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Sanna Marins Partyfotos: Lasst sie feiern! Sie rettet gerade Europa


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Der Suff und der Krieg
Es gibt einen Skandal – aber nicht um Marins Partyfotos

  • Jonas Mueller-Töwe
MeinungEin Kommentar von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 24.08.2022Lesedauer: 4 Min.
Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin: Sexismus überschattet ihren historischen Verdienst. Ein Mann kommt mit einem tatsächlichen Skandal davon.Vergrößern des Bildes
Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin: Sexismus ihr gegenüber überschattet ihren historischen Verdienst. Ein Mann kommt mit einem tatsächlichen Skandal davon. (Quelle: Nicolas Maeterlinck/imago images)

Eine Frau vollbringt Historisches, ein Mann versagt im Angesicht des Schreckens. Lassen Sie sich nicht von angeblichen privaten Fehltritten ablenken.

Whiskey zum Frühstück, ab da die Drinks stetig bis zum Einschlafen: Winston Churchill hat es sich reingekippt, bis es nicht mehr ging. Ein Pegeltrinker, ein Alkoholkranker, der sich Nazi-Deutschland stellte und Europa gemeinsam mit den Alliierten die Freiheit erkämpfte. Vielleicht gab es jene, die ihm zu seiner Zeit absprachen, aufgrund seines Lebenswandels für das Amt des britischen Premiers geeignet zu sein. Rückblickend schwiegen solche Stimmen beschämt.

Eine absurde Situation

Mit weniger Nachsicht hat die Geschichte Boris Jelzin bedacht, der als Russlands schwacher Präsident des Wandels in Erinnerung geblieben ist. Versoffen, chaotisch und egozentrisch. Doch seinen Moment in der Geschichte wird ihm niemand nehmen, als er auf die Panzer stieg und damit den Putsch der Apparatschiks gegen Gorbatschow verhinderte. Dafür gebührt ihm noch heute Dank.

Männern wird so etwas leicht verziehen. Es gilt womöglich noch als besonders markanter Charakterzug. Für eine Frau in vergleichbarer Position ist in der öffentlichen Anschauung wohl schon ein kleiner Tanz ein wenig viel. Sexismus ihr gegenüber überschattet das politische Wirken der finnischen Ministerpräsidentin derzeit fast völlig. Über ihre Partys wird geredet und geschrieben. Private Videos werden veröffentlicht.

Eine absurde Situation, da sie Historisches vollbringt, während der deutsche Bundeskanzler – ein Mann – im Angesicht des Schreckens verzagt und versagt.

Finnland tritt der Nato bei

Ob Sanna Marins großer historischer Moment bereits vorbei ist oder ein noch größerer kommt, bleibt abzuwarten. Fest steht: Zu einem Zeitpunkt, an dem Europa Finnland mehr denn je braucht und Finnland Europa ebenso, führt sie ihr Land ins westliche Verteidigungsbündnis Nato. Es ist ihr zu verdanken, wenn Russland an der nördlichen Flanke von Überfällen im Baltikum abgeschreckt wird. Die Solidarität Finnlands mit der vom russischen Vernichtungsfeldzug bedrohten Ukraine ist beispielhaft.

Das sind vielleicht nicht ihre einzigen Verdienste, und vielleicht macht sie innenpolitisch Fehler. Aber allein an ihrem politischen Wirken ist Marin zu messen. Die "Kontroverse" um ihre Partybilder ist lachhaft. Noch nicht einmal eine vermeintliche Alkoholkrankheit steht hier zur "Debatte". Wie bei Churchill und Jelzin wäre sie wohl kein Ausschlusskriterium, aber vielleicht tatsächlich wenigstens Anlass zur Frage nach ihrer Amtsfähigkeit.

Es gibt keine "Debatte"

Medien begründen ihre Berichterstattung gern mit bestimmten Begriffen. Von "Debatte" ist etwa die Rede, von "Kontroverse" um die Ministerpräsidentin und von "Kritik", in der Marin stehe. Tatsächlich verschleiern diese Begriffe fast ausschließlich den Voyeurismus des Publikums. Es ist Unterhaltungsberichterstattung, die auch bei t-online deswegen gern gelesen wird, weil sie einen Einblick in die Lebenswelt derer ermöglicht, die man sonst nur aus Fernsehen oder Zeitung kennt.

Auf einmal werden Sprechautomaten zu Menschen, die feiern, tanzen, Alkohol trinken, sich daneben benehmen, am nächsten Tag vielleicht das eine oder andere bereuen. Merkel im Urlaub, Gauland in Badehose. Manche empfinden Häme, manche Mitleid, manche feiern innerlich ein bisschen mit oder würden sich auch gern mal wieder mit Badelatschen an den Strand legen. Das Informationsinteresse tritt zurück und wird zum Vorwand, Emotionen werden bedient. Auch das ist Aufgabe von Presse, es ist grundsätzlich noch nicht einmal verwerflich – in manchen Fällen aber durchaus.

Es ist Sexismus

Es ist aber kein Skandal. Es gibt kein Partygate um Sanna Marin. Dass manchen schlicht missfällt, dass sie feiert und tanzt, ist Sexismus. Dass sie sich zu Tanzpartnern äußern muss, ist Sexismus. Dass ihr deswegen die Fähigkeit abgesprochen wird, ein Land zu regieren, ist Sexismus. All das wird von Medien durch den Vorwand einer "Debatte" reproduziert. Mit all dem sähe sich ein Mann nie konfrontiert.

Die angeblichen Drogenexzesse sind von finnischen Rechtsextremen herbeifantasiert und über den Boulevard in die "Debatte" gedrückt worden. Übrig bleiben ausgelassene private Feiern und die bigotte öffentliche Frage danach, was denn zwischen ihr und dem Mann gelaufen sei, mit dem sie dort tanzt. Er sei schließlich nicht ihr Ehemann. Ein Abgrund moralischer Eitelkeit.

Der Skandal ist der Bundeskanzler

Tatsächlich hat sich Marin wegen der medialen "Debatte" genötigt gefühlt, einen Drogentest vorzulegen – und ihr Tanzpartner (übrigens kein "Fremder", sondern ein Freund), sah sich gezwungen klarzustellen, dass da eben nichts "Unangebrachtes" geschehen ist. Wobei zunächst einmal zu fragen wäre, was denn "Unangebrachtes" zwischen zwei Erwachsenen im Einvernehmen beider geschehen kann, was die Öffentlichkeit anginge.

Marin hat das Glück und das Pech, auf der Tanzfläche eine bessere Figur zu machen als die meisten ihrer Amtskollegen und Amtskolleginnen. Und wahrscheinlich auch viele Journalisten und Journalistinnen, Leserinnen und Leser. Ein Tänzchen von Herrn Scholz in einem schummerigen Partykeller erhielte diese Aufmerksamkeit wohl nicht. Vielleicht würden wir uns dennoch kurz dafür interessieren.

Interessieren Sie sich auch ruhig weiter dafür. Für Frau Marin privat, auch für Herrn Scholz. Verwerflich ist es nicht. Die Partyfotos sind aber kein Grund zur Aufregung. Sie sind kein Maßstab zur Bewertung von Marins Amtsführung. Ein Skandal ist, dass während Finnland und Marin Europa in der schwersten Stunde beistehen, Deutschland und Herr Scholz noch immer nicht die versprochenen Waffen an die Ukraine liefern, wo die Freiheit Europas verteidigt wird.

Der alkoholkranke Churchill gilt noch heute als einer der größten Staatsmänner aller Zeiten. Marin ist dabei, Historisches zu vollbringen. Wie die Geschichte auf Scholz blicken wird, ist fraglich. Auch ohne Tänzchen im schummerigen Partykeller.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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