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Putin verspottet | Kremlgegner: "Ein extrem leichtgläubiger Mensch"


Kremlgegner verspottet Putin
"Unser Präsident ist ein extrem leichtgläubiger Mensch"

Von t-online, mk

Aktualisiert am 01.09.2023Lesedauer: 3 Min.
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Igor "Strelkow" Girkin am Dienstag in einem Moskauer Gerichtssaal: "Ich habe keinen einzigen Freund, der auch nur Millionär wäre." (Quelle: IMAGO/Kirill Zykov)

Im Westen wird Igor Girkin als Kriegsverbrecher gesucht, in Russland sitzt er aus anderen Gründen in Haft. Hat sich der Nationalist jetzt zu weit vorgewagt?

Wer sich in Russland gegen den Präsidenten stellt, lebt gefährlich. Das dürfte auch dem ultranationalistischen Blogger und im Westen verurteilten Kriegsverbrecher Igor Girkin klar sein. Wegen seiner harschen Kritik an der russischen Armee sitzt der 52-Jährige seit Ende Juli im berüchtigten Moskauer Gefängnis Lefortowo. In seinem Telegramkanal hatte Girkin immer wieder ein härteres Vorgehen gegen die Ukraine gefordert. Jetzt provoziert der Geheimdienstler den Kreml erneut – mit beißendem Spott gegen Wladimir Putin.

"Der Präsident weigert sich, militärische Operationen zu leiten und hält sich für unfähig in diesen Dingen", schreibt Girkin auf Telegram in einer offenbar ironisch gemeinten Bewerbung für die russische Präsidentschaftswahl im März 2024. In dem Post listet Girkin seine Vorteile gegenüber dem Amtsinhaber auf. "Ich halte mich in militärischen Dingen für kompetenter als der gegenwärtige Präsident und sicherlich kompetenter als der Verteidigungsminister (Sergej Schoigu, Anm. d. Red.). Daher könnte ich die Pflichten des Oberkommandanten so erfüllen, wie es die Verfassung verlangt."

Girkin befahl Abschuss von Flug MH17

In diesem Ton fährt Girkin, der sich auch den Kampfnamen "Strelkow" (Schütze) gegeben hat, fort und listet die vermeintlichen Fehler des Kremlchefs auf. "Unser Präsident ist ein extrem leichtgläubiger Mensch", so Girkin. Acht Jahre lang habe er sich vom Westen und der Ukraine täuschen lassen. "Ich dagegen kann sagen, dass ich seit 2014 nie gemeinsame Sache gemacht habe mit denen, die unseren Präsidenten an der Nase herumführen. Im Gegenteil, ich habe ihnen nie über den Weg getraut."

Nach dem russischen Einmarsch in die Ostukraine 2014 schwang sich Girkin zum "Verteidigungsminister" der sogenannten "Volksrepublik Luhansk" auf. In dieser Position gab er am 17. Juli 2014 den Befehl zum Abschuss von Flug MH17 mit 298 Toten. Die meisten der Opfer waren Niederländer, ein niederländisches Gericht verurteilte Girkin darum voriges Jahr in Abwesenheit zu lebenslanger Haft. Sein Kriegseinsatz in der Ukraine und seine Verurteilung als Kriegsverbrecher begründen bis heute Girkins Ansehen in der extremen Rechten Russlands.

"Extremismus": Girkin festgenommen

Dieses Ansehen dürfte Girkin bislang vor der Rache des Kremls bewahrt haben. Rechte Kriegsblogger und -kommentatoren genießen in Russland deutlich mehr Redefreiheit als die Durchschnittsbürger. Und Girkin hat diese Freiheit schon vor seiner wohl scherzhaften Präsidentschaftskandidatur stark ausgereizt. Außer dem Chef der Söldnerarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat bislang niemand die russische Armeeführung so scharf kritisiert wie Girkin. Nach seiner Meuterei mit Tausenden Söldnern Ende Juni starb Prigoschin vorige Woche bei einem Flugzeugabsturz nahe Moskau. Es gibt Hinweise, dass Prigoschin Opfer eines Anschlags wurde. Dabei hatte Prigoschin, anders als Girkin, Putin nie direkt angegriffen.

Girkins Inhaftierung Ende Juli unter dem Vorwurf des "Extremismus" erfolgte wohl auch im Zuge der Wagner-Meuterei, obwohl Girkin auch Prigoschin immer wieder attackiert hatte. Genau wie Putin kommt auch Girkin aus dem Inlandsgeheimdienst FSB. Nach 2013 soll er zum Militärgeheimdienst GUR gewechselt sein. Auch diese Verbindungen dürften Girkin einen gewissen Schutz vor dem Zorn des Kremlherrschers geboten haben. Seit seiner Inhaftierung hatte sich Girkin mit öffentlicher Kritik zurückgehalten, doch mit seiner "Bewerbung" für die Wahl 2024 greift er Putin jetzt direkt an.

Girkin unterstellt Putin Korruption

Der gegenwärtige Präsident sei "zu nett", schreibt Girkin. Er habe sich nicht nur vom Westen an der Nase herumführen lassen, sondern auch von den Eliten in Russlands Behörden und Wirtschaft: "Trotzdem sind all diese Führungskräfte noch im Amt und erstaunen uns weiter mit ihrer Unfähigkeit", ätzt Girkin. Weiter unterstellt er Putin unverhohlen, korrupt zu sein und sich nur um seine Oligarchenfreunde zu kümmern.

Auch da sieht Girkin einen Vorteil bei sich: "Ich habe keinen einzigen Freund, der auch nur Millionär wäre", schreibt er. "Darum müsste ich auch nicht immer die Wünsche meiner Freunde erfüllen, zum Schaden der russischen Wirtschaft". Da er nicht so "athletisch und gesund" sei wie Putin, würde er die Wähler auch nur höchstens 20 Jahre lag mit seiner Anwesenheit belästigen.

Dabei steht der Sieger der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr bereits fest, wie Kremlsprecher Dmitri Peskow kürzlich in der "New York Times" durchblicken ließ: "Putin wird im kommenden Jahr mit mehr als 90 Prozent der Wählerstimmen wiedergewählt werden", ist sich Peskow sicher. Die Wahlen seien daher keine demokratische Entscheidung, sondern "kostspielige Bürokratie". So offen hatte die russische Führung bis dahin nie eingestanden, dass die Wahlen in dem Land eine reine Farce sind. Abzuwarten bleibt, ob Kremlchef Putin den Spott Girkins einfach über sich ergehen lässt.

Verwendete Quellen
  • Telegramkanal von Igor "Strelkow" Girkin: Eintrag vom 31. August 2023 (russisch)
  • nytimes.com: Putins's Forever War (englisch)
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