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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Tag des Sieges" in Russland Eine Hiobsbotschaft für Putin
Die Militärparade zum 9. Mai fiel in Moskau deutlich kleiner aus als die Jahre zuvor. Es ist eine Demonstration der Schwäche. Wladimir Putin sucht die Schuld für den Ukraine-Krieg im Westen.
Er wirkt zufrieden, gelegentlich lacht er sogar. Wladimir Putin sitzt zum "Tag des Sieges" am 9. Mai in Moskau auf der Tribüne zwischen Militärs und nimmt auf dem Roten Platz die große Militärparade ab. Der diesjährige Truppenaufmarsch fiel eher klein aus: Die moderneren Panzer und Kampfflugzeuge werden in dem Angriffskrieg gegen die Ukraine benötigt.
An diesem 9. Mai fällt alles etwas kleiner und kürzer aus. Der diesjährige "Tag des Sieges", der wichtigste nicht-religiöse Feiertag in Russland, wird damit zum Sinnbild dafür, wie sehr Russland aktuell im Ukraine-Krieg unter Druck steht. In seiner Rede im Vorfeld der Parade sprach der russische Präsident kaum über die militärische Situation in seinem Angriffskrieg. Stattdessen bediente er bekannte Kriegsnarrative: Putin sieht Russland als Opfer und wirft dem Westen vor, Russland anzugreifen.
Er warb dabei mit Unwahrheiten um Rückhalt in der russischen Bevölkerung und versuchte zu demonstrieren, dass Moskau international nicht isoliert ist. Doch so wie die Militärparade keine Demonstration der russischen Stärke wurde, ging auch das schief.
Putin: "Krieg gegen unser Vaterland"
Für viele Russinnen und Russen ist der 9. Mai ein wichtiger Feiertag. Im Zweiten Weltkrieg starben auf der Seite der Sowjetunion etwa 27 Millionen Menschen, fast alle Familien hatten Opfer zu beklagen. Der "Tag des Sieges" ist ein Gedenktag in Russland, den große Teile der Bevölkerung mit ihren Familien verbringen. Sie schauen sich die Militärparaden an, legen Blumen an Gräbern nieder, gehen in die Natur und verfolgen abends die Feuerwerke überall im Land.
Putin hat früh nach seiner Machtübernahme 1999 damit begonnen, den "Tag des Sieges" für sich zu instrumentalisieren, er stellte Russland als Großmacht dar und baute eine Art Kriegskult um seine Armee auf. Deswegen werden auch die letzten noch lebenden sowjetischen Veteranen in Uniformen und mit zahlreichen Orden auf die Ehrentribüne in die Nähe der russischen Führung gesetzt. Sie sollen Putin dabei helfen, politisch eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu bauen.
"Heute befindet sich die Zivilisation erneut an einem entscheidenden Wendepunkt", sagte Putin in seiner Rede vor Tausenden Soldaten auf dem Roten Platz. "Gegen unser Vaterland wurde wieder ein echter Krieg entfesselt", fügte er mit Blick auf die Kämpfe gegen die Ukraine hinzu. "Aber wir haben den internationalen Terrorismus zurückgeschlagen, wir werden die Einwohner des Donbass beschützen und wir werden unsere Sicherheit gewährleisten."
Putin hat am 24. Februar 2022 den Angriff auf die Ukraine befohlen. Aktuell besetzt die russische Armee zwar 18 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes, inklusive der Krim. Aber schon lange läuft der Angriffskrieg für Moskau nicht wirklich nach Plan. Russland wurde nicht mit Blumen empfangen und Putin konnte Kiew nicht schnell erobern und eine Marionettenregierung installieren. Stattdessen findet sich die russische Arme in einem langen Krieg mit der Ukraine wieder und muss fürchten, besetzte Gebiete wieder zu verlieren.
Die bekannten Kriegsnarrative
Das erschüttert das russische Großmachtempfinden und bringt Putin in Erklärungsnot. Einerseits muss er seiner Bevölkerung erklären, warum das ukrainische Brudervolk auf einmal der Feind ist. Deshalb behauptete der Kremlchef am Dienstag einmal mehr, dass die Ukraine zur "Geisel" westlicher Staaten geworden sei, die Russland zerstören wollten. "Ihr Ziel besteht (...) im Zerfall und in der Zerstörung unseres Landes."
Putins Erklärung ist also klar: Vor allem die USA nutzten ihren Einfluss auf angebliche Faschisten in Kiew, um die Ukraine zum Kampf gegen Russland zu zwingen. Wieder sei es ein "vaterländischer" Kampf Russlands gegen den Faschismus. Putin stellt sein Land als Opfer dar, das angegriffen wird und sich verteidigen muss. "Westliche globale Eliten" säten Russophobie und aggressiven Nationalismus, während die Menschen in der Ukraine zu "Geiseln eines Staatsstreichs" und der Ambitionen des Westens geworden seien, sagte der Präsident.
Seine Äußerungen am 9. Mai sind wenig überraschend, Putin bediente seine bekannten Kriegsnarrative. Sie sind zwar überwiegend Propaganda, aber es darf im Westen auch nicht unterschätzt werden, dass viele Russinnen und Russen die Weltsicht des Präsidenten teilweise teilen. Dass die russische Armee zum Beispiel in der Ukraine vor allem gegen die Nato kämpft, sieht die russische Bevölkerung laut Umfragen mehrheitlich genauso. Ganz unabhängig davon, ob die Menschen den Krieg befürworten oder nicht.
Deswegen spielte Putin mit seiner Rede auf die alte Rivalität zwischen den Großmächten im Kalten Krieg an, mit der ein Großteil der russischen Bevölkerung aufgewachsen ist. Mit ihr rechtfertigt der Kremlchef den Krieg gegen die Ukraine und die eigenen zahlreichen Opfer.
Kein Bild der internationalen Isolation
Anders als gewünscht, konnte Putin am 9. Mai jedoch keine militärischen Erfolge in der Ukraine feiern. Die Moskauer konnten auch keine modernen Panzer und keine Flugshow bewundern, weil das Kriegsgerät an der Front gebraucht wird.
Um so wichtiger war es für Putin daher, dass er nicht alleine auf der Tribüne stand. Er wollte zeigen, dass er international nicht komplett isoliert ist. Anders als ursprünglich angekündigt waren dann doch einige ausländische Staats- und Regierungschefs auf der Ehrentribüne zu Gast – nämlich aus den Ex-Sowjetrepubliken Belarus, Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan, Kirgistan, Usbekistan und Armenien. Es sind vor allem Staaten, die abhängig von Russland sind, und es ist fraglich, mit welchen Mitteln der Kreml die Staatsgäste dazu bewogen hat, nach Moskau zu reisen.
Besonders der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko feiert den 9. Mai traditionell eigentlich mit einer eigenen Parade in Minsk. Dass er nun auf die Feierlichkeiten mit seiner Bevölkerung verzichtete, war ein Gradmesser dafür, wie sehr Belarus seine Souveränität gegenüber Russland verloren hat. Die anwesenden Staatsgäste am "Tag des Sieges" sind Ausdruck von Putins Ideologie: sein Streben nach einem Großrussland.
Prigoschin-Botschaft stört Feier
Während Putin mit seinen Staatsgästen Blumen zum Gedenken an die getöteten Soldaten im Zweiten Weltkrieg niederlegte, platzte dann eine Nachricht aus der Ukraine in die Feierlichkeiten zum 9. Mai. Der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat russischen Truppen vorgeworfen, inmitten der heftigen Kämpfe um die ukrainische Stadt Bachmut aus ihren Stellungen geflohen zu sein.
"Heute ist eine der Einheiten des Verteidigungsministeriums von einer unserer Flanken geflohen", sagte Prigoschin in einer Videobotschaft. Der Wagner-Chef prangerte an, dass die russischen Soldaten in Bachmut ihre Positionen verlassen und damit die Front ungesichert zurückgelassen hätten.
Während also Putin Russland in Moskau die Opferbereitschaft seiner Soldaten lobte, wurde an der Front in der Ukraine über Fahnenflucht diskutiert. Diese Nachricht ist für den Präsidenten fatal und kommt für ihn zur Unzeit. Es ist wahrscheinlich, dass Prigoschin den Zeitpunkt für seine Videobotschaft bewusst gewählt hat. Es zeigt, wie uneinig die russische Führung ist.
Letztlich hinterlässt der 9. Mai ein Bild von der russischen Militärmacht, die mit Blick auf die Ukraine schwächer und nervöser wird. Putin hat am Feiertag versucht, seiner Bevölkerung eine Normalität vorzuspielen, die es seit Kriegsbeginn nicht mehr gibt.
- Beobachtung der Feierlichkeiten zum 9. Mai in Moskau
- Nachrichtenagenturen dpa, afp, rtr
- Eigene Recherche