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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.G20-Gipfel in Indien Ein Skandal, dass das nicht schon früher passierte
Putins Krieg in der Ukraine stellt die G20 vor eine Zerreißprobe. Auch deshalb verständigen sich die Staatschefs in Indien nun auf einen historischen Schritt. Der war schon lange überfällig.
Ein Kommentar von Patrick Diekmann, Neu-Delhi
Die Welt wird immer wieder von Krisen erschüttert, selten gibt es Grund zur Freude in der internationalen Politik. Aber es gibt sie noch: die guten Nachrichten. Wenngleich man oft lange auf sie warten muss. Die Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) in die G20 ist eine dieser positiven Botschaften, die vom aktuellen Gipfel in Indien ausgehen.
Um es klar zu sagen: Es ist ein historischer Schritt, der schon lange überfällig war. Doch viele G20-Staaten – und vor allem auch der Westen – haben bei der stärkeren Einbindung der afrikanischen Staaten einen Hintergedanken. Im Fokus steht der Konflikt mit Russland und China, die ihren Einfluss in Afrika vergrößern wollen – und weniger das Streben nach politischer Fairness. Das ist leider die bittere Realität.
Mit Südafrika war bislang nur eine Nation vom afrikanischen Kontinent Mitglied im Club der einflussreichsten Wirtschaftsmächte – ein eindeutiges Missverhältnis. Denn die AU vertritt die Interessen von rund 1,3 Milliarden Menschen und hat die jüngste und am schnellsten wachsende Bevölkerung der Welt. Schätzungen zufolge könnte Afrika bis 2050 rund 2,5 Milliarden Einwohner zählen. In der EU, die ebenfalls Mitglied der G20 ist, leben lediglich rund 450 Millionen Menschen.
Druck auf die G20 ist groß
Es ist also folgerichtig, dass die Afrikanische Union mit am Tisch sitzen darf, wenn über die Zukunft der Weltwirtschaft debattiert wird. Vielmehr ist es sogar ein Skandal, dass es erst jetzt zu diesem Schritt kommt. Der Zeitpunkt für die Aufnahme ist kein Zufall, denn das Format G20 muss in Zukunft um seine Bedeutung kämpfen.
Die Gruppe der G20 ist im Überlebenskampf. Das liegt vor allem an China und Russland. Russlands Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping streben eine neue Weltordnung an. Dafür sehen sie das Brics-Format der aufstrebenden Schwellenländer als Gegenmodell zu den G7-Treffen des Westens.
Putin und Xi wollen Brics stärken und so hat die Vereinigung Mitte August beschlossen, sechs weitere Mitglieder aufzunehmen – darunter mit Ägypten und Äthiopien auch zwei afrikanische Vertreter. Mit Südafrika kommen künftig drei von elf Brics-Mitgliedsstaaten vom afrikanischen Kontinent hinzu. Die G20 gerieten auch dadurch unter Druck, nachzuziehen. Die Aufnahme der AU ist somit nun die logische Konsequenz.
Afrika ist Spielball der Interessen
Es ist wichtig, dass die Stimmen der afrikanischen Länder nun auch mehr Gehör finden. Denn viele von ihnen leiden verhältnismäßig stärker unter den Folgen der Klimakrise, ringen mit Armut und Hungersnöten. Es sind existenzielle Fragen für die Menschheit, die nicht unbeantwortet bleiben dürfen. Die Aufnahme der AU könnte für neue, wichtige Impulse in dem G20-Club sorgen. Dieser schien zu großen politischen Sprüngen bislang nicht bereit zu sein.
Einziger Wermutstropfen: Die Aufnahme der AU geschah nicht aufgrund ihrer politischen Notwendigkeit. Vielmehr setzte sich der indische Premierminister Narendra Modi dafür ein, weil er einen politischen Sieg für sich verbuchen wollte. Modi versucht, sein Land als Anführer des globalen Südens zu profilieren. Die Aufnahme der Afrikanischen Union ist für ihn deshalb ein wichtiger Erfolg. Diesen braucht er umso dringender, weil der Gipfel für Indien durch die verhärteten Fronten zwischen Russland und dem Westen noch immer zum Debakel werden könnte.
Schritte gegen China
Aber auch der Westen handelt aus Eigeninteresse. Denn seit Beginn der russischen Invasion werben der Westen auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite um bessere Bündnisse mit Schwellen- und Entwicklungsländern. In diesem Gezerre möchte man Xi und Putin auf dem afrikanischen Kontinent nicht das Feld überlassen.
Die eigentlichen Gründe für ihre Aufnahme werden der AU vorerst wahrscheinlich egal ein. Sie sitzen nun mit am Tisch, ihnen wird zugehört. Das Gerangel um eine neue globale Ordnung führt für die ärmeren Länder so auch zu einem Bedeutungsgewinn. In den Jahrzehnten der westlichen Hegemonie wurden ihre Sorgen und Interessen oft ignoriert. Das muss und das wird sich in Zukunft ändern. Mit der Aufnahme der AU in die G20 ist ein weiterer Schritt in diese Richtung getan.
- Gespräche auf dem G20-Gipfel in Neu-Delhi