Feiern nach Erdoğan-Wahlsieg Özdemir kritisiert Deutschtürken: "Absage an unsere Demokratie"
Recep Tayyip Erdoğan ist erneut zum Präsidenten gewählt worden. International brachte ihm das Glückwünsche ein. Teils wurde aber auch scharfe Kritik laut.
Nach dem Wahlkrimi in der Türkei haben die Menschen im Land nun Gewissheit: Recep Tayyip Erdoğan ist ein weiteres Mal an die Spitze des Staates gewählt worden.
Dennoch fiel das Ergebnis der entscheidenden Runde der Präsidentschaftswahl am 28. Mai deutlich knapper aus als erwartet, die türkische Gesellschaft ist politisch gespalten. (Das Ergebnis der Türkei-Wahl sehen Sie hier.)
Embed
Noch am Abend gratulierten Staats- und Regierungschefs aus aller Welt Erdoğan zu seinem Wahlsieg. Teils gab es aber auch deutliche Kritik. Ein Überblick:
Scholz gratuliert, Özdemir mit deutlicher Kritik
Bundeskanzler Olaf Scholz unterstrich den Willen zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem wiedergewählten türkischen Präsidenten. "Gratulation an Präsident Erdoğan zur Wiederwahl", erklärte Scholz auf Twitter. "Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben." Deutschland und die Türkei seien enge Partner und Alliierte. Auch gesellschaftlich und wirtschaftlich seien beide Länder stark miteinander verbunden.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Bundesagrarminister Cem Özdemir kritisierte hingegen das Wahlverhalten von Türken in Deutschland scharf – Erdoğan lag hier auch in der zweiten Runde deutlich vorn. Ihn interessiere, was in Deutschland los sei, wo die Anhänger von Erdoğan feierten, "ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen", schrieb der Grünen-Politiker in der Nacht zu Montag auf Twitter. Das müssten viele Menschen in der Türkei durch Armut und Unfreiheit. "Sie sind zu Recht wütend. Darüber wird zu reden sein!" Özdemir selbst ist türkischer Herkunft, hat aber eigenen Angaben zufolge keinen türkischen Pass.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Es tue ihm um die vielen, vor allem jungen und gut ausgebildeten Menschen in der Türkei leid, die jede Hoffnung verlören, so Özdemir. Er fürchte, dass Ultranationalismus und Fundamentalismus sich nun noch stärker durch neue Imame aus Ankara hierzulande verbreiten würden.
SPD-Politiker Roth zu t-online: "Trauriger Tag"
SPD-Außenpolitiker Michael Roth sagte auf Anfrage von t-online zum Wahlergebnis: "Es ist ein trauriger Tag für die vielen Türkinnen und Türken, die auf eine demokratische, freie und rechtsstaatliche Türkei gesetzt haben." Dass sich die Opposition trotz der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage nicht durchsetzen konnte, zeige, wie gespalten das Land sei und wie sehr die Wahlentscheidung von Fragen der kulturellen Identität beeinflusst werde, so Roth. "Wir dürfen außerdem nicht vergessen, dass es sich zwar um freie, aber keineswegs um faire Wahlen gehandelt hat", kritisierte der SPD-Politiker. "Denn Erdoğan und die AKP kontrollieren einen Großteil der Medien und zentralen Institutionen des Landes."
Roth äußerte auch Bedenken über die Zukunft des Landes: "Vor der Türkei stehen sehr schwere Monate und Jahre. Der wirtschaftliche Absturz wird voraussichtlich weitergehen." Der Wahlkampf habe die gesellschaftliche Polarisierung noch einmal zugespitzt und Ablehnung und Hass gegenüber den Geflüchteten aus Syrien befeuert. Deutschland werde auch weiterhin mit der Türkei zusammenarbeiten müssen. "Aber politische Nachsicht oder gar Rabatte werden wir nicht erteilen dürfen", sagte er. "Die Türkei muss endlich eine konstruktivere Rolle in der Nato spielen. Sie hat die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte uneingeschränkt umzusetzen. Wenn nicht, muss das Konsequenzen für Ihre Mitgliedschaft im Europarat haben." Die EU müsse über die künftige Zusammenarbeit im Lichte der weiteren Entwicklungen in der Türkei befinden. "Ein schlichtes 'Weiter so' kann es nicht geben."
CSU-Europa-Politiker für Ende des EU-Beitrittsprozesses
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, sprach sich dafür aus, den EU-Beitrittsprozess mit der Türkei zu beenden. "Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine enge Partnerschaft wichtig ist, eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU allerdings niemand mehr will – weder die Türkei noch die EU", sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). "Diesen Prozess müssen wir zu den Akten legen, weil er bessere Beziehungen mehr blockiert als unterstützt."
Die Erwartungshaltung nach dem Wahlsieg Erdoğans sei klar, sagte Weber. "Gerade beim Ziel eines Friedens zwischen der Ukraine und Russland, der Migrationspolitik, zur wirtschaftlichen Modernisierung und bei der Zypern-Frage brauchen wir die Zusammenarbeit. Erdoğans sollte nun umgehend der Mitgliedschaft Schwedens in der Nato zustimmen."
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hingegen schrieb auf Twitter: "Ich freue mich darauf, die EU-Türkei-Beziehung weiter auszubauen." Es sei sowohl für die EU als auch für die Türkei von strategischer Bedeutung, "diese Beziehungen zum Wohle unserer Völker voranzutreiben". Auch EU-Ratspräsident Charles Michel sprach Erdoğan seine Glückwünsche aus. "Ich freue mich darauf, wieder mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um die EU-Türkei-Beziehungen in den kommenden Jahren zu vertiefen", schrieb er auf Twitter.
Macron gratuliert Erdoğan
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron gratulierte noch vor Bekanntgabe des Endergebnisses. "Mit Präsident Erdoğan, dem ich zu seiner Wiederwahl gratuliere, werden wir weiter voranschreiten", schrieb Macron am Sonntagabend auf Twitter. "Frankreich und die Türkei haben gemeinsam immense Herausforderungen zu bewältigen." Macron nannte als Stichworte die Rückkehr des Friedens nach Europa, die Zukunft der euro-atlantischen Allianz und das Mittelmeer.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Auch Russlands Präsident Wladimir Putin beglückwünschte Erdoğan zum Wahlsieg. "Der Wahlsieg war gesetzmäßiges Resultat Ihrer selbstlosen Arbeit auf dem Posten des Staatschefs der Türkischen Republik", heißt es im am Sonntag veröffentlichten Glückwunschtelegramm des Kremls. Der Wahlsieg demonstriere zudem die Unterstützung des türkischen Volkes für den Kurs "nationaler Souveränität und unabhängiger Außenpolitik."
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb auf Twitter, er gratuliere Erdoğan. Er zähle auf die weitere Zusammenarbeit im bilateralen Bereich sowie bei der Stärkung der Sicherheit Europas. Die Türkei hat sich während des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als Vermittler angeboten. Ankara ist es gelungen, weiter gute Beziehungen sowohl zu Moskau als auch zu Kiew aufrechtzuerhalten.
Irans Präsident Ebrahim Raisi übermittelte seine Glückwünsche. Er sei zuversichtlich, die Beziehungen beider Nachbarländer zu stärken, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA am Sonntag. Eine enge Zusammenarbeit werde bessere Voraussetzungen für die Stärkung von Frieden und Stabilität in der Region schaffen.
"Eine Anti-Erdoğan-Stimmung um jeden Preis"
In der Türkei selbst gab es am Sonntagabend großen Jubel, aber ebenso große Enttäuschung. Die Deutsche Presse-Agentur hat Eindrücke von Wählerinnen und Wählern in Ankara gesammelt.
Ugur Özgün (42) reiste mit Frau und Tochter aus der zentralen Stadt Konya nach Ankara, um Erdoğan zu unterstützen. Auf die Frage, ob er eine Spaltung der Gesellschaft befürchte, sagte er: "Es gibt keine Polarisierung, aber eine Anti-Erdoğan-Stimmung um jeden Preis."
Auch Yunus Emre Ayranc (22) unterstützte das Staatsoberhaupt: "Unsere Wirtschaft ist in einem schlechten Zustand, aber Erdoğan ist die beste Wahl." Zunächst wollte er für den Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu stimmen, habe sich dann aber anders entschieden.
Die Studentin Eslem Ataylar (23) sagte dagegen: "Ich fühle mich schlecht und bin enttäuscht, da ich befürchtet hatte, dass Kılıçdaroğlu nicht gewinnen wird." Ihre Freunde seien hoffnungslos, immer mehr Menschen wollten das Land verlassen. Sie selbst plant zu bleiben und fragt: "Wenn alle gehen, wer wird dann helfen, die Türkei wieder aufzubauen?"
Mahmud Ubeyd (22) aus Damaskus, lebt seit zehn Jahren in Ankara. Trotz der scharfen Rhetorik im Wahlkampf gegen die zahlreichen Geflüchteten aus Syrien hielt er einen Wahlsieg Erdoğans gut für die Türkei, "für die Jugend" und für "alle Muslime".
- Exklusiv: t-online Anfrage an Michael Roth zur Türkei-Wahl
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters