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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deckname Lotus Diesen Mann wollte Prigoschin wohl als seinen Nachfolger
Nach dem mutmaßlichen Tod der Führungsriege der Söldnertruppe Wagner stellt sich die Frage nach der Nachfolge. Wagner-Chef Prigoschin hat offenbar vorgesorgt.
Knapp eine Woche ist es nun her, dass die Führungsriege der Söldnertruppe Wagner durch einen Flugzeugabsturz mutmaßlich ums Leben kam. Seitdem stellen sich die Fragen: Wie geht es mit der Gruppe weiter? Und unter wessen Führung?
Wenn es nach dem Willen des mutmaßlich verstorbenen Prigoschin geht, steht sein Nachfolger offenbar bereits fest. Denn der Wagner-Chef soll ein Vermächtnis hinterlassen haben, in dem er Anweisungen gibt, was passieren soll, wenn er getötet wird. Auch der Fall, dass die gesamte Führungsriege auf einmal umkommt, war darin anscheinend bedacht. Das berichtet zumindest der üblicherweise gut informierte Wagner-nahe Telegramkanal "VCHK-OGPU".
Deckname Lotus
Ein Name wird ebenfalls genannt: Lotus. Hinter diesem Decknamen verbirgt sich Anton Jelizarow, Kommandant der Wagner-Söldner in der Ukraine. Er blickt, wie auch Prigoschin, auf eine bewegte und zudem kriminelle Karriere zurück.
In der Ukraine nahm er eine zentrale Stellung ein. So soll Jelizarow die Kämpfe um die ukrainische Stadt Soledar nahe Bachmut befehligt haben. Russische Truppen nahmen sie Mitte Januar ein. Prigoschin reiste offenbar eigens an, um Jelizarow zu beglückwünschen. Ein am 14. Januar veröffentlichten Video zeigt die beiden Männer in Militärkleidung im Schnee, hinter ihnen Kriegsruinen.
"Ohne Geschwätz" habe Jelizarow die Stadt in zwei Wochen erobert, sagt Prigoschin darin, nennt ihn den "Kommandeur der Eroberung von Soledar" und einen erfahrenen Kämpfer. Doch was ist über den Mann bekannt? "Dossier Center", ein Projekt des im Exil lebenden Kremlkritikers Michail Chodorkowski, hat eine Reihe von Informationen zusammengetragen.
Ausgezeichnet als Held
Demnach hat Jelizarow nicht nur in der Ukraine gekämpft. In Syrien, der Zentralafrikanischen Republik und Libyen war er ebenso im Einsatz – zunächst als Kämpfer, ab 2021 kommandierte er dann eine Angriffsgruppe in Libyen. In der Ukraine ging es mit seiner Karriere offenbar weiter bergauf. Ein Video von September 2022 zeigt ihn an der Seite von Prigoschin auf der Beerdigung eines Wagner-Söldners.
Wie das russische Investigativmagazin "The Insider" berichtet, sind darin klar drei goldene Sterne an Jelizarows Kleidung zu erkennen: Sie stehen für die Auszeichnung des Helden Russlands sowie des Helden der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk, deren Gebiet zum ukrainischen Staatsgebiet gehört. Jelizarow gilt demnach in Russlands als Kriegsheld.
Auf dem folgenden Foto von der Beerdigung sind Jelizarows Sterne zu sehen:
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Klage gegen das Verteidigungsministerium
Den Berichten zufolge ist der 41 oder 42 Jahre alte Jelizarow seit 2016 Teil der Wagner-Gruppe. Zuvor diente er in der russischen Armee, kämpfte im Nordkaukasus, kommandierte eine Kompanie und einen Zug im 108. Regiment der 7. Garde-Luftlande-Sturmdivision in Noworossijsk. 2014 habe er sich dann jedoch mit dem Verteidigungsministerium angelegt.
Er hatte nach Angaben des "Dossier Center" und des ukrainischen Investigativprojekts "Molfar" versucht, seine staatseigene Wohnung mit gefälschten Dokumenten zu privatisieren. Ein Gericht verurteilte ihn daraufhin zu einer Geld- und Haftstrafe auf Bewährung. Jelizarow wehrte sich mit einer Klage gegen das Verteidigungsministerium. Allerdings verlor er und musste die Wohnung 2016 räumen – in demselben Jahr, in dem er zur Wagner-Gruppe stieß.
Andere Namen kursieren für die Nachfolge
Ob Jelizarow tatsächlich die Wagner-Gruppe übernimmt, ist unklar. Prigoschins Notiz sieht offenbar vor, dass seine Nachfolge direkt nach seiner Beerdigung in Kraft tritt. Jedoch kursieren auch andere Namen. Das russische Nachrichtenportal "Medusa" berichtete etwa, dass der Kreml auf einen anderen Wagner-Söldner zu setzen scheine: Andrej Troschew. Bereits nach dem abgebrochenen Marsch der Söldnertruppe auf Moskau im Juni sei er vom Kreml beauftragt worden, eine Truppe Wagner-Kämpfer für das Verteidigungsministerium zusammenzustellen.
Wie "Medusa" weiter mit Bezug auf Aussagen verschiedener Wagner-Söldner schrieb, soll Prigoschin damit nicht einverstanden gewesen sein. Troschew scheint ohnehin keinen guten Ruf in der Truppe zu genießen. "Als Troschews Name fiel, mussten sich mehrere Wagner-Kommandanten in der Runde auf die Zunge beißen, um nicht loszulachen", sagte der frühere Kommandant Marat Gabidullin demnach über ein Treffen zwischen Wagner-Leuten und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Denn Troschew soll schwer alkoholkrank sein, manchmal falle er bis zu zwei Wochen aus. Dass Prigoschin ihn nicht abgesägt habe, habe schlicht daran gelegen, dass Troschew über zu viele Insiderinformationen verfüge, berichtete "Medusa". Eines aber ist offensichtlich: Der Kreml will nun endlich die Oberhand über die Söldnertruppe gewinnen.
- Telegram: Kanal von vchkogpu
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- theins.ru: "Wagner mercenary who commanded storm of Soledar is ex-soldier convicted of fraud" (englisch)
- molfar.com: "Lotos" the commander of the mercenaries of "Wagner" PMC in the Soledar-Bakhmut direction (englisch)
- meduza.io: "Никто не был удивлен, все указывают на Кремль". Что говорят о крушении самолета Пригожина в ЧВК Вагнера (russisch)