Kommentar zur Frankreich-Wahl Das war kein Bekenntnis zu Europa!
Emmanuel Macron gewinnt die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich. Politiker in Brüssel und Berlin atmen auf, Medien feiern den europäischen Sieg. Doch eigentlich war die Wahl der nächste Warnschuss für Europa. Der Appell: Jetzt muss es Reformen geben, sonst wird die EU zerbrechen.
Ein Kommentar von Patrick Diekmann
Es ist ein politisches Erdbeben in Frankreich: Emmanuel Macron (En Marche!) gewinnt die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich und zieht neben Marine Le Pen (Front National) in die Stichwahl am 7. Mai ein. Die Kandidaten der „großen“ Parteien sind nicht mehr mit von der Partie, ein Novum in der Geschichte des Landes. Und auch Macron landet mit 23,9 Prozent nur knapp vor der rechtspopulistischen Le Pen (21,4 Prozent).
"Macron der einzige Pro-Europäer"
In Brüssel und Berlin sprechen die Politiker euphorisch über ein Zeichen für Europa und die Finanzmärkte ließen bereits die Korken knallen - der Euro-Kurs am Morgen nach der Wahl konnte leicht zulegen. "Macron war der einzige pro-europäische Kandidat, der sich nicht versteckt hat hinter Vorurteilen gegenüber Europa", sagte Außenminister Sigmar Gabriel. Und weiter: "Ich bin sicher, er wird der neue französische Präsident." Dies ist vorschnell und die vergangenen Wahlen und Referenden in den USA, Großbritannien und der Türkei mahnen uns zur Vorsicht.
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Es ist in der Tat ein gutes Zeichen für Europa, dass der Politiker gewonnen hat, der einen klar pro-europäischen Wahlkampf gemacht hat. Aber neben Le Pen stieß mit Jean-Luc Mélenchon (Linke) ein weiterer EU-Skeptiker mit 19,4 Prozent auf große Zustimmung.
Mélenchon war zwar nicht gegen Europa, aber er wollte eine andere EU, in der die grundlegenden Verträge neu verhandelt werden. Unüberwindbare Konflikte mit Deutschland und anderen EU-Staaten wären vorprogrammiert gewesen. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wollte er den Franzosen in einem Referendum zur Abstimmung vorlegen.
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Sollte Le Pen die Stichwahl gewinnen dürfte Frankreich sofort über den Verbleib in der EU abstimmen. Der letzte im Kopf-an-Kopf-Rennen zur Präsidentschaft, Francois Fillon (konservativ, 19,9 Prozent), hielt sich beim Thema „Europäische Union“ eher zurück.
Die Wahl in Frankreich als klares Bekenntnis für oder als Abkehr von der EU zu werten, ist wenig zielführend. Für viele Medien war die Wahl eine Richtungswahl für Europa, aber Europa war augenscheinlich für viele Franzosen nicht das dominierende Wahlkriterium.
Mut macht, dass laut einer aktuellen Umfrage zwei Drittel aller Franzosen möchten, dass Frankreich Mitglied der europäischen Union bleibt. Nachdenklich sollte uns stimmen, dass trotzdem 40 Prozent der Wahlberechtigten für Kandidaten votiert haben, die mit einem EU-Austritt Frankreichs kokettieren.
Radikaler Umbau in Frankreich
Das Abstimmungsverhalten zeigt nicht zuletzt durch die Abstrafung der ehemals großen Volksparteien (Sozialisten und Konservative), dass die französische Bevölkerung gegen das politische Establishment gewählt hat. Viele Menschen fühlen sich abgehängt und befürchten, dass die Wirtschaft größeren Einfluss auf die Politik hat als die Bevölkerung.
Emmanuel Macron inszenierte sich als Kandidat, der außerhalb des Systems steht und distanzierte sich trotz seiner politischen Vorgeschichte von den etablierten Parteien. Er versprach Frankreich einen „radikalen Umbau" und mehr Chancengleichheit. Und hier liegt auch die Gefahr für die Zukunft Frankreichs und Europas.
Stand jetzt ist davon auszugehen, dass Emmanuel Macron die Stichwahl gegen Marine Le Pen gewinnt und neuer französischer Präsident wird. Die Mehrheiten dafür sind laut aktuellen Umfragen eindeutig, aber die Menschen müssen erst einmal zur Wahl gehen.
Es kann sicherlich auch Wählerwanderungen vom ganz linken zum ganz rechten Rand geben. Dies sind Wähler, die einen radikal anderen Kurs fordern. Abzuwarten bleibt, wie sich die jetzt politisch-heimatlosen konservativen Wähler positionieren, die wie Le Pen besonders den Islam kritisch sehen.
Verlorene Jugend
Doch die eigentliche Gefahr besteht erst nach der Wahl. Sollte Macron die Franzosen enttäuschen, steht für die nächste Wahl schon die nächste Generation der Anti-Establishment-Politiker in den Startlöchern, um das Land aus der EU zu führen und diese womöglich zu zerreißen. Beim Front National ist mit Marion Le Pen eine Politikerin im Kommen, die sich noch sehr viel mehr an den radikalen Ansätzen ihres Großvaters Jean-Marie Le Pen orientiert als die aktuelle Kandidatin Marine.
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Die Präsidentschaftswahl in Frankreich war letzten Endes kein Bekenntnis zu Europa – es war vielmehr ein Appell an alle Mitgliedsstaaten, Politik und Wirtschaft zu reformieren. Auch die Franzosen wünschen sich Erneuerung und möchten mehr vom wirtschaftlichen Wohlstand des Landes profitieren.
Ein besorgniserregendes Beispiel ist das Wahlverhalten der Jugend. Die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich betrug im Februar 2017 knapp 24 Prozent und besonders Mélenchon hatte im Wahlkampf bei jungen Wählern Erfolg. Aber auch der Front National kann einen hohen Anteil von jungen Wählern verbuchen. Diese Entwicklungen sind Warnungen für künftige Abstimmungen in Europa.
Reformen: Es wird Zeit
Nach der Wahl von Donald Trump und dem Brexit-Referendum ist auch die Wahl in Frankreich ein Zeichen für die westliche Welt, dass es so nicht weiter gehen kann. Die französischen Volksparteien spüren die Enttäuschung über das politische Establishment und wenn es in Europa keine Reformen gibt, wird die EU irgendwann daran zerbrechen.
Die Wahl ist für Europa lediglich ein Zeitgewinn und ein Vertrauensvorschuss für den wahrscheinlich künftigen Präsidenten. „Die Franzosen haben ihren Wunsch nach einer Erneuerung ausgesprochen“, bringt es Emmanuel Macron nach der Wahl auf den Punkt. Es wird Zeit.