Rassistische Rede Warum Orbán die EU zu zerreißen droht
Ungarns Premier schwurbelt über "Rassenmischung" und hält Putin die Treue. In Österreich rollt man für den "lieben Viktor" dennoch den roten Teppich aus.
Schrille Reden und Tiraden ist man von Viktor Orbán gewohnt. Doch mit seinen jüngsten Entgleisungen hat der ungarische Regierungschef selbst eigene Anhänger irritiert. Nach seinem Gerede von angeblich "gemischten Rassen" kündigte eine enge Vertraute, weil sie Orbáns Rhetorik an Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels erinnere.
Der ungarische Premier hatte bei einer Rede am Samstag vor Tausenden von Anhängern in Rumänien unter anderem eine "gemischtrassige Welt" in vielen Ländern der EU beklagt. "Wir sind bereit, uns miteinander zu vermischen, aber wir wollen nicht zu Gemischtrassigen werden", erklärte Orbán mit Blick auf die Migration nach Europa.
In Österreich hielt man Orbáns rassistische Ausfälle zumindest nicht für so relevant, dass man eine Einladung nach Wien zurückgezogen hätte. Der ungarische Premier reiste wie geplant am Donnerstag in die österreichische Hauptstadt, um Bundeskanzler Karl Nehammer zu treffen. Der kritisierte Orbáns rassistische Tiraden zwar, hakte aber nicht nach, als Orbán diese als "Missverständnis" kleinredete: "Rassenmischung" sei nicht biologisch, sondern "kulturell" gemeint. Seine Kritiker dürfte das kaum überzeugen.
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Stachel im Fleisch der Ukraine-Solidarität
Politisch stand Orbáns Österreich-Besuch ganz im Zeichen Wladimir Putins: Der ungarische Premier forderte die EU vehement dazu auf, ihre Strategie im Ukraine-Krieg zu überdenken. "Der Krieg ist in dieser Form nicht zu gewinnen", erklärte er in Wien. Stattdessen drohe der EU ein kriegswirtschaftliches Szenario mit Knappheit bei einzelnen Gütern und Arbeitslosigkeit.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Ungar sich als Stachel im Fleisch der europäischen Ukraine-Solidarität inszeniert. Wie auch bei anderen Themen – Rechtsstaat, Migration, Demokratie – setzt Orbán auf eine aggressive Gegenposition zur restlichen EU. Schon bei seiner Rede am Samstag in Rumänien polterte er gegen den westlichen Ukraine-Kurs: "Wir sitzen in einem Auto mit vier kaputten Reifen", erklärte Orbán vor Anhängern. "Die Sanktionen erschüttern Russland nicht."
Sein Auftritt in Rumänien war auch deswegen bemerkenswert, weil Orbán sich nicht zu schade war, auch astreine russische Propagandaerzählungen zu verbreiteten. Etwa die vom angeblichen Untergang Europas: So behauptete er, derzeit würden europäische Regierungen "fallen wie Dominosteine" (auch wenn die Entwicklungen in Großbritannien, Estland und Italien schwer zu vergleichen sind). Zudem suggerierte er, der Westen habe die Sicherheitsinteressen Moskaus ignoriert und die russische Invasion daher mit verschuldet. In der Ferne hörte man im Kreml die Sektkorken knallen.
Nehammers Kritik am "lieben Viktor"
Orbáns Entgleisungen zum Trotz empfing Nehammer den "lieben Viktor" bei der Pressekonferenz mit warmen Worten: Beide Länder verbinde "eine sehr tiefgehende Freundschaft" mit viel Vertrauen. Ganz in Orbáns Sinne waren kaum Fragen von Pressevertretern erlaubt. Themen wie Demokratieabbau und Korruption in Ungarn kamen gar nicht zur Sprache.
Österreichs Kanzler Nehammer setzte seinem Gegenüber immerhin in einigen Punkten etwas entgegen: So betonte er die Bedeutung gezielter Sanktionen, wie etwa bei elektronischen Bauteilen. Zugleich stellte er klar: "Sanktionen müssen den mehr treffen, gegen den sie gerichtet sind, und nicht dem mehr schaden, der sie beschließt." Nehammer suggerierte damit, dass der Schaden für Europa nicht mehr allzu lange tragbar sei – und argumentierte sich damit zumindest in die Nähe seines Gastes. Auch beim Bekämpfen irregulärer Migration waren sich Nehammer und Orbán weitgehend einig. Letzterer dürfte zufrieden nach Hause gereist sein.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übte erst eine Woche später Kritik - ohne Orban persönlich zu erwähnen. In einem Interview mit dem slowakischen Nachrichtenportal aktuality.sk, das am Samstag veröffentlicht wurde, betonte sie, dass die gemeinsamen Werte der EU "nicht verhandelbar" seien. "Alle Mitgliedstaaten, auch Ungarn" hätten sich diesen Werten verpflichtet. Menschen rassistisch zu diskriminieren, bedeute "auf diesen Werten herumzutrampeln".
Ungarn will mehr russisches Gas kaufen
Auch energiepolitisch agiert Orbán zunehmend im Sinne Wladimir Putins: Vor einer Woche kündigte Ungarn an, 700 Millionen zusätzliche Kubikmeter Gas von Moskau zu kaufen – ein offener Affront gegenüber den Plänen der EU, sich unabhängiger von russischen Energielieferungen zu machen. Ziel sei es laut Budapest, "die Sicherheit von Ungarns Energieversorgung zu gewährleisten". Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto reiste kurz darauf nach Moskau, um mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow den Deal zu verhandeln.
Kurzfristig kann die Orbán-Regierung damit innenpolitisch punkten: Während Deutschland und andere EU-Staaten die Sorge vor Energieengpässen im kommenden Winter umtreibt, kann Orbán seinen Bürgern diese Ängste nehmen. Der Preis allerdings ist die weitere Abhängigkeit von Putins Russland – und den ist Ungarn offenbar zu zahlen bereit.
Ungarn immer isolierter in Europa
Ungarn ist seit 1999 Mitglied der Nato und seit 2004 in der EU. Die Sanktionspolitik der Union trug Orbán bislang mit, erzwang aber mit einer Vetodrohung eine Ausnahmeregelung für russische Ölimporte. Zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegt Orbán noch immer ein recht gutes Verhältnis.
Orbán regiert seit 2010, und das zunehmend autokratisch: Seine Regierung höhlt systematisch Demokratie und Rechtsstaat aus, die Korruption grassiert. Auch einen großen Teil der Medien kontrolliert Orbán über einflussreiche Vertrauensleute. Die EU führt gegen Ungarn derzeit mehrere Verfahren, darunter eines im Rahmen des neuen Rechtsstaatsmechanismus, das zum Entzug von EU-Fördermitteln führen könnte.
So häufig Orbán gegen die EU poltert, so gerne nimmt er das Geld aus Brüssel: Ungarn gehört noch immer zu den Top-Nettoempfängerländern im EU-Haushalt. Orbán betreibt Demokratieabbau und verbreitet zunehmend prorussische Propaganda – finanziert vom europäischen Steuerzahler.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP