Alternative in Afrika Wie demokratisch ist Deutschlands neue Gas-Hoffnung?
Schon bald soll aus Afrika Erdgas nach Europa verschifft werden. Doch auch die stabilsten Länder in der Region haben tiefreichende Probleme.
Wenn es nach Bundeskanzler Olaf Scholz geht, wird der Senegal bald eine wichtige Rolle für Deutschlands Energieversorgung spielen. Das kleine Land in Westafrika soll zumindest einen Teil der Lücke füllen, die durch das fehlende Gas aus Russland entstanden ist. Ab Herbst 2023 will der Senegal Flüssigerdgas (LNG) exportieren – unter anderem nach Deutschland und Europa, wie Senegals Präsident Macky Sall bei Scholz' Besuch im Mai angekündigt hat.
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Senegals Gasfeld weckt Europas Interesse
Es geht um ein Gasfeld vor der Küste, an dem neben dem Senegal auch Mauretanien Anteile hält. Präsident Sall schätzt, dass sein Land Ende kommenden Jahres 2,5 Millionen Tonnen LNG exportieren kann, bis 2030 sollen es jährlich bis zu 10 Millionen Tonnen werden. Zum Vergleich: LNG-Riese Katar exportiert derzeit pro Jahr fast 80 Millionen Tonnen.
"Die großen, mächtigen Demokratien der Zukunft sind in Asien, Afrika und im Süden Amerikas und werden unsere Partner sein", sagte Scholz jüngst beim G7-Gipfel in Elmau. Einer dieser Partner soll nun der Senegal sein. Das an Mali grenzende Land ist laut Scholz auch ein Stabilitätsanker für die von Terrorismus geschüttelte Sahel-Region. Ähnlich äußerte sich Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei seinem Senegalbesuch im Februar, nur wenige Tage nach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Der Senegal wurde 1960 unabhängig von der damaligen Kolonialmacht Frankreich. Anders als die meisten Länder in der Region ist er ohne Kriege, Revolutionen und Putsche ausgekommen. Das Mehrparteiensystem gilt als Ausweis für Demokratie.
"Der Senegal ist keine Demokratie"
Wer den senegalesischen Elektriker Abdoulaye Wade fragt, erhält eine andere Antwort: "Da muss ich direkt lachen. Der Senegal ist keine Demokratie. Wir haben nicht das Recht, frei unsere Meinung zu sagen und zu demonstrieren." Der 34-Jährige sitzt auf einem Plastikstuhl im Wohnzimmer der kleinen Familienunterkunft am Stadtrand von Dakar: Um einen betonierten Innenhof gruppieren sich vier kleine Zimmerchen mit Kochgelegenheit für mehr als ein Dutzend Erwachsene und Kinder.
Sein Bruder, der Schneider Cheikh Wade, war im März 2021 schlagartig im Senegal berühmt geworden – aus traurigem Anlass. Der damals 32-jährige Cheikh wurde am Rande einer Demonstration mutmaßlich von einem Polizisten erschossen. Ein Video, das viral ging, dokumentiert seinen Tod. Die Aufnahmen wurden von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International geprüft. Die Polizei half damals nicht.
Cheikhs Mutter Marième sitzt bei dem Gespräch auf dem kühlen Fliesenboden. Die 65-Jährige hat Tränen in den Augen. "Cheikh ist in seinem Grab und der Polizist, der ihn getötet hat, sitzt in seinem klimatisierten Büro", sagt die schmale Frau in der Landessprache Wolof. "Cheikh hat die Familie immer unterstützt." Das bescheidene Einkommen des Schneiders fehlt der Familie jetzt. Seine Nähmaschine steht heute unbenutzt in der Ecke seines früheren Zimmers. Cheikhs Zwillingsschwester Ngoné muss ihren Geburtstag nun allein feiern. Fotos an den Wänden erinnern an ihren Bruder.
Mit Hilfe von Amnesty hat die Familie ein Gericht angerufen wegen vorsätzlicher Tötung. Mehr als ein Jahr später gibt es noch keine Antwort. Tod durch schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen und Knochenbrüchen durch Schuss in den Hinterkopf, steht im Autopsiebericht.
Unruhen, Unzufriedenheit, Armut
Im März 2021 erlebte der Senegal die schwersten Unruhen in seiner Geschichte, sagen Beobachter. Tagelang gingen Zehntausende Menschen überall im Land auf die Straßen, um gegen die vorübergehende Festnahme des Oppositionspolitikers Ousmane Sonko zu protestieren.
Die Unzufriedenheit in dem 18-Millionen-Einwohner-Land ist ohnehin groß: Es fehlt an Arbeitsplätzen und Infrastruktur. Nach Angaben der Weltbank lebt mehr als jeder dritte Mensch hier unterhalb der Armutsgrenze. Das Durchschnittsalter liegt bei 19 Jahren.
Die Regierung von Macky Sall nannte die Gewalt bei den massiven Protesten "Terrorismus" und versprach Aufklärung. Amnesty International zählte landesweit 14 Todesopfer, die Regierung 13. Bis heute liegt kein Bericht der staatlichen Institutionen öffentlich vor. Anfragen der Deutschen Presse-Agentur an das Innenministerium und die Polizei blieben bislang unbeantwortet.
Experten sehen "autoritäre Tendenzen"
"Eine Demokratie ist nie perfekt. Aber mit Präsident Sall sehen wir autoritäre Tendenzen", sagt der Politikwissenschaftler Maurice Dione von der Universität Gaston Berger in St. Louis. Die Regierung verbiete immer öfter Demonstrationen, insbesondere der politischen Opposition. Zuletzt etwa Mitte Juni: Wieder ging es um den Oppositionspolitiker Sonko, der 2024 voraussichtlich bei den Präsidentschaftswahlen antreten will.
Dabei steht eine Frage im Raum: "Alle Anzeichen weisen darauf hin, dass Sall eine dritte Amtszeit anstrebt. Und das ist vollkommen illegal." Die Verfassung verbiete das klar, sagt Dione.
Vor allem deswegen seien die am 31. Juli anstehenden Parlamentswahlen im Senegal so wichtig: Wenn Salls Liste gewinnt, dann könnte ihm das Rückenwind geben. "Wenn Sall tatsächlich ein drittes Mandat will, dann wird es wieder Gewalt im Land geben." Bisher hat Sall sich nicht von den Mutmaßungen distanziert. "Auch für Deutschland ist die Stabilität im Senegal von Interesse für die Zusammenarbeit", sagt Politikwissenschaftler Dione.
- Nachrichtenagentur dpa