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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Britische Monarchie vor einer neuen Ära Neuer König – gespaltenes Reich
Elizabeth II. scheidet mitten in der Krise aus dem Leben, die politischen wie wirtschaftlichen Zeiten sind turbulent. Was heißt das für die Krone?
Die Queen ist tot – trotzdem muss es weitergehen. Doch das Vereinigte Königreich befindet sich in turbulenten Zeiten – wirtschaftlich wie politisch. Auch wenn sich nach dem Tod der Königin die britische Nation hinter das Königshaus stellt: Wie tief verankert ist die Monarchie noch auf der Insel? Und wie kann sie unter König Charles weiterbestehen?
Die Krone vor einer neuen Ära
Mit 96 Jahren starb Königin Elizabeth II. an diesem Donnerstag im schottischen Balmoral. 70 davon hatte sie als Monarchin regiert. Damit endet eine Epoche für Großbritannien. "Eine für die Monarchie gewaltige Zäsur", sagt Gerhard Dannemann, Direktor des Großbritannien-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin, zu t-online. "Queen Elizabeth war eine Institution", sagt auch Michèle Auga, die die Londoner Korrespondenz der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) leitet. Sie habe das krisengeschüttelte Land wiederholt zusammengehalten. Doch Stand heute sei die britische Gesellschaft "politisch und sozial zutiefst gespalten."
Zuletzt beherrschten Krisen Elizabeths Regentschaft: der Finanz- und Wirtschaftskollaps 2008, der Brexit 2016, die Corona-Pandemie seit 2020 und zuletzt ein Krieg – mitten in Europa. Entsprechend komplex ist das Erbe, das der neue König antritt.
"Was Charles III. natürlich nicht kann, ist, die 70 Jahre Kontinuität einfach fortzusetzen", sagt Forscher Dannemann. Charles sei ein neues Gesicht, wenn auch als Prinz schon bekannt. Er müsse jetzt seine Rolle finden. "Keine leichte Aufgabe", meint auch Katharina Barley. Die Europapolitikerin, ehemalige Bundesministerin und Deutsch-Britin, sagte am Freitag zu t-online: "Die Queen war diejenige, die das Land sehr stark zusammengehalten hat", eine Art Kitt. "Das ist jetzt die Frage – ob es diesen Kitt künftig so noch geben wird."
Neuer König – gespaltenes Reich
Die Bedeutung der Queen, sagt Barley, könne man "wirklich nicht hoch genug einschätzen. Sie war eine Großmutterfigur, schichtübergreifend. Ich kenne sehr viele Leute, die sagten: Ich bin kein Monarchist, aber die Queen ist eine fantastische Persönlichkeit und es ist fantastisch, was sie mit unserem Land macht." Eben dieses Erbe müsse sich die nächste Generation erst wieder verdienen.
Katharina Barley
Barley, 53, saß bis 2019 für die SPD im Deutschen Bundestag und war unter anderem Justizministerin. Dann wechselte sie ins Europäische Parlament und wurde dessen Vizepräsidentin. Sie hat einen deutschen und einen britischen Pass.
Denn die aktuellen Fliehkräfte, die den sozialen Zusammenhalt gefährden, sind enorm. Die Wirtschaft ächzt unter den Folgen des Kriegs in der Ukraine, die Inflation ist noch höher als in Deutschland. Teile der Bevölkerung drohen durch die Energiekostenkrise zu verarmen. Und das Gerangel mit Brüssel um den Brexit geht weiter, die Partys der Johnson-Regierung mitten in den Lockdowns sind nicht vergessen. Außerdem droht die Nordirlandfrage zu eskalieren und die Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland flauen auch nicht ab.
Charles und die Öffentlichkeit – ein schwieriges Verhältnis
Und da ist ein weiterer Aspekt: Der neue König pflegte als Thronanwärter nicht immer das beste Verhältnis mit der Öffentlichkeit. Er wirkte oft distanziert, viele verziehen ihm den Umgang mit Prinzessin Diana nicht. Auch mit den Medien werden ihm nicht die besten Kontakte nachgesagt.
Politikerin Barley warnt, deswegen müsse Charles jetzt beweisen, dass er vereinen könne wie seine Mutter. "Auch wenn eine Distanz bleiben wird." Die werde er wohl nicht mehr ablegen, mit seinen 73 Jahren werde er sich nicht mehr fundamental ändern. Daher solle er auf seine direkte Umgebung setzen. "Es wäre ein kluger Zug, seinen älteren Sohn William, der ja sehr charismatisch ist, einzubeziehen", sagt Barley. (Mehr dazu lesen Sie hier). "Auch Charles' Frau Camilla hat in den vergangenen Jahren an Respekt in der Bevölkerung gewonnen."
Doch welche Macht hat der König überhaupt? Als Staatsoberhaupt wohnt ihm zwar eine historische Autorität inne. Doch seine exekutiven Befugnisse sind beschränkt. "Das Protokoll ist ziemlich klar", sagt Gerhard Dannemann. Es gebe wöchentliche Begegnungen zwischen dem König und der neuen Premierministerin Liz Truss. Auch verkünde der König einmal im Jahr die Gesetze, die das Parlament und die Regierung verabschieden wollen. Das aber seien Zeremonien, meint Dannemann.
Der König repräsentiert, er entscheidet nicht. Er besitzt "theoretische Befugnisse", sagt Michèle Auga. Das Regierungsprogramm etwa dürfe er nur vorlesen, nicht kommentieren oder kritisieren. Trifft er sich mit Truss, darf er laut Dannemann "Fragen stellen", "Besorgnis anbringen" oder sich einfach nur berichten lassen. Aber "was da genau passiert, wissen wir nicht. Das ist geheim." Wirklich groß schätzt er Charles' Spielraum nicht ein.
Dabei war der neue König Charles III. immer ein politischer Mensch, äußerte sich in der Vergangenheit vor allem zum Klima- und Umweltschutz. Zuletzt ließ er die Johnson-Regierung wissen, dass er mit ihrer Abschiebepolitik überhaupt nicht einverstanden war. "Dieses persönliche Engagement wird er ab sofort einstellen müssen", sagt Auga zu t-online. Eine Meinung, die Dannemann teilt. Er könne sich vorstellen, dass es ihm nicht gelingen wird, sich zurückzunehmen. Aber er werde seinen Stil finden, sich "einruckeln".
Gerhard Dannemann
Dannemann, 63, ist Professor für Englisches Recht sowie britische Wirtschaft und Politik an der Humboldt-Universität in Berlin. Dort leitet er das Großbritannien-Zentrum.
Politikerin Barley hingegen meint: "Ich hoffe, dass er sich darauf konzentriert, worin er stark ist. Er muss zeigen, dass er das Beste will für sein Land. Und sollte seinen Einsatz für den Klimaschutz, für die Menschenrechte betonen." Eigene Eitelkeiten gelte es nun zurückzustellen, "Verletzungen", die er in der Vergangenheit bei Konflikten mit den Medien erfahren habe. Zwar könnten in Zukunft die Medien "die Samthandschuhe ablegen", meint Dannemann, so erhielte die gesellschaftliche Diskussion über das Amt aber möglicherweise auch mehr Breite.
Herausfordernd werde zudem die Zusammenarbeit mit der Regierung Truss, sagt Politikerin Barley. "Beide müssen das gleiche Ziel haben, nämlich das Vereinigte Königreich und das Commonwealth zusammenzuhalten" – Truss müsse den Brexit bewältigen und Charles III. für den sozialen Kitt sorgen.
Warum so viel Aufhebens um einen Mensch mit Krone?
Doch mancher Europäer fragt sich, weshalb überhaupt so viel Aufhebens um einen Menschen mit Krone gemacht wird. Doch die Royals sind unverrückbar im Selbstbild der Briten, "durch alle Stürme hinweg", sagt Auga. Europäischen Republiken, die sich ihre Rechte teils durch Revolutionen erkämpften, könne das royale Gehabe aus der Zeit gefallen vorkommen. Die Monarchie werde dagegen von vielen Briten auch in gesellschaftlich stark benachteiligten Kreisen "nicht infrage gestellt", sagt Auga.
Trotzdem gibt es auch Briten, die ihre Staatsform abschaffen wollten. England-Experte Dannemann zufolge sind es derzeit zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Bevölkerung. Pikant dabei: Selbst die Premierministerin Liz Truss gehörte mal dazu. Als Politikerin von 19 Jahren wetterte sie, die Monarchie gehöre abgeschafft, später gab sie an, sie bereue ihre Worte. Mehr zu Liz Truss lesen Sie hier.
Michèle Auga
Auga ist Politikwissenschaftlerin und leitet in London das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Großbritannien.
"Liz Truss ist im politischen Geschäft wirklich gut genug zu Hause, dass sie schon vor langem erkannt hat, dass es einer britischen Premierministerin nicht ansteht, an der Rolle der Monarchie zu zweifeln", sagt der Berliner Forscher Dannemann. Ihre Macht beruhe historisch immer noch auf der Macht des Königs. Politikerin Barley sagt dazu: "Liz Truss hat ihre Position zu sehr vielen Dingen im Laufe ihres Lebens fundamental geändert." Generell sei beim Thema Monarchie aus Sicht der Politik immer ein bisschen Opportunismus dabei. Aber: Sich gegen Königin Elizabeth zu stellen, sei nicht populär gewesen. Ob das bei einem König wie Charles auch so sein wird, müsse man abwarten.
Eine konservative Premierministerin jedenfalls spricht eher gegen Turbulenzen zwischen Downing Street 10 und Buckingham Palace: "Diese Partei ist immer eine königstreue Partei gewesen", sagt Auga von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Erst in der Glorious Revolution 1688/89 habe sie sich dazu durchgerungen, die Macht des Monarchen einzuschränken. Sie erwarte keine Veränderung im Hinblick auf die britische Verfassung.
Zu erwarten sein dürfte also, dass sich beide Seiten erst einmal um eine konstruktive Zusammenarbeit bemühen. Auch wenn der neue König einen Großteil seines Lebens auf sein Amt als Staatsoberhaupt vorbereitet worden ist, letztlich seien beide ja recht neu im Job, sagt Dannemann. Und – fügt Auga an: In Charles' Interesse sei es sicher nicht, dass er der erste Regent seit 1707 wäre, unter dessen Führung die Einheit des Königreiches zerfiele.
- Gespräch mit Gerhard Dannemann am 9.9.2022
- Gespräch mit Katharina Barley am 9.9.2022
- Schriftliche Stellungnahme von Michèle Auga am 9.9.2022