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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sicherheitsexpertin bei "Markus Lanz" Florence Gaub: "Damit hat Putin nicht gerechnet"
Hat Russland den Krieg schon gewonnen? Die Gäste bei "Markus Lanz" diskutierten heftig über diese Frage – mit unterschiedlichen Ansichten.
Die Bundesregierung steht Berichten zufolge kurz davor, die nächste Stufe im Notfallplan Gas auszurufen. In der Nacht zu Donnerstag wollte Markus Lanz von seinen Gästen wissen, ob der vorherrschende "Alarmismus" angebracht sei.
Die Gäste:
- Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Fraktionsvize
- Florence Gaub, Sicherheitsexpertin
- Claudia Kemfert, Energieökonomin
- Wolfram Weimer, Publizist
"Wir haben eine enorme Versorgungsproblematik gerade", bestätigte FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff. Absehbar werde es zu einer Gasknappheit kommen. Die Art, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner die Probleme "klar artikulieren", finde er deswegen richtig.
Was sich in den vergangenen Tagen geändert habe, damit nun "dermaßen Alarm" geschlagen werde, hakte Lanz bei der Expertenrunde nach.
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Neue Erkenntnisse, die das rechtfertigten, gebe es eigentlich nicht, erklärte Energieökonomin Claudia Kemfert. Bereits seit dem ersten Kriegstag sei bekannt gewesen, inwieweit die Abhängigkeit von Russland zu Versorgungsproblemen führen könne. Zwei Faktoren hätten die Lage nun noch verschärft.
Zum einen habe ein Unfall dazu geführt, dass Deutschland aus den USA rund 20 Prozent weniger Frackinggas kaufen könne, als geplant war. Zum anderen habe die drastische Drosselung der russischen Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 die Lage verschärft.
Weimer: Putin hat "die Waffe auf den Tisch" gelegt
Putin habe den Gaskrieg eröffnet, erklärte Publizist Wolfram Weimer angesichts der verringerten Gaslieferungen aus Russland. Seine Analyse: Bisher habe die Bundesrepublik noch gedacht, Gaslieferungen würden wie im Kalten Krieg weiterlaufen. Jetzt habe Putin jedoch "die Waffe auf den Tisch" gelegt.
Die Lage sei "wirklich ernst", zumal Nord Stream 1 am 11. Juli für zehntägige Wartungsarbeiten abgestellt werde und unklar sei, ob danach überhaupt wieder Gas fließe und wenn ja, wie viel.
Doch wie soll das Wärmeproblem im Winter gelöst werden? Kemferts Verweise auf einen Ausbau auf erneuerbare Energien wie grünen Wasserstoff wollte Lanz mit Blick auf die Dringlichkeit der Lösungsfindung nicht gelten lassen.
Weimer und Lambsdorff sind sich einig: AKWs am Netz lassen
Sowohl Lambsdorff als auch Weimer sprachen sich dafür aus, funktionierende Atomkraftwerke zur Überbrückung der Knappheitsphase weiter am Netz zu lassen. Habeck handele "ein Stück weit unverantwortlich", indem er AKWs nicht laufen ließe, bemängelte Weimer in diesem Zusammenhang.
Während Kemfert erklärte, dass es gesetzliche Hürden gebe, die es erschwerten, AKWs weiterlaufen zu lassen, sah Weimer eher einen anderen Grund für den Stillstand. "In Wahrheit fällt es den Grünen viel zu schwer, wieder 'Ja' zu sagen", mutmaßte er.
Lambsdorff zu autofreien Sonntagen: "Nicht national machen"
Wie es denn um das gesetzlich verordnete Sparen von Energie stehe, wollte Lanz von Lambsdorff wissen und brachte die Sprache auf autofreie Sonntage. "Ich würde das nicht national machen", so der FDP-Politiker. Der Grund: Während autofrei in der Stadt ohne Probleme gehe, bedeute "autofrei" in ländlichen Gegenden auch "omafrei".
"Dass jetzt immer die Oma rausgeholt wird, das ist wirklich unter unserem Niveau", rügte ihn Lanz amüsiert. "Das ist das pralle Leben", erwiderte Lambsdorff. "Dann besuchen sie die Oma doch am Samstag, wo ist das Problem?", so Lanz.
Verschiedene Meinungen gab es in der Nacht zum Donnerstag auch bei einem anderen Aspekt. "The European"-Verleger Weimer war der Meinung, dass die Ukraine im Krieg gegen Russland aus realpolitischer Sicht nicht mehr gewinnen könne und deswegen stärker auf Diplomatie setzen solle.
Gaub: Mit der Einigkeit des Westens hat Putin nicht gerechnet
Sowohl Lambsdorff als auch Sicherheitsexpertin Florence Gaub widersprachen. "Ich bin nicht der Meinung, dass Russland den Krieg gewonnen hat", so Gaub. Zu sagen, die Ukraine könne nicht mehr gewinnen, finde sie "zynisch". Was Russland anbiete, sei aus ihrer Sicht keine Verhandlung, sondern eine Kapitulation. Darüber hinaus müsse die Ukraine selbst entscheiden, wann sie bereit sei, auf Diplomatie zu setzen.
Diese Ansicht teilte auch Lambsdorff. Die Ukraine habe mit der Bewahrung ihrer staatlichen Existenz bereits ihr zentrales Kriegsziel erreicht. Der Westen seien dabei die Alliierten.
Mit Blick auf westliche Staaten waren sowohl Lambsdorff als auch Gaub der Meinung, dass das Ausmaß der Einigkeit im Westen Putin überrascht habe. "Damit hat er nicht gerechnet", erklärte Gaub.
Zu Putins Zielen mit Blick auf Europa habe es unter anderem gehört, Uneinigkeit zu säen, so die Sicherheitsexpertin. Dass stattdessen "Große Einigkeit der Nationen des Westens" herrsche, sei eine gute Nachricht, so Lambsdorff. Demonstriert werde diese in naher Zukunft wieder beim EU-Gipfel in Brüssel sowie der G7-Runde und dem Nato-Treffen.
- "Markus Lanz" vom 22. Juni 2022