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Ein historischer Tag für Spanien – und für Europa?


Referendum in Katalonien
Ein historischer Tag für Spanien – und für Europa?

t-online, Laura Waßermann

01.10.2017Lesedauer: 5 Min.
Die Katalanen wollen über ihre Unabhängigkeit abstimmen – die spanische Regierung will das verhindern.Vergrößern des Bildes
Die Katalanen wollen über ihre Unabhängigkeit abstimmen – die spanische Regierung will das verhindern. (Quelle: Susana Vera/Reuters-bilder)
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Aus Barcelona berichtet Laura Waßermann

Katalonien entscheidet heute über seine Unabhängigkeit – wenn die Regierung es zulässt. Wer welche Schlüsselrolle spielt und was das Referendum für Europa bedeutet.

Die Einwohner von Katalonien wollen die Geschichte Spaniens umschreiben. Bei dem für heute angesetzten Volksentscheid beabsichtigen sie, über die Unabhängigkeit ihrer Region abzustimmen. Es ist eine Entscheidung über die Zukunft Kataloniens und dessen Rolle innerhalb von Spanien und von Europa.

Wird es eine "Republik Katalonien" geben?

Die Regionalregierung von Katalonien will, dass Katalonien nicht länger Teil von Spanien ist. Sie soll zu einem eigenständigen Staat werden, mit Gesetzen und politischer Verantwortung. Zwischen 9 und 20 Uhr sollen die Katalanen dafür ihre Wahlzettel in die Urnen werfen. Die Frage, die die Regierung den rund fünf Millionen Wahlberechtigten stellt, lautet: "Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik ist?"

Sollte das Ergebnis "Sí", also "Ja" lauten, will Kataloniens Präsident Carles Puigdemont binnen 48 Stunden die Unabhängigkeit verkünden. Bei einem "No"-Ausgang will er Neuwahlen ansetzen.

Unabhängigkeit der Traum vieler Katalanen

Von Puigdemont und dessen liberal-demokratischer Partei "Partit Demòcrata Europeu Català" geht die Unabhängigkeitsbewegung maßgeblich aus. Puigdemont, der erst Anfang 2016 in das Amt gewählt wurde, legte im Juni dieses Jahres den Zeitpunkt für das Referendum fest. Das hatte er vorab klar gemacht, unter anderem durch seine Zusammenarbeit mit dem pro-katalanischen Wahlbündnis "Junts pel Sí" ("Zusammen für Ja").

Seit Jahren streben mindestens die Hälfte der rund 7,5 Millionen Katalanen den totalen Unabhängigkeitsstatus an. Die Gründe dafür sind komplex: Sie fühlen sich von der spanischen Zentralregierung unterdrückt, unter anderem weil die Amtssprache "Castellano" ist und nicht "Catalán" und weil die konservative spanische Partei "Partido Popular" 2010 Katalonien abgesprochen hat, sich "Nation" zu nennen. Aktuell argumentieren die Separatisten jedoch vornehmend mit der finanziellen Benachteiligung.

Wirtschaftsstarke Region innerhalb Spaniens

Die Region erwirtschaftet mehr als ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung Spaniens. Damit ist Katalonien die reichste Gemeinschaft in dem Land, die aus Sicht von Carles Puigdemont zwar viel Geld in die von Madrid geführte Staatskasse einzahlt, aber rund acht Prozent zu wenig wiederbekommt. Dabei rechnet sich Puigdemont einen jährlichen Verlust von mehr als 15 Milliarden Euro aus.

Das Paradoxe daran ist, dass die Wirtschaftskraft vermutlich nachlassen würde, wenn sich die 32.000 Quadratkilometer große Region von Spanien und somit voraussichtlich auch von der Europäischen Union verabschieden würde. Ähnlich wie beim Brexit müssten viele Unternehmer dann entscheiden, ob sie ihren Firmensitz in Städten wie Barcelona halten wollen würden.

Dessen ungeachtet wollen viele Katalanen die finanzielle Unabhängigkeit. So kommt es seit 2010 immer wieder zu größeren Protesten gegen die Zentralregierung. In den vergangenen Wochen sind Hunderttausende Menschen in Barcelona auf die Straße gegangen. Zuletzt auch am katalanischen Nationalfeiertag am 11. September. Zahlreiche Katalanen demonstrierten allerdings auch gegen die Abspaltung.

Regierung geht gegen das Referendum vor

Spaniens Präsident Mariano Rajoy hat das Referendum verboten – wie schon im Jahr 2014. Damals stimmten die Katalanen bei einem inoffiziellen Entscheid ab. Das Ergebnis war ein 80-prozentiges "Sí". Um zu verhindern, dass sich dieses Ergebnis wiederholt,unternimmt Rajoys Partei "Partido Popular" vieles, um das Referendum nicht stattfinden zu lassen. Zunächst hatte das Verfassungsgericht das Referendum abgelehnt. Im September hat die spanische Nationalpolizei Guarda Civil außerdem separatistische Politiker verhaftet sowie mehr als zehn Millionen Stimmzettel beschlagnahmt und Wahlplakate entfernt.

Die Reaktion vieler Katalanen waren neben großen Demonstrationen, neue Stimmzettel zu verteilen sowie die Hauswände Barcelonas mit Wahlwerbung zuzukleben. Vor allem junge Leute versuchen aktiv, die Menschen zum Wählen zu bewegen oder sie zumindest als Sympathisanten zu gewinnen. Am Freitagabend verteilte eine junge Barcelonesin in der Metro Flyer mit der Aufschrift "El Futur es nostre" ("Die Zukunft gehört uns").

Währenddessen schickte Präsident Rajoy 26.000 Polizisten nach Barcelona – mit der Anordnung, die mehr als 2.000 Wahllokale abzusperren. Carles Puigdemont rief die Katalanen dazu auf, dennoch Schlangen vor den Wahllokalen zu bilden. Einem Aufruf, dem viele Menschen folgten. Bereits vor Sonnenaufgang bildeten sich in Barcelona lange Schlangen vor den von Aktivisten besetzten Wahllokalen.

Vergleichbar mit Brexit oder Schottland?

Puigdemont scheint mindestens auf Symbolkraft setzen zu wollen, vielleicht auch, um internationale Aufmerksamkeit zu erreichen. In einem Gastbeitrag in der "Washington Post" vergleicht er das heutige Referendum mit solchen in Kanada oder dem Brexit. Anstatt den Willen Kataloniens wahrzunehmen, setze Madrid auf autoritäre Repression, schreibt er darin.

Auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau äußert sich in den spanischen Medien besorgt über die Vorgehensweise der Zentralregierung, mitunter aufgrund des hohen Polizeiaufgebots. "Auch wenn ich keine Separatistin bin, bin ich durch das repressive Vorgehen der spanischen Regierung zur Verhinderung der Volksabstimmung besorgt", sagt Colau. Unterstützung bekommen die Unabhängigkeitsanhänger übrigens von prominenter Seite: Pep Guardiola, ehemaliger Trainer des FC Bayerns sowie des FC Barcelonas, ist in der hiesigen Provinz aufgewachsen. In einem Werbefilm sagte er just: "Diesmal geht es nicht um die Unabhängigkeit, sondern um Demokratie."

Wie dieser schicksalsreiche Tag für die spanische Demokratie ausgeht, das bestimmt auch die "Mossos d’Esquadra". Sie ist die Regionalpolizei von Katalonien und sympathisiert tendenziell eher mit den Separatisten. Ob sie sich der Guardia Civil unterstellen wird, wie Madrid es ihr angewiesen hat, wird sich erst im Laufe des Tages zeigen. Politikexperten spielen ihr binnen der Demokratie eine wichtige Rolle für den Ausgang des Referendums zu.

"Wirtschaftliche Konsequenzen wären hart"

Doch was bedeutet Demokratie in diesem Fall? Auf der einen Seite handelt es sich bei der Unabhängigkeit von Katalonien um eine von Millionen von Menschen gewünschte Veränderung. Auf der anderen Seite widerspricht das Vorhaben offiziell den spanischen Statuten. Und ein positiver Ausgang würde deutliche Folgen für die spanische Wirtschaft haben.

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Klaus-Jürgen Nagel ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Er lehrt Themen wie Föderalismus und Nationalismus und lebt seit mehr als 30 Jahren in Katalonien. "Die wirtschaftlichen Konsequenzen eines effektiven Austritts wären für beide Seiten zunächst hart, auf lange Sicht aber viel ungünstiger für Spanien", sagt Nagel. Der Staat müsste die Regionalfonds der EU mehr in die Pflicht nehmen als bisher, möglicherweise auch "um Kredite nachsuchen müssen". Ein Comeback der spanischen Schuldenkrise wäre also nicht auszuschließen.

Zu den allgemeinen Folgen für Europa sieht er keinen großen Unterschied zum jetzigen Zeitpunkt voraus. "Allerdings", gesteht er ein, "würde dank der Bevorzugung kleiner Staaten innerhalb der EU eine katalanische Mitgliedschaft bedeuten, dass das Gewicht der Großstaaten wie Deutschland relativ abnähme, zum Beispiel in der Kommission oder im Europaparlament. Das ist vielleicht ein Grund, warum sich gerade Deutschland so stark auf die Seite der Rajoy-Regierung stellt."

Nagel rechnet damit, dass sich die Fronten zwischen Katalonien und der Zentralregierung heute weiter verhärten. Und das hätte in jedem Fall schlechte Folgen für die spanische Demokratie – egal aus welcher Perspektive.

Die Geschichte Kataloniens

Im Jahr 1714 wurde Katalonien von Spanien annektiert und somit zu einer Gemeinschaft ohne eigene Rechte. Dazu gehörte ein Verbot der katalanischen Sprache. Castellano, also das, was wir als "Spanisch" bezeichnen, wurde zur amtlichen Sprache. Anfang des 19. Jahrhunderts erlangte Katalonien neuen Reichtum, womit auch das Nationalgefühl wuchs. 1932 kam die erhoffte Renaissance: Die spanische Monarchie war zerrüttet, Katalonien wieder unabhängig – bis General Francisco Franco Spanien zum Diktaturstaat machte und Katalonien schlimmer unterdrückte als jemals zuvor. Erst nach Francos Tod im Jahr 1975 erhalten die Katalanen den Status einer autonomen Gemeinschaft und dürfen ihr eigenes Parlament bilden. Bis heute heißt das "Generalitat de Catalunya".

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