Massenproteste in Brasilien Soldaten marschieren in Brasilia auf
Die wegen Korruptionsverdachts massiv unter Druck stehende Regierung in Brasilien hat in der Hauptstadt Soldaten aufmarschieren lassen. In Brasilia haben Zehntausende gegen Präsident Temer protestiert.
Die Regierung begründete die Mobilisierung mit Ausschreitungen, die sich am Mittwoch nach einem Massenprotest gegen Staatschef Michel Temer ereigneten. Der Schritt weckt Erinnerungen an die Zeit der Militärdiktatur in Lateinamerikas größtem Land.
Die von Gewerkschaften sowie linken Parteien und Gruppen organisierte Großkundgebung verlief zunächst friedlich. Nach Behördenangaben nahmen 45.000 Menschen teil, die Veranstalter sprachen von 100.000 Demonstranten. Sie zogen mit dem Ruf "Temer weg" durch die Stadt.
49 Menschen verletzt
Als der Protestzug das Regierungsviertel erreichte, kam es zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein, einige teils vermummte Demonstranten reagierten mit Steinwürfen. Amtlichen Angaben zufolge wurden 49 Menschen verletzt, einer davon durch Schüsse. Außerdem gab es demnach sieben Festnahmen und beträchtlichen Sachschaden.
Einige Demonstranten drangen in das Landwirtschaftsministerium ein und randalierten dort, wie ein Ministeriumssprecher sagte. Sie legten demnach ein Feuer, zerstörten Fotos früherer Minister und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch andere Ministerien wurden angegriffen.
Die brasilianische Regierung forderte Soldaten an, um die Gebäude zu schützen. Wie Verteidigungsminister Raul Jungmann erklärte, trafen die Einheiten als erstes beim Außenministerium ein und bezogen dann auch bei den anderen Ministerien Stellung.
Tumultartige Szenen
Zunächst bis zum 31. Mai sollen insgesamt 1500 Soldaten Regierungsgebäude in Brasília schützen. Im Kongress kam es zu tumultartigen Szenen, als Temers Order zum Einsatz von Soldaten bekannt wurde.
Der Einsatz der Armee ist heikel in einem Land, das von 1964 bis 1985 unter der Militärdiktatur lebte. Zuletzt kamen Soldaten in schwierigen Sicherheitslagen oder bei Großereignissen wie der Fußball- Weltmeisterschaft 2014 oder den Olympischen Spielen 2016 zum Einsatz.
"Das ist eine extreme Maßnahme der Regierung Temer und ein klares Signal, dass die Regierung die Kontrolle verloren hat, mit sehr schlechten Folgen für unsere Demokratie", sagte der Analyst des Consultingbüros Hold, André Cesar, in Brasília.
Demonstranten verlangen Rücktritt
Der Senator Tasso Jereissati von der rechtsgerichteten Sozialdemokratischen Partei Brasiliens (PSDB), Temers Hauptkoalitionspartner, fühlte sich ebenfalls an die Militärdiktatur erinnert. Jereissati gilt als einer der möglichen Nachfolger Temers.
Die Demonstranten verlangten den Rücktritt des korruptionsverdächtigen Staatschefs, Neuwahlen und das Ende der von Temer verordneten Kürzungspolitik. Diese sieht vor, öffentliche Ausgaben für die Dauer von 20 Jahren einzufrieren, ein späteres Renteneintrittsalter einzuführen und die Arbeitsgesetze im Sinne der Unternehmer zu lockern. In Rio de Janeiro gab es ebenfalls Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten, die gegen Temers Rentenpolitik protestierten.
Temer besteht trotz sich häufender Rücktrittsforderungen darauf, im Amt zu bleiben. In einem heimlich mitgeschnittenen Gespräch soll er Schweigegeldzahlungen an den inhaftierten ehemaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha zugestimmt haben.
Cunha, wie Temer Mitglied der rechtskonservativen Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), soll über umfassendes Wissen zu den Beteiligten in der Korruptionsaffäre um den Petrobras-Ölkonzern verfügen.
Neben der Billigung von Schweigegeldzahlungen soll Temer laut Unterlagen der Generalstaatsanwaltschaft in seiner Zeit als Vizepräsident Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen haben.
Temers Amtszeit läuft bis Ende 2018
Cunha gilt als Drahtzieher der Amtsenthebung von Temers Vorgängerin Dilma Rousseff von der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) vor einem Jahr. Nach Rousseffs Absetzung war ihr Stellvertreter Temer an ihre Stelle gerückt.
Temers Amtszeit läuft noch bis Ende 2018. Doch immer mehr Brasilianer verlangen, die Präsidentschaftswahl vorzuziehen. Der 76-jährige Temer ist Umfragen zufolge in der Bevölkerung äußerst unbeliebt.