Prigoschin im Exil? Wagner-Mitarbeiter plündern angeblich die Firma
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat sich vor seinem mutmaßlichen Flugzeugabsturz offenbar in Afrika aufgehalten. Unterdessen stahlen Angestellte in Russland angeblich schon die Firmentelefone.
Vor ihrem "Marsch auf Moskau" Ende Juni galt die Gruppe Wagner als eine der schlagkräftigsten russischen Einheiten, üppig finanziert vom Kreml und ausgestattet mit schweren Waffen von der Armee. Kurz vor Moskau sagte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin den Aufstand ab, aber die Zukunft der Söldnertruppe ist seither ungewiss. Am Mittwoch dann, so scheint es derzeit, könnte Prigoschin und sein Vertrauter, Dmitri Utkin, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein. Nur einen Tag zuvor berichtete ein angeblicher Insider von regelrechten Auflösungserscheinungen in der Organisation.
"Seit der Meuterei ist der Zustand in Prigoschins Unternehmen ziemlich beklagenswert", zitiert der russische Telegram-Kanal "VChK-OGPU", der Wagner nahestehen soll, eine nicht näher benannte Quelle innerhalb der Privatarmee. "Wegen seiner Leidenschaft für seine persönliche Werbung hat der Geschäftsführer aufgehört, die Arbeit seiner Angestellten zu kontrollieren."
Prigoschin ist immer wieder mit derben Ausfällen gegen die Armeeführung aufgefallen und zielte mit seiner Rebellion mutmaßlich auf einen Wechsel an der Spitze der russischen Streitkräfte ab. Am Montag hatte sich der 62-Jährige erstmals seit Ende Juni wieder persönlich zu Wort gemeldet, angeblich aus Afrika.
"Tatsächlich gekauft wird nichts"
Wie "VChK-OGPU" weiter berichtet, plünderten Wagner-Angestellte die Firma mit verschiedenen Methoden aus – mit Wissen und sogar auf Anregung von Prigoschins Stellvertreter Waleri Tschekalow. So hätten sich Mitarbeiter der Finanzabteilung darauf spezialisiert, "Karteileichen zu sammeln" und den Sold von Kämpfern einzubehalten, die tot sind oder die Truppe verlassen haben: "In einigen Abteilungen beläuft sich die Zahl solcher 'Null'-Mitarbeiter auf 30 bis 40 Personen", zitiert "VChK-OGPU" die Quelle. Bei einem Monatsgehalt von umgerechnet 500 bis 1.000 Euro ergebe sich ein hoher Verlust für die Truppe: "Und das jeden Monat".
Eine "Goldmine" hätten auch Mitarbeiter des internen Sicherheitsdienstes von Wagner entdeckt, heißt es weiter im Bericht auf "VChK-OGPU". Diese Abteilung beschafft beispielsweise Überwachungskameras und Aufklärungsdrohnen für die Organisation. Die betrügerischen Mitarbeiter bitten bei der Geschäftsführung um ein extra hohes Budget, um teures ausländisches Material zu beschaffen, so der Bericht: "Prigoschin stellt das Budget zur Verfügung und erhält gefälschte, ausgedruckte Schecks als Beleg. Tatsächlich gekauft wird nichts." Auch diese Masche laufe mit Wissen von Prigoschins Stellvertreter Tschekalow, heißt es. In den unteren Abteilungen würden Mitarbeiter Telefone stehlen, die sie dann im Internet verkaufen.
Prigoschin in der Schlinge?
Unabhängig überprüfen lässt sich der Bericht nicht, doch um die Finanzen der Gruppe Wagner dürfte es ohnehin nicht gut stehen. Nach Einschätzung der britischen Regierung hat der Kreml die Finanzierung der Privatarmee inzwischen eingestellt. Wichtigster Geldgeber sei jetzt Belarus. Kremlchef Putin hatte nach der Meuterei Ende Juni erstmals öffentlich zugegeben, dass der Staat die Gruppe finanziert habe. Jewgeni Prigoschin galt als enger Vertrauter Putins, doch nach dem "Marsch auf Moskau" wurde die Luft offenbar für ihn dünner.
Ein wichtiges Standbein der Wagner-Gruppe sind die Aktivitäten in Afrika, sie ist etwa aktiv in Mosambik, Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik. Nach dem Putsch in Niger sucht auch die dortige Militärjunta die Zusammenarbeit mit den russischen Söldnern. Die Staatengemeinschaft Ecowas droht, in dem Land militärisch eingreifen. Die Ausbeutung von Rohstoffen wie Gold und Silber sowie die Zusammenarbeit mit Warlords sind wichtige finanzielle Quellen der Wagner-Truppe.
Wie viele Kämpfer die Gruppe Wagner noch hat, ist unklar. In Belarus sollen sich nach Angaben der Exil-Opposition 6.000 bis 15.000 von ihnen befinden. Die Nachbarländer Polen, Litauen und Lettland sind wegen der russischen Söldner alarmiert. Die US-Botschaft in Minsk rief am Dienstag ihre Staatsbürger in Belarus auf, das Land sofort zu verlassen. Ein Teil der Wagner-Kämpfer soll zur regulären Armee oder zu anderen Söldnergruppen gewechselt sein. Im Krieg gegen die Ukraine tritt die Gruppe nicht mehr prominent in Erscheinung. Als ihr größter Erfolg galt im Frühjahr die Eroberung der völlig zerstörten Kleinstadt Bachmut im Osten der Ukraine.
- Telegramkanal "VChK-OGPU": Eintrag vom 21. August (russisch)