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Russland-Experte: "Jedem ist klar, dass Wladimir Putin die Wahl gewinnen wird"


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Russland-Experte zur Wahl
"Jedem ist klar, dass Wladimir Putin die Wahl gewinnen wird"

Ein Interview von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 13.03.2018Lesedauer: 7 Min.
Wladimir Putin: Der russische Präsident will das Land für weitere sechs Jahre regieren.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident will das Land für weitere sechs Jahre regieren. (Quelle: Alexei Druzhinin/dpa)

Die Opposition hat bei der Wahl keine Chance, im "System Putin" zählt allein Loyalität zum Präsidenten. Warum für Russland trotzdem Hoffnung besteht, erklärt Julius Freytag im Gespräch.

Herr Freytag, als Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung verfolgen Sie den Wahlkampf in Russland aus nächster Nähe. Lohnt sich der Wahlkampf angesichts von Putins Dominanz überhaupt?

Julius Freytag: Jedem hier in Russland ist klar, dass Wladimir Putin die Wahl gewinnen wird. In Moskau sind deswegen auch kaum Wahlplakate zu sehen. Sondern Plakate, dass die Menschen überhaupt zur Wahl gehen sollen. Auf anderen ist Putins Gesicht gedruckt mit der Aufschrift "Ein starker Präsident, ein starkes Russland." Vielen Russen erscheint es da absurd, wählen zu gehen, obwohl es theoretisch mehr Auswahl gibt als bei der letzten Wahl.

Warum wird dann überhaupt gewählt und Wahlkampf betrieben?

Jedes politische System braucht Legitimierung. Eine Demokratie genauso wie eine Diktatur. Putin führt eine Wahl mit Gegenkandidaten durch, weil im heutigen Russland auch niemand Ergebnissen bei einer Präsidentenwahl mit mehr als 90 Prozent trauen würde. Eine Wahl mit einer ausreichenden Wahlbeteiligung ist ein wichtiges Instrument zur Legitimierung seiner Herrschaft. Zugleich hat er berechtigte Sorge, dass die Menschen nicht zur Wahl gehen, weil sie ohnehin wissen, wer gewinnt.

Die russischen Behörden haben im Vorfeld allerdings dafür gesorgt, dass niemand Putin gefährlich werden könnte.

Der Blogger und Nationaldemokrat Alexei Nawalny wird von weiten Teilen der Bevölkerung als Putins stärkster Gegner wahrgenommen. Er darf wegen einer nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als politisch motiviert eingeschätzten Bewährungsstrafe nicht kandidieren und ruft deswegen zum Wahlboykott auf. Gleichzeitig kann immerhin eine Reihe von Oppositionskandidaten antreten. Und sie erhalten auch etwas Zuspruch.

Julius von Freytag-Loringhoven, geboren 1981, leitet seit 2012 das Moskauer Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und ist der stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Boris Nemtsov Stiftung. Von Freytag-Loringhoven studierte Politik, Philosophie und Volkswirtschaftslehre in München und Brüssel.

Zum Beispiel?

Pawel Grudinin kandidiert beispielsweise für die Kommunistische Partei. Grudinin genoss in den Umfragen allein schon deswegen relativ hohe Werte, weil er einfach ein neues Gesicht in der Politik ist. Deswegen haben die staatlich kontrollierten Fernsehsender auch bereits früh eine Schlammschlacht gegen ihn begonnen. Man wirft ihm alles Mögliche vor: Er sei ein schlechter Mensch und viel zu reich für einen kommunistischen Kandidaten. Anscheinend ist der Kreml relativ nervös, wie der Neuling Grudinin so schnell 15 Prozent Zuspruch bekam. Er wurde allerdings dann so hart attackiert, dass Grudinin offiziell erklärt hat, dass er seine Kandidatur zurückziehen würde, wenn die Angriffe so weitergehen würden. Das ist ziemlich entlarvend, weil man sich da fragt, ob Grudinin überhaupt Präsident werden will.

Neu in der Politik ist auch Xenija Sobtschak, die die Anhänger des gesperrten Alexei Nawalny heftig umwirbt.

Allein aufgrund ihrer Herkunft ist Xenija Sobtschak sehr interessant. Ihr Vater war Anatoli Sobtschak, der frühere Bürgermeister von St. Petersburg und Mentor von Putin. Unter Sobtschak ist der frühere Geheimdienstmann Wladimir Putin politisch groß geworden. Xenija Sobtschak hatte sich bereits 2011 auf die Seite der Opposition gestellt und dann als politische Journalistin gearbeitet. Sie ruft nun alle Wähler auf, die nicht für Nawalny stimmen können oder auf sonstige Weise unzufrieden sind, sie zu wählen.

Vertritt jemand klare demokratische und liberale Positionen?

Neben Xenija Sobtschak ist da Grigori Jawlinski von der liberalen Jabloko-Partei. Jawlinski steht für klare Werte, tritt aber seit mehr als 20 Jahren immer wieder vergeblich bei den Wahlen an. Also länger als Putin, weswegen viele, die ihn inhaltlich schätzen, nicht mehr wählen. Boris Titow aus dem liberaldemokratischen Lager gesteht offen ein, eigentlich Putin zu unterstützen und nutzt diese Wahl lediglich, um für seine wirtschaftliche Reformagenda zu werben.

Von der großen Politik abgesehen: Wie hat sich die russische Zivilgesellschaft in den letzten Jahren entwickelt?

Die Zivilgesellschaft in Russland wird immer stärker. Aber überall, wo sie sich politisiert, wird sie massiv vom Staat bekämpft. Die Repressionen gegen unabhängige Organisationen, die sich etwa für Bürger- und Menschenrechte oder auch den Umweltschutz einsetzen, sind in den letzten vier Jahren deutlich angestiegen. Gleichzeitig wächst aber der zivilgesellschaftliche Einfluss in Bereichen, die politisch weniger heikel sind. Es gibt zum Beispiel immer mehr junge Menschen, die sich im Sozialbereich engagieren. Sie helfen in Krankenhäusern aus, kümmern sich um alte und kranke Menschen. Eine grundsätzliche Regel in Russland lautet allerdings: Sobald es zu politisch wird, droht staatlicher Druck. Ich habe aber wegen der vielen motivierten jungen Leute in Russland große Hoffnung.

Wirtschaftlich sieht es in Russland allerdings immer düsterer aus.

Putins Wirtschaftspolitik lässt im Grunde keinerlei große Reformen zu. Seit seiner ersten Wahl zum Präsidenten im Jahr 2000 ist die Staatsquote in der Wirtschaft von mehr als 30 Prozent auf über 70 gestiegen, ebenso findet eine massive Konzentration des Bankensektors in Richtung des Staates statt: Auch da werden mittlerweile rund 70 Prozent vom Staat kontrolliert. Das ist keine gute Voraussetzung für wachsende klein- und mittelständische Unternehmen, weil sie großen Staatsbetrieben vollkommen ausgeliefert sind. Das zweite große Problem ist die fehlende Rechtsstaatlichkeit. Sie ist der Hauptgrund, weshalb in Russland weniger investiert wird als in Deutschland oder den USA. Vor allem einheimische Investoren wissen, dass sie vor russischen Gerichten kein unabhängiges Urteil erwarten können, wenn sie in Konflikt mit dem Staat geraten.

Putin regiert Russland seit knapp 20 Jahren. Wie hat er das Land beeinflusst?

In Putins System ist Loyalität zum Präsidenten der höchste Wert. Noch höher als etwa Unbestechlichkeit oder besondere Innovationsfähigkeit. Der gesamte Apparat ist streng hierarchisch aufgebaut, so etwas erstickt Eigeninitiative und Kreativität. Darunter leidet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch der Staat. Aus dieser Logik des Machterhalts entstehen auch die weitreichenden Repressionen im Land. Derartige Maßnahmen werden keineswegs allesamt von Putin beschlossen. Jeder Beamte oder Staatsbedienstete weiß aber, dass er Härte nach unten zeigen muss, um nach oben als treuer Diener zu wirken. Zu viel Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden kann ihnen als Illoyalität ausgelegt werden.

Was würden Sie als Gegenmittel gegen das System Putin empfehlen?

Es ist eine großartige Eigenschaft der amerikanischen Demokratie, dass ein Präsident nach zwei Amtszeiten nie wieder antreten darf. Dadurch wird ein regelmäßiger Wandel gewährleistet. Das ist gesund für jede Demokratie. Aber ich werbe allgemein immer dafür, dass Wettbewerb, Freiheit und Eigenverantwortung bessere Rezepte für Entwicklung sind, als hierarchische Kontrollmechanismen.

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Ab welchem Punkt bekommen es Oppositionelle eigentlich mit der Staatsmacht zu tun?

Relevanz ist die rote Linie. Jeder darf in seiner Küche schimpfen wie er will, genauso auf der Straße. Niemanden passiert deshalb etwas. In dem Moment aber, in dem jemand ein Schild mit einem Protestspruch vor sich trägt, und Fotografen das festhalten, beginnen die Probleme. Auch wenn ein Kritiker in seinem Blog oder auf Facebook eine ausreichende Reichweite erzielt. In letzter Zeit gibt es allerdings verstärkte Repressionen. Einige Leute haben Ärger bekommen, die früher als irrelevant angesehen worden wären. Ich wollte kürzlich Taxifahrer zur Wahl befragen. Rund drei Viertel weigerten sich, in irgendeiner Weise mit ihrer politischen Meinung zitiert zu werden. Obwohl sie sich sonst relativ offen äußern. Die Menschen haben jetzt größere Angst, ihre Meinung zu äußern, als noch vor vier Jahren.

Russland ist ein unvorstellbar großes Land mit allein elf Zeitzonen. Wie unterscheiden sich Millionenstädte wie Moskau und St. Petersburg vom Rest?

Russland lässt sich in drei Kategorien einteilen. Das sogenannte "Russland I" besteht aus Moskau, St. Petersburg und anderen Städten mit mehr als einer Million Einwohnern. Dort gibt es einen wachsenden Klein- und Mittelstand, oft ein reiches Kulturangebot sowie lokale, soziale und zivilgesellschaftliche Initiativen. "Russland II" wird hingegen vom Staatsapparat und Staatskonzernen geprägt: Dabei handelt es sich um kleinere Städte, die zum Beispiel von der Ölproduktion leben, oder weil sie in der Nähe eines Militärstützpunkts entstanden sind. Diesen Städten geht es nicht schlecht, weil der Staat mit der wachsenden Kontrolle über die Wirtschaft ausreichend Geld zur Verfügung hat, um sichere Gehälter zu garantieren. Auf exakt dieses "Russland II" stützt sich Putins Macht. "Russland I" ist dagegen viel liberaler, kosmopolitischer und am Westen orientiert.

Was ist mit "Russland III"?

Das ist das platte Land, wie man in Deutschland sagen würde. Gemeint sind die dörflich geprägten Landregionen, die teilweise seit Hunderten Jahren abseits der Entwicklung der größeren Städte existieren. Dort herrschen oft große Armut und eine gewisse politische Apathie. "Russland III" ist weder für Putin noch für die Opposition relevant, weil die Menschen dort eher mit Existenzfragen beschäftigt sind. 70 Prozent der russischen Bevölkerung haben weniger Geld zur Verfügung als ein deutscher Hartz-IV-Empfänger, um die Lebenswirklichkeit einmal deutlich zu beschreiben. Es ist keineswegs so, dass das ganze Land mit Öl reich geworden wäre.

Bemerken Sie in Russland eigentlich einen Generationenbruch? Ältere Leute, die die Sowjetunion noch selbst erlebt haben und zugleich junge Russen, von denen immer wieder behauptet wird, dass sie liberaler seien durch Aufenthalte im Ausland?

Man darf sich keine Illusionen darüber machen, wie viele Russen jenseits der Nachfolgestaaten der UdSSR im Ausland waren. Nur etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung haben überhaupt einen Reisepass. Seit ungefähr vier Jahren dürfen die Mitarbeiter der Inlandsgeheimdienste sowie strategisch wichtiger Staatsbetriebe ohnehin nicht mehr ins Ausland reisen. Das gleiche gilt für das Militär. Der kleine Prozentsatz von Russen, die andere fernere Länder kennen, wird auch nicht automatisch liberaler: Viele dieser Leute sind Anhänger beziehungsweise Träger des derzeitigen Systems.

Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung will Russland bei der Weiterentwicklung seiner Zivilgesellschaft unterstützen. Unter anderem durch Gesprächskreise und Hintergrundgespräche mit Entscheidungsträgern. Werden Sie bei Ihrer Arbeit behindert?

Wir sind in Russland Ansprechpartner für alle liberalen Kräfte, für Menschenrechtler, Unternehmer, zivilgesellschaftliche Aktivisten, Reformer, Intellektuelle und Künstler. Alle politischen Stiftungen haben im Land allerdings zunehmend mit Problemen zu kämpfen. Einige wurden zu ausländischen Agenten erklärt. Seit drei Jahren spüren auch die deutschen Stiftungen immer mehr Druck in den Regionen. Wir haben teilweise Probleme, Veranstaltungen in verschiedenen Gegenden zu organisieren. In Moskau selbst können wir weitestgehend frei arbeiten.

Werden sich die Beziehungen Russlands zum Westen wieder normalisieren?

Es hängt davon ab, ob Russland in der Lage sein wird, wieder Vertrauen in den europäischen Ländern aufzubauen. Insbesondere seinen direkten Nachbarn. Davon hängt auch ab, ob wieder Investitionen in das Land fließen werden. Deutschland kommt dabei eine zentrale Vermittlerrolle zu. Meiner Meinung nach ist Russland eine europäische Kultur, die weit nach Asien hineinreicht. Und für die Russen steht fest, dass sie in Zukunft nach Europa und nicht zu China gehören wollen. Europa muss aber im Gegenzug dann auch Russland wieder stärker einbinden, und bei den Russen Vertrauen aufbauen.

Herr Freytag, wir danken für das Gespräch.

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