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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krieg in der Ukraine China lässt eine Bombe platzen
Der Ukraine-Krieg tobt seit fast einem Jahr, die Fronten zwischen dem Westen und China sind verhärtet. In München wagt Peking nun einen überraschenden Vorstoß.
Der Ton ist rau, der Streit unüberhörbar: Die Beziehungen zwischen den USA und China sind auf einem historischen Tiefpunkt, das wird auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz deutlich. Auf offener Bühne wirft Peking der US-Regierung "aggressives Verhalten" und eine Schmutzkampagne vor. Washington warnt die Volksrepublik dagegen öffentlich vor einer Waffenhilfe für Wladimir Putin im Ukraine-Krieg.
Es herrscht Eiszeit, auch nach bilateralen Gesprächen gibt es in München keine Annäherung. Der offene Schlagabtausch der Großmächte zeigt vor allem eines: Die Welt gleitet immer schneller in eine neue Blockbildung, die Gräben werden tiefer.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist der Katalysator im Ringen um eine neue globale Ordnung. China unterstützt Russland, möchte sich aber nicht zu offensiv positionieren, um nicht zum Ziel westlicher Sanktionen zu werden. Doch nun – nach fast zwölf Monaten Krieg – scheint auch Peking langsam die Geduld zu verlieren.
Deswegen kündigt die chinesische Führung einen Friedensplan für die Ukraine an. Er soll am 24. Februar vorgestellt werden, genau ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion. Damit überraschte Staatschef Xi Jinping am Samstag den Westen. Doch ob eine Verhandlungsinitiative Chinas tragfähig sein kann, ist fraglich. Denn das Misstrauen gegenüber der Volksrepublik angesichts der chinesischen Partnerschaft mit Russland ist groß.
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Ballon-Streit eskaliert in München
Für Xi reiste kein Unbekannter nach München: Wang Yi ist Chinas oberster Außenpolitiker. Er gilt als "Wolfskrieger", der außenpolitischen Denkrichtung in der Volksrepublik, die für einen konfrontativen Kurs gegenüber dem Westen, der USA und der Nato steht.
Wang Yi enttäuschte in München die Hardliner in seinem Land vermutlich nicht. In einer Rede warf er den USA vor den versammelten internationalen Politikern und Experten eine "hysterische" Reaktion in der Affäre um den angeblichen Spionageballon vor. Er beschuldigte die US-Regierung, eine "fehlgeleitete" Sicht von China zu haben und Pekings Ansehen "beschmutzen" zu wollen.
China fordere die USA auf, nicht derart "absurde Dinge" zu tun, nur um "die Aufmerksamkeit von innenpolitischen Problemen abzulenken", sagte Wang Yi. "Es gibt viele Ballons aus vielen Ländern am Himmel. Wollt ihr jeden einzelnen davon abschießen?", fragte der chinesische Top-Diplomat ironisch.
Am späten Samstagabend folgte die Antwort der USA. Nach einem Treffen zwischen US-Außenminister und Wang Yi nannte Anthony Blinken den Spionageballon eine "unverantwortliche Tat", die nie wieder geschehen dürfe. Zudem drohte er mit "Konsequenzen", sollte Peking Moskau "materielle Unterstützung" zukommen lassen oder bei der Umgehung westlicher Sanktionen helfen.
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Die rauen Töne von Wang Yi können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ballon-Vorfall ein politisches Eigentor Chinas war. Zwar gab auch US-Präsident Joe Biden kein gutes Bild ab, wirkte wie ein Getriebener, weil er zunächst abwartete und erst unter innenpolitischem Druck einen Kampfjet losschickte, der den Ballon vom Himmel holte. Doch der Fehler wurde in Peking gemacht.
Xi steht weiterhin hinter Putin
Ohnehin sieht sich China mittelfristig in einem Konflikt mit den USA. Zwar sieht man in Washington wie in Peking, dass man in den globalen politischen Fragen – etwa der Klimakrise oder dem Welthandel – zusammenarbeiten muss. Aber in München geht es nicht darum, Wogen zu glätten, sondern um die Suche nach Verbündeten im heraufziehenden neuen Blockkonflikt.
Auch deshalb versucht China international nun wieder in die Offensive zu kommen. Der angekündigte Friedensplan ist auch deswegen überraschend, weil Chinas Führung in den vergangenen zwölf Monaten eher so tat, als ginge sie der Ukraine-Krieg gar nichts an.
Doch was steckt hinter dieser Kehrtwende? Das ist bisher noch unklar. Wang Yi beließ es erst einmal bei der Ankündigung.
China hat sich in dem Konflikt hinter Putin gestellt, aber den gewaltsamen Angriff auf die ukrainische Souveränität durch Russland sah man in Peking von Anfang an nicht wirklich gerne. Trotzdem will die chinesische Führung nicht riskieren, dass Putin am Ende den Krieg und dann vielleicht sogar seine Macht verlieren könnte. Deswegen liefert Peking offiziell Halbleiter oder Dual-Use-Güter – also Dinge, die zivil und militärisch genutzt werden können. Außerdem vermuten Militärexperten wie Gustav Gressel, dass China Russland auch mit Waffen unterstützt, die offiziell aus Nordkorea kommen.
Für den chinesischen Staatschef Xi Jinping ist das ein Ritt auf der Rasierklinge. Nach dem Ende der Null-Covid-Politik ist die chinesische Wirtschaft geschwächt und einen möglichen Wirtschaftskrieg mit dem Westen möchte Peking verhindern. Auch deshalb agierte China in der Ukraine-Frage stets zurückhaltend.
China kann sich nicht mehr wegducken
Doch diese Strategie funktioniert nicht mehr. Die Volksrepublik möchte in Zukunft die weltweit dominierende Supermacht werden und in globalen Fragen schauen mittlerweile viele internationale Akteure auf Peking. Deshalb kann sich China nun nach zwölf Monaten, in denen Peking auf ein schnelles Ende des Konfliktes und auf einen Sieg Putins gehofft hatte, langsam nicht mehr wegducken.
Aber genau deswegen befürchten viele westliche Diplomatinnen und Diplomaten in München, dass es China vor allem erst einmal um einen Tätigkeitsnachweis in dem Konflikt geht. Manche argwöhnen, dass der chinesische Friedensplan als ersten Schritt den Stopp von westlichen Waffenexporten an die Ukraine beinhalten könnte. Das würden und können die ukrainischen Verteidiger nicht akzeptieren.
Politisches Manöver oder ernsthafter Friedensplan?
Deshalb überwiegt nach der Ankündigung des chinesischen Friedensplans für die Ukraine auf der Münchner Sicherheitskonferenz im westlichen Lager die Skepsis. Unter anderem die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) begrüßte es zwar grundsätzlich, eine friedliche Lösung in der Ukraine herbeizuführen. "China ist als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat verpflichtet, seinen Einfluss für die Sicherung des Weltfriedens einzusetzen", sagte sie.
Gleichzeitig erteilte die Außenministerin jeglicher Forderung nach einem Abtreten besetzter ukrainischer Gebiete an Russland eine Absage. Die Menschen in der Ukraine dürften nicht zu Russlands Beute gemacht werden – "und das werden wir nicht tun", sagte Baerbock.
Auch der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, dämpfte die Erwartungen an den chinesischen Friedensplan. "Es wäre schon eine große Überraschung, wenn China sich dazu durchringen würde (…) einen kompletten Fahrplan zum Frieden vorzustellen", sagte Ischinger im Interview mit den ARD-"Tagesthemen". Sehr realistisch sei dies nach seiner Einschätzung aber "eher nicht".
Ischinger bewertete Chinas Auftritt in München als ein Zugehen auf Europa – bei gleichzeitiger Verurteilung der Vereinigten Staaten als angeblicher Verursacher des Ukraine-Kriegs. Der Plan der chinesischen Führung könnte sein, das westliche Bündnis zu schwächen, indem man europäischen Ländern politische Angebote macht und sie versucht, von den USA loszueisen.
In der Vergangenheit sahen Despoten wie Xi oder Putin den fehlenden Zusammenhalt der europäischen Demokratien untereinander als Achillesferse des westlichen Blocks an. Ob der chinesische Friedensplan nur ein politisches Manöver ist, um den Westen zu manipulieren, wird sich zeigen.
- Redebeiträge auf der Münchner Sicherheitskonferenz
- tagesschau.de: Kommt die chinesische Friedensinitiative?
- dw.com: Schlagabtausch in München
- sueddeutsche.com: Harris appelliert an China
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp