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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grausamer Kampf um irakische Raffinerie "Die letzte Kugel ist für mich selbst"
Eine apokalyptische Schlacht tobt in der irakischen Stadt Baidschi. Das Ziel: die Kontrolle über die größte Ölraffinerie des Landes. Die Angreifer: Kämpfer des Islamischen Staates (IS). Die militärische Lage, soweit von außen erkennbar: Während Bagdads Truppen bislang vergeblich um Zugangswege zur Raffinerie kämpfen, sitzen im Inneren 200 ihrer Kameraden in der Falle.
Soldaten, Milizionäre und Polizisten sind seit zwei Wochen innerhalb der weitläufigen Anlage eingeschlossen. Im Camp der Belagerten herrscht pure Verzweiflung.
"Wir können sie hören"
"Da'ish (der arabische Name für den IS, Anm.) hat uns von allen Seiten eingeschlossen", so ein Polizist, der sich selbst Mohanad nennt, im Telefongespräch mit CBC, dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender Kanadas. Er und seine Männer sind in einer Herberge eingeschlossen. Die IS-Terroristen, die sie bedrohen, sind in Rufweite.
"Wir können sie hören", sagt Mohanad. "Sie schreien herüber, dass sie jedem den Kopf abschneiden, den sie erwischen." Oft genug hat der IS gezeigt, dass dies keine psychologische Kriegsführung, sondern blutige Realität ist. Und lange werden sich Mohanad und seine Männer nach eigenen Aussagen nicht mehr halten können: "Uns geht die Munition aus, das Essen, das Trinkwasser. Um unsere verwundeten Kameraden zu verbinden, reißen wir Streifen aus unseren Uniformen."
Für den Fall, dass die IS-Kämpfer seine Stellung überrennen, hat Mohanad vorgesorgt: "Die letzte Kugel", so der Polizist, "ist für mich selbst. Das ist eine leichtere Art zu sterben, als den Kopf abgeschnitten zu kriegen."
Die Raffinerie von Baidschi ist seit Monaten umkämpft - mit wechselndem Kriegsglück. IS hat jedoch in den vergangenen Monaten die meisten seiner Ölreserven eingebüßt. Umso grimmiger wird jetzt um Baidschi und seine Öl- und Benzinvorräte gekämpft.
Für die Luftwaffe kaum erreichbar
Hilfe von außen ist kaum möglich: CBC zitiert Offiziere der Streitkräfte, die von außen versuchen, in die Anlage einzudringen. IS sei perfekt verschanzt, sagen die. Und mehr noch: Sie seien mittlerweile so tief in die verwinkelte Anlage (siehe Bild unten) eingedrungen, dass es selbst für amerikanische Kampfjets kaum noch möglich ist, sie zu treffen, ohne gleich die ganze Anlage kaputt zu schießen.
Dennoch versuchen Bagdads Truppen und schiitische Milizen, den sunnitischen Extremisten beizukommen. Bislang ohne Erfolg. Kämpfer und Selbstmordattentäter werfen sich den Einsatztruppen entgegen.
Dabei weiß Bagdad um die Lage der Eingeschlossenen von Baidschi: "Wir bekommen ständig SOS-Nachrichten von drinnen", sagt ein Militärsprecher. Sie flehen uns an, wir sollen Premierminister Haidar al-Abadi klar machen, dass sie ein tragisches Ende nehmen werden, wenn keine Hilfe kommt.
Die Armee sollte eigentlich alles tun, um vorzurücken: Baidschi ist nach der Eroberung Tikrits durch staatliche Truppen im vergangenen Monat von zentraler Bedeutung für die irakische Regierung. Die 60.000-Einwohner-Stadt ist nicht nur wirtschaftlich wichtig. Sie liegt auch auf dem Weg nach Mossul, der zweitgrößten irakischen Stadt.
"Sie rücken vor"
Mossul wiederum ist erklärtes Ziel der irakischen Gegenoffensive gegen die Terrormiliz, die weite Teile des Landes kontrolliert.
Im Moment herrscht jedoch Ratlosigkeit: Die Regierung der Provinz Salahuddin, in der Baidschi liegt, musste zuletzt einräumen, dass der IS Geländegewinne mache. "Sie rücken vor und nehmen viele Orte ein", so ihr Sprecher Adel al-Samaraje.
Baidschi liegt rund 45 Kilometer nördlich der Stadt Tikrit. Tikrit hatten die irakische Armee und schiitische Milizen Anfang April nach mehreren Monaten aus der Gewalt des IS befreit. Dabei wurden sie von der US-Luftwaffe unterstützt. Seitdem konnten die Regierungskräfte aber kaum weitere Erfolge gegen die Extremisten erzielen.