessen.
Der Duma-Abgeordnete Alexander Chinstein betonte in der Vergangenheit, dass das Vorhaben bereits vor dem Aufstand im Kreml angestoßen worden sei. Die Wichtigkeit des Plans habe der Aufstand aber nochmals bestätigt.
Neben der Zuteilung weiterer Einheiten und Waffen könnte die "Rosgwardija" zudem unmittelbar vom Wagner-Aufstand profitieren: Einige der gut ausgebildeten Wagner-Kämpfer könnten zur Nationalgarde überlaufen.
- meduza.io: "Just try it again, mercenaries" (englisch)
- wedomosti.ru: "Силовые ведомства прорабатывают вопрос о переподчинении полицейского спецназа "Гром" Росгвардии" (russisch)
- rbc.ru: "Зачем Росгвардии дадут танки и как это связано с мятежом 'Вагнера'" (russisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters