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Deutscher in der Ukraine: "Mein Urgroßvater kämpfte für die falsche Seite – ich nicht"


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Deutscher Kämpfer in der Ukraine
"Unsere Regierung ist ein Witz"

  • Daniel Mützel
InterviewDaniel Mützel

Aktualisiert am 24.06.2022Lesedauer: 5 Min.
Mika aus Deutschland hat sich der ukrainischen Armee angeschlossen: "Wir stehen auf der guten Seite."Vergrößern des Bildes
Mika aus Deutschland hat sich der ukrainischen Armee angeschlossen: "Wir stehen auf der guten Seite." (Quelle: Privat/leer)

Der Deutsche Mika (32) kämpft freiwillig in der Ukraine. Er schildert den brutalen Alltag im Schützengraben. Von Kanzler Scholz ist er bitter enttäuscht.

Die Ukraine wird im Kampf gegen die russischen Angreifer auch von einem Trupp ausländischer Kämpfer unterstützt: Freiwillige aus Australien, Belarus, den USA oder Westeuropa haben sich der International Legion of Defence of Ukraine (ILDU) angeschlossen. Die ILDU ist fest in die ukrainische Armee integriert, zuletzt war sie bei der Rückeroberung von Sjewjerodonezk im Einsatz. Auch Deutsche kämpfen unter dem Banner der Legion gegen die Invasionsarmee des Kremls. So wie Mika, ein Ex-Bundeswehrsoldat aus der Nähe von Lübeck. Der 32-Jährige wurde vor dem Gespräch gebrieft. "Aus Sicherheitsgründen", erklärt er um nicht versehentlich Informationen herauszugeben, die ihn oder seine Kameraden gefährden könnten.

Heißen Sie wirklich Mika?

Nein. Das ist mein Kampfname. Wir dürfen unsere echten Namen nicht herausgeben. Die Russen würden das nur allzu gerne erfahren. Für die sind wir Terroristen.

Sind Sie denn ein Terrorist?

Natürlich nicht, im Gegenteil: Ich verteidige die Freiheit. Meine Kameraden von der Legion und ich stehen auf der guten Seite.

Tausende Freiwillige kämpfen an der Seite der Ukraine. Sie kommen aus den USA, Belarus, Georgien, Frankreich oder Australien. Wann haben Sie sich entschieden, in den Krieg zu ziehen?

Anfang März, als Präsident Selenskyj den internationalen Aufruf machte, sich der Ukraine anzuschließen. Selenskyj ist für mich ein Held. In diesem Moment wusste ich, dass ich losziehen werde. Ich konnte schon vorher kaum ruhig bleiben – bei dem ganzen Leid, das die Ukrainer hier erleben müssen. Mein Urgroßvater kämpfte im Zweiten Weltkrieg auf der falschen Seite. Diesen Fehler wollte ich wiedergutmachen.

Wo sind Sie im Einsatz?

Im Raum Charkiw. Mehr darf ich leider nicht sagen.

Wie kamen Sie von Lübeck an die Front?

Das ging recht schnell: Durch einen Bekannten, der Flüchtlinge aus der Ukraine evakuiert hat, kam ich über die Grenze. Von dort fuhr ich dann weiter zu einem Trainingszentrum der ukrainischen Armee.

Mitte März trafen russische Raketen ein Ausbildungslager für ausländische Kämpfer in Jaworiw in der Westukraine. Dutzende, wenn nicht Hunderte Menschen starben. Moskau verkündete anschließend stolz, "180 ausländische Söldner" getötet zu haben.

Jaworiw war schlimm, aber die Ukraine hat im Nullkommanichts ein neues Ausbildungslager für Legionäre geschaffen. Ich darf den Ort nicht verraten, kann aber sagen: Ich war beeindruckt, wie schnell und professionell das alles organisiert wurde. Wer sagt, die Ukrainer seien zu blöd, um sich an komplexen Waffen ausbilden zu lassen oder sich in Extremsituationen schnell anzupassen, hat den Bezug zur Realität verloren. Ich habe selten so viel Hochachtung gehabt wie vor den ukrainischen Soldaten.

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Haben Sie einen militärischen Hintergrund?

Ich war vier Jahre lang in der Bundeswehr, sechs Monate davon in Afghanistan.

Hat Sie der dortige Einsatz auf das vorbereitet, was Sie in der Ukraine erleben?

Das sind zwei Kriege, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Afghanistan war ein asymmetrischer Konflikt. Wir hatten die Übermacht – an Material, an Menschen. Die Taliban hatten nicht im Entferntesten das, was die Russen an Artillerie, Raketenwerfern, Drohnen und Panzern haben. Jetzt sind wir unterlegen. An manchen Tagen hört es gar nicht mehr auf, Geschosse zu regnen. Ich musste den Krieg völlig neu lernen.

Die Ukraine bittet seit Monaten um mehr militärische Unterstützung aus dem Westen, auch aus Deutschland.

Unsere Regierung ist ein Witz. Deutschland hat eine enorme Wirtschaftsmacht und könnte viel mehr machen. Wir sind hier massiv unterlegen, jeden Tag sterben Menschen. Wir brauchen Waffen, und zwar keine kleinen Sturmgewehre, sondern Panzer, Artillerie, Flug- und Drohnenabwehr. Aber was macht unsere Bundesregierung? Das sind Sesselfurzer, die in ihrer eigenen Welt leben und die brutale Realität vor Ort nicht sehen wollen.

Vor Kurzem kam ein Teil der versprochenen sieben Panzerhaubitzen aus Deutschland in der Ukraine an. Wird das einen Unterschied machen?

Das ist lächerlich. Die würden helfen, wenn wir mehr davon hätten. Sieben Panzerhaubitzen haben kaum einen Gefechtswert. Es stehen Hunderte ausgemusterte Schützen- und Kampfpanzer in Deutschland herum. Warum werden die nicht instandgesetzt und hierher geschickt, wo sie Leben retten könnten?

Die Kritik an der Bundesrepublik hält seit Wochen an. Wie ist das Bild von Deutschland bei den anderen Legionären?

Viele meinen, Deutschland sei eigentlich bekannt dafür, zu helfen. Aber das, was jetzt passiere, sei zu wenig.

Haben Sie schon Kameraden im Kampf verloren?

Ja. Auch hier bitte ich um Verständnis, dass ich wenig sagen kann. Nur so viel: Es war ein richtig beschissener Tag. Es kam den ganzen Tag schon Artilleriefeuer, dazu das pausenlose Summen der Drohnen. Ich hockte im Schützenloch, als plötzlich eine Granate einen Kameraden tötete.

Was macht man da im Erdloch, wenn einem den ganzen Tag Geschosse um die Ohren fliegen?

Warten, bis es vorbei ist. Und rauchen. Außerdem hatte ich noch einen Rest Cola im Gepäck, die habe ich getrunken.

Auch ein deutscher Freiwilliger kam schon auf den Schlachtfeldern der Ukraine zu Tode: Björn C. aus Brandenburg starb offenbar bei einem Einsatz östlich von Charkiw. Kannten Sie ihn?

Ja. Björn war in einer anderen Einheit, aber ich kannte ihn vom Trainingslager. Wir haben geraucht und gequatscht. Wir blieben in Kontakt, schrieben uns hin und wieder.

Wie war es, als Sie von seinem Tod erfuhren?

Ich war wie in einer Art Schockzustand und konnte es zunächst nicht glauben. Wenig später empfand ich Trauer und blanke Wut. Auf Putin, auf Russland. Aber ich wusste auch: Das gibt Revanche.

Sind Emotionen wie Wut und Rachegelüste nicht gefährlich im Gefecht?

Ich habe keine Rachegelüste gegen russische Soldaten per se. Das sind auch Menschen. Niemals werde ich einem Soldaten, der sich ergibt, etwas antun. Wir sollten uns auch im Krieg einen Rest Menschlichkeit bewahren. Außerdem würden wir uns damit auf eine Stufe mit den Russen stellen. Putin hat ja gesagt, für uns Legionäre gilt bei Gefangennahme nicht der Status als Kriegsgefangene. Das heißt, wir sind Freiwild.

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Wie gefährlich war Ihr Einsatz bisher?

Im Mai hat es mich fast erwischt. Zu meinem 32. Geburtstag bekam ich eine russische Granate. Das Geschoss explodierte direkt neben mir: Ich konnte kaum etwas hören und galt erst mal als Verwundeter. An dem Tag haben wir richtig was auf die Mütze bekommen.

Glauben Sie, dass Sie den Krieg überleben werden?

Ich liebe mein Leben, auch wenn das paradox klingt. Ich will nicht sterben in der Ukraine, aber ich werde auch nicht zurückweichen, wenn es hart auf hart kommt. Ich bin Soldat und befolge Befehle, auch wenn sie bedeuten, dass ich mein Leben riskiere.

Was sagen Familie und Freunde zu dem gefährlichen Einsatz?

Ich habe keine Familie. Mit meinen Freunden in Deutschland halte ich Kontakt, wir schreiben uns hin und wieder.

Was sagen sie?

Dass ich auf mich aufpassen und nach Hause kommen soll. Aber im selben Moment sind sie auch stolz auf mich: Dass ich mein Leben aufs Spiel setze, um einem angegriffenen Land zu helfen.

Wie lange wollen Sie in der Ukraine bleiben?

Ich habe einen Vertrag über ein Jahr abgeschlossen. Sollte ich dann noch leben, werden wir sehen, was danach kommt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Mika am 24. Juni
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