Scholz in Belgrad Wie Serbien Putins Russland umwirbt
Von EU-Beitrittskandidaten erwartet die EU, dass sie sich den Sanktionen gegen Russland anschließen. Serbiens Präsident Vučić aber weigert sich – und fördert prorussische Propaganda. Jetzt besucht Bundeskanzler Scholz Belgrad.
Die Fahnen an den Lampenmasten entlang der Belgrader Einzugsstraßen waren schnell gewechselt. Das Weiß-Blau-Rot Russlands verschwand, weil Außenminister Sergej Lawrow wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine diese Woche keine Überfluggenehmigung von Serbiens Nachbarländern Bulgarien, Nordmazedonien und Montenegro bekam und seinen Besuch absagen musste. Nun hängt Schwarz-Rot-Gold: An diesem Freitag wird Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet.
Das Fähnchen-wechsel-dich-Spiel – es steht sinnbildlich für die Außenpolitik unter Präsident Aleksandar Vučić. Seit 2014 verhandelt das Land über einen Beitritt zur EU, will bei der nächsten Erweiterungsrunde berücksichtigt werden. Zugleich unterhält es freundschaftliche Beziehungen zu Russland, bezieht von dort relativ billiges Gas. Als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat verhindert Russland zudem, dass der Kosovo volle internationale Anerkennung erlangt. Serbien beansprucht das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte südliche Nachbarland für sich, nachdem es sich 2008 als unabhängig von Serbien erklärt hatte.
Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo wird beim Besuch von Scholz aber wohl nur eine nachrangige Rolle spielen. In Belgrad wird die Frage im Vordergrund stehen: Auf welcher Seite steht Serbien im Ukraine-Krieg?
"Neutral zu sein ist ein falsches Konzept"
Denn seit Russland die Ukraine vor mehr als drei Monaten angegriffen hat, verlangen die westlichen Partner von der serbischen Regierung, dass sie sich positioniere. "Enge Beziehungen zum Regime von Putin sind nicht mehr vereinbar mit dem Bau einer gemeinsamen Zukunft mit der EU", mahnte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bereits letzten Monat. "Neutral zu sein ist heute mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ein falsches Konzept." Ohne Erfolg: Im Unterschied zu den anderen Staaten der Region macht Serbien bei den EU-Sanktionen weiterhin nicht mit.
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Nicht nur das: Präsident Vučić holte nach dem gescheiterten Besuch Lawrows auch zu einer Generalkritik aus, die sich an den Westen, im Speziellen an die EU richtete. Weil man gegen Russland nichts ausrichten könne, wolle man Serbien treffen, klagte er im serbischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die Aufregung um den Besuch beschrieb er als Hysterie, die es gegen Serbien lange nicht mehr gegeben habe. Nur gegen ein so kleines Land wie seines gehe man so rücksichtslos vor – für andere Staaten würden andere Regeln gelten. Dennoch wolle sein Land der EU beitreten: "Das ist das Beste für Serbien, für unsere Kinder."
Sanktionierte Oligarchen sind in Serbien sicher
Das Land sendet derzeit allerdings andere Signale: Die Air Serbia fliegt mit ihren Linienmaschinen seit dem Beginn des Angriffskriegs in engerem Takt nach Moskau und St. Petersburg, sanktionierte Politiker und Oligarchen haben in Serbien nichts zu befürchten. Lawrow war in Belgrad willkommen. Der Besuch scheiterte nur daran, dass die Nachbarländer seinem Flugzeug die Nutzung ihres Luftraums verwehrten. Lawrow hätte das wissen müssen – weshalb sich die Vermutung aufdrängt, dass er das gezielt nutzen wollte, um sich über den "bösen Westen" zu empören.
"Wir haben es nicht leicht in den westlichen Metropolen", klagt auch Vučić. Der Druck steige, die Sanktionen zu übernehmen, auch auf ihn persönlich. "Aber wir müssen die Interessen unseres Landes schützen, auch wenn es unangenehm ist." Quasi als Belohnung erhielt der 52-Jährige beim jüngsten Telefonat mit Putin die Zusage, für weitere drei Jahre billiges Gas aus Russland beziehen zu können. Ein Importstopp für russisches Gas ist kein Thema.
Staatsnahe Medien übernehmen Kreml-Propaganda
Das Problem liegt tief. Als machtbewusster Nationalist hat Vučić in den zehn Jahren, die er schon Serbiens Politik bestimmt, Stimmung für Russland und gegen den Westen gemacht. Die serbischen Ableger russischer Propagandamedien, aber auch die von Vučić-Leuten kontrollierte Presse haben ein kremlfreundliches Meinungsklima erzeugt.
Das wurde auch an dem Tag nach dem Angriff auf die Ukraine sichtbar, wie "Balkan Insight" berichtete. Eine Zeitung titelte etwa: "Russischer Coup als Antwort auf die Drohungen der Nato". Eine andere schrieb, dass Putin die Ukraine demilitarisieren und denazifizieren wolle, bezeichnete den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Faschisten. Eine andere Zeitung titelte gar einige Tage vor der Invasion: "Ukraine greift Russland an". Kritische Zeitungen hingegen kritisierten das Schweigen der serbischen Führung.
Das gesellschaftliche Klima zeigt sich auch in Umfragen: Nur noch 40 Prozent der Serben sind für den Beitritt zur Europäischen Union, und 80 Prozent sprechen sich dagegen aus, Russland mit Sanktionen zu bestrafen.
EU rechnet dennoch mit Annäherung
Vučić ist jedoch Pragmatiker genug, dass er es sich mit dem Westen nicht verscherzen will. Einige von ihm abhängige Boulevardblätter dürfen sich gelegentlich russlandkritisch äußern. Energieministerin Zorana Mihajlovic, die dem prowestlichen Flügel seiner Partei SNS nahesteht, meidet den Begriff "Sanktionen", sagt aber: "Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um Mitglied der EU zu werden. Das bedeutet sicherlich auch, dass wir innerhalb eines gewissen Zeitrahmens bestimmte Maßnahmen übernehmen."
Letztlich versucht Vučić, mit seiner Schaukelpolitik zwischen der EU und Russland weiter durchzukommen. Zu dieser Einschätzung gelangte auch der Auswärtige Dienst der EU in einem vertraulichen Papier, über das Radio Free Europe diese Woche berichtete. Dessen Fazit: Vučić werde "mit einer Politik der kleinen Schritte Serbien näher an den Westen heranführen". "Ziel ist es, den endgültigen Bruch mit Russland hinauszuzögern und mit künftigen außenpolitischen Manövern so viele politische und wirtschaftliche Zugeständnisse zu erwirken wie nur möglich."
- Nachrichtenagentur dpa
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