Krieg in der Ukraine Selenskyj will "schmerzhafte Sanktionen" – Die Nacht im Überblick
Der ukrainische Präsident ruft nach mehr Waffen und einem Ölembargo. Im Osten droht eine Offensive der russischen Truppen. Der Krieg hat weltweite Auswirkungen: Eine Übersicht.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Westen zu härteren Sanktionen gegen Russland aufgerufen. Er forderte ein Embargo auf russisches Erdöl und einen vollständigen Ausschluss des russischen Bankensystems vom internationalen Finanzwesen.
Sollte es kein "wirklich schmerzhaftes Sanktionspaket" und keine Lieferungen der von Kiew geforderten Waffen an die Ukraine geben, werde Russland dies als "Erlaubnis zum Vormarsch" sehen, sagte Selenskyj in einer in der Nacht zum Donnerstag veröffentlichten Videoansprache.
Zugleich warnte Selenskyj vor einer neuen Offensive des russischen Militärs im Osten der Ukraine. Moskau baue weiter Kampfkraft auf, um seine Ambitionen im Donbass-Gebiet zu verwirklichen. Die Regierung in Kiew rief Menschen in den Gebieten Luhansk, Donezk und Charkiw bereits zur Flucht auf. Sie rechnet damit, dass von der Hauptstadt Kiew abgezogene russische Truppen im Osten eingesetzt werden. Selenskyj betonte: "Wir werden kämpfen und uns nicht zurückziehen".
Der ukrainische Präsident rief zudem die Menschen in Russland dazu auf, ein Ende des Kriegs zu fordern. Die Ermordung von Zivilisten in von russischen Truppen besetzen Städten wie Butscha müsse ein entscheidendes Argument sein. "Niemand in Russland, der jetzt nicht ein Ende des Krieges und den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine fordert, hat eine Zukunft", sagte Selenskyj. Die Bürger sollten sich lieber jetzt der russischen Repressionsmaschine stellen, als ihr Leben lang "mit Nazis verglichen zu werden".
Ukraine: Elf Leichen in Kiewer Vorort gefunden
In einer Garage im Kiewer Vorort Hostomel wurden nach dem Abzug russischer Truppen ukrainischen Angaben zufolge elf Leichen gefunden. Die Polizei habe diese am Mittwoch entdeckt, berichtete die "Ukrajinska Prawda" und berief sich auf einen Telegram-Eintrag des ehemaligen Innenministers Arsen Awakow. Demnach soll es sich bei den Getöteten um Zivilisten handeln, die von russischen Soldaten getötet worden seien. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen. Das nordwestlich der Hauptstadt gelegene Hostomel mit dem nahen Flugplatz war seit Beginn des Kriegs schwer umkämpft. Der Großteil der ursprünglich 16 000 Einwohner floh. Der lokalen Militärverwaltung zufolge wurden rund 400 Bewohner von Hostomel vermisst.
Bürgermeister von Charkiw: Keine Massenevakuierung nötig
Nach Aufrufen zur Flucht aus dem Osten der Ukraine angesichts einer möglichen russischen Großoffensive versucht der Bürgermeister von Charkiw zu beruhigen. Weder er noch das Militär hielten es momentan für notwendig, eine zentralisierte Evakuierung aus der zweitgrößten Stadt des Landes durchzuführen, sagte Ihor Terechow in einer Videobotschaft. Die Stadt Charkiw sei gut mit Waffen ausgestattet und zur Verteidigung bereit. Der Aufruf zu einer Evakuierung treffe aber im Gebiet Charkiw auf südliche Bezirke zu.
Charkiw hatte vor dem Krieg rund 1,5 Millionen Einwohner. Der Gebietsverwaltung zufolge verließ ein großer Teil der Bewohner in den ersten Kriegswochen die Stadt. Charkiw wird seit Beginn der russischen Invasion Ende Februar fast ununterbrochen aus der Luft und mit Artillerie angegriffen.
USA liefern Ukraine weitere Panzerabwehrwaffen und Drohnen
Die USA wollen die Ukraine besonders mit weiteren Panzerabwehrwaffen vom Typ Javelin unterstützen wollen. Dazu sollen 100 Millionen Dollar (91,3 Mio Euro) genutzt werden, die die US-Regierung für weitere Waffenlieferungen genehmigt hatte, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Man sei außerdem mit den Ukrainern im Gespräch über die Lieferung weiterer Drohnen vom Typ Switchblade. Davon seien bereits 100 geschickt worden. Die Switchblades sind Mini-Drohnen, die lange über dem Boden kreisen können, um dort auf ein Ziel zu lauern und gezielt anzugreifen. Dabei zerstören sie sich dann selbst.
UN-Institution zu Ukraine-Krieg: Bis zu 47 Millionen mehr Hungernde
Wegen des Ukraine-Kriegs rechnet das Welternährungsprogramm mit Dutzenden Millionen Menschen mehr in Hunger und Armut. "Je nach Dauer des Krieges könnten zwischen 33 und 47 Millionen Menschen zusätzlich in Hunger und Armut abrutschen", sagte der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in Deutschland, Martin Frick, der Deutschen Presse-Agentur. Die Zahl der akut Hungernden habe schon vor Beginn des Krieges mit 276 Millionen Menschen auf einem traurigen Rekordniveau gelegen.
Welthungerhilfe rechnet mit mehr Flüchtlingen
Die Lebensmittelkrise als Folge des Ukraine-Kriegs wird nach Einschätzung der Welthungerhilfe zu neuen Flüchtlingsbewegungen aus ärmeren Ländern führen. "Wir sehen ganz real in den Ländern, in denen wir arbeiten, wie dramatisch die Lage ist. Die Menschen werden keine andere Möglichkeit für sich sehen, als sich auf den Weg zu machen", sagte der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Mathias Mogge, der "Rheinischen Post". Hintergrund seien unter anderem die Preissprünge von bis zu 70 Prozent für Getreide, das bisher zu einem großen Teil aus der Ukraine und aus Russland importiert wird.
47 Holocaust-Überlebende aus der Ukraine in Deutschland
Deutschland nahm 47 pflegebedürftige jüdische Holocaust-Überlebende aus der Ukraine auf. Dies sei "in unserer besonderen Verantwortung als Deutsche" geschehen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser der Funke-Mediengruppe. "Wir geben ihnen eine vorübergehende Heimat." Die Berichte über Gräueltaten an Hunderten Bewohnern ukrainischer Städte kommentierte die Bundesinnenministerin scharf. "Ich bin Juristin. Natürlich soll man niemanden vorverurteilen. Aber es deutet alles darauf hin, dass Wladimir Putin und seine Armee in der Ukraine furchtbare Kriegsverbrechen begehen."
Das wird am Donnerstag wichtig
Die Außenminister der 30 Nato-Staaten beraten an diesem Donnerstag über eine weitere Unterstützung der Ukraine und eine Verstärkung der Verteidigungsfähigkeiten im östlichen Bündnisgebiet. Zeitweise nehmen an dem Treffen auch Außenminister der Partnerländer Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea teil. In Deutschland beraten Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Kanzler Olaf Scholz darüber, wie Kosten für die Versorgung ukrainischer Kriegsflüchtlinge aufgeteilt werden sollen. Außerdem soll es bei dem Treffen darum gehen, wie die Registrierung und Verteilung ankommender Ukrainer auf Länder und Kommunen am besten organisiert werden kann.
- Nachrichtenagentur dpa