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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rechtsruck in Italien Knallten in Moskau schon die Korken?
Das rechtsnationalistische Bündnis hat sich bei der Wahl in Italien durchgesetzt. Sorgen gibt es nicht nur wegen der Nähe einiger Mitglieder zu Russland.
Es ist ein beispielloser Rechtsrutsch: In Italien hat sich die Ultrarechte Giorgia Meloni durchgesetzt. Ihre postfaschistische Partei Fratelli d'Italia stellt mit rund 25 Prozent die stärkste Kraft und Meloni wird wahrscheinlich damit beauftragt werden, eine Regierung zu bilden.
Bereits zur Wahl traten die Fratelli d'Italia in einem rechten Bündnis an, gemeinsam mit der rechtspopulistischen Lega unter Parteichef und Ex-Innenminister Matteo Salvini und der Partei des langjährigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, Forza Italia. Die letzten beiden Parteien galten lange als äußerst russlandnah, Meloni hat gute Kontakte zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dessen Land das EU-Parlament erst Mitte September den Status als Demokratie abgesprochen hat. Ungarn sei zu einem "hybriden System der Wahlautokratie" geworden, so die EU-Parlamtentarier.
Sorge um Russlandnähe
In Deutschland und der EU blickt man mit großer Sorge nach Italien. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine gingen die Mitgliedsstaaten zwar ungeahnt geschlossen vor. Doch bekam diese Einigkeit in den vergangenen Monaten bereits starke Risse. Das letzte Sanktionspaket etwa ist auf Druck Ungarns bereits stark abgeschwächt worden, mittlerweile spricht sich die Regierung offen gegen Sanktionen aus.
Grünen-Chef Omid Nouripour sprach bereits von einem besorgniserregenden Wahlausgang. Es sei bekannt, dass es in dem Bündnis "sehr enge Verwebungen mit dem Kreml" gebe. "Deshalb ist es tatsächlich so, dass man nicht ausschließen kann, dass auch in Moskau gestern Abend Leute die Korken haben knallen lassen", sagte er bei RTL.
Was also wäre von einer Rechtsaußen-Regierung in Italien zu erwarten?
So stehen die Parteien zu Russland
Noch regiert das italienische Bündnis nicht, im Gegenteil: Es dürfte eine schwierige Regierungsbildung werden. Denn es gibt teils starke Differenzen zwischen den Parteien, etwa bei ihrem Verhältnis zu Russland. Während der Forza Italia von Silvio Berlusconi und der Lega von Matteo Salvini enge Verbindungen zu Russland nachgesagt werden, hat sich Giorgia Meloni im Wahlkampf deutlich um Abgrenzung bemüht – und ihre Unterstützung der Ukraine betont. "Wir haben die Ukraine immer verteidigt und unterstützt. Der Westen muss wissen, dass er mit uns rechnen kann. Ich würde keine Zweideutigkeit in diesem Punkt tolerieren", sagte sie in einem Interview mit dem italienischem Fernsehsender Rai.
Die Zweideutigkeit ist allerdings längst gegeben. Erst Ende vergangener Woche machte Berlusconi Schlagzeilen, als er seinen Freund, den russischen Präsidenten Wladimir Putin, in einem TV-Interview in Schutz nahm. Dieser sei in eine schwierige und dramatische Situation gerutscht, sagte Berlusconi im öffentlich-rechtlichen Sender Rai. "Putin wurde von der russischen Bevölkerung, von einer Partei, von seinen Ministern gedrängt, sich diese Spezialoperation auszudenken." Bereits nach Kriegsausbruch hatte Berlusconi sich lange Zeit genommen, die Invasion zu verurteilen.
"Wenn wir Putin auch in Italien hätten, wären wir besser dran"
Auch der zweite Bündnispartner, die Lega, pflegte lange gute Kontakte zu Russland. Vor fünf Jahren schloss die Partei etwa ein Assoziierungsabkommen mit der Regierungspartei Einiges Russland. "Wenn wir Putin auch in Italien hätten, wären wir besser dran, und ich sage das, weil ich davon überzeugt bin", sagte Salvini damals. Es gab zudem immer wieder Berichte, dass sich die Lega in den vergangenen Jahren heimlich um Gelder aus kremlnahen Kreisen bemühte und enge Kontakte zu Vertretern der russischen Regierung pflegte. Salvini streitet das ab und sagte nach einem solchen Bericht im Juli, seine Partei stehe auf der "Seite des Westens" und setze sich gegen den Krieg und für einen Dialog mit Russland ein. Mehr dazu lesen Sie hier.
Dieser plötzliche Sinneswandel stößt auf große Zweifel. Als er etwa im März, kurz nach Ausbruch des Krieges, nach Polen an die ukrainische Grenze reiste, zeigte ihm das ein polnischer Bürgermeister deutlich. Während Salvini ein Pressestatement gab, packte der Bürgermeister ein T-Shirt mit dem Konterfei Putins aus. Es war dasselbe Shirt, in dem sich Salvini 2017 freudestrahlend und mit einem erhobenen Daumen auf dem Roten Platz in Moskau fotografieren ließ. Dieses Bild hatte der Bürgermeister der ostpolnischen Kleinstadt Przemyśl offenbar nicht vergessen. Er hielt es in die Kamera und rief: "Kein Respekt für Sie." Salvini brach sein Statement ab und ergriff die Flucht, ohne Fragen zu beantworten.
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Gefahr für Solidarität mit Ukraine?
Doch was könnte das für die Unterstützung der Ukraine bedeuten? Bislang hat die EU eine Reihe von Sanktionspaketen gegen Russland erlassen. Bereits beim bisher letzten Paket gab es Probleme: Ungarn stellte sich quer und forderte für seine Zustimmung einige Zugeständnisse – sehr zum Ärger der anderen Mitgliedsstaaten. Von Geiselnahme sprach gar der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis.
Meloni sicherte ein Festhalten an den Sanktionen zu, sollte sie regieren. Auch die Waffenlieferungen Italiens an die Ukraine will sie fortführen.
Salvini sendet zweideutige Töne zu Sanktionen
Salvini allerdings sendet bezüglich der Sanktionen zweideutige Töne. Zwar betont er immer wieder, seine Partei stehe an der Seite des Westens. Aber: Die bisherige Strategie müsse fundamental überdacht werden, forderte er Anfang September bei einem Wirtschaftsforum im Norden Italiens. "Die Sanktionen haben nicht Putin, sondern uns in die Knie gezwungen, und der Krieg geht weiter." Meloni, die auf dem Podium neben ihm saß, schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
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Dahinter könnte allerdings auch ein politisches Manöver Salvinis stecken. Er fordert ein milliardenschweres Hilfspaket für die italienische Bevölkerung, die unter den massiv gestiegenen Energiepreisen leidet. Melonis Standpunkt war allerdings bislang, die Neuverschuldung nicht anheben zu wollen.
Klar ist: Zwischen den rechten Parteien gibt es bei der Politik gegenüber Russland deutliche Unterschiede, die sich auch auf die Unterstützung der Ukraine auswirken könnten. Offen ist, ob Meloni ihre Standpunkte gegen Salvini und Berlusconi durchsetzen kann.
Wie könnte die EU gegensteuern?
Auch abseits der Positionen zu Russland und der Ukraine gibt es in der EU und Deutschland große Bedenken. Die Vizevorsitzende des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), nannte die Wahl Melonis etwa eine Gefahr für das konstruktive Miteinander in Europa, die europäischen Grünen sehen die Gefahr, dass Italien in eine neue Schuldenkrise rutschen könnte. FDP-Europaexperte Alexander Graf von Lambsdorff prognostizierte in der ARD, dass die Zusammenarbeit zwischen Italien und der EU mühsamer wird – vor allem bei den Themen Migration, Binnenmarkt, Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts.
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Bereits vergangene Woche hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einer Reise in der US-Universität Princeton gesagt, dass die Kommission alle benötigten Instrumente in der Hand halte, falls die Dinge sich in Italien in eine schwierige Richtung entwickelten.
Denn Erfahrung mit dieser Art von rechtspopulistischen Regierungen gibt es: Seit Jahren liegt die Kommission mit Polen und Ungarn im Streit, weil dort nach und nach demokratische Institutionen rückgebaut werden – in Polen etwa das Justizsystem, in Ungarn werden vor allem Vetternwirtschaft und Korruption sowie die Gleichschaltung der Medien kritisiert.
Einstimmigkeit wird zu noch größerem Problem
Mit den Instrumenten, über die von der Leyen sprach, ist vor allem der noch relativ neue Rechtsstaatsmechanismus gemeint. Dieses Verfahren hat die Kommission erst im April zum ersten Mal gegen Ungarn eingeleitet. Nun will sie dem Land im nächsten Schritt die Mittel kürzen. An diesem Punkt allerdings liegt die Schwäche des Verfahrens: Bis auf den Beschuldigten müssen alle Mitgliedsstaaten einer solchen Sanktion zustimmen – und Polen kündigte bereits Widerstand an.
Mit Italien könnte nun ein weiterer Staat in solchen Fällen ein Veto einlegen, und die tatsächliche Handlungsfähigkeit der EU in solchen Fällen stark einschränken. Der Rechtsstaatsmechanismus droht also zahnlos zu werden.
Ob im Falle Italiens allerdings ein Rechtsstaatsverfahren nötig wird, scheint derzeit unwahrscheinlich. Zum einen hat der Staatspräsident in der Politik ein Mitspracherecht – und den stellt mit Sergio Mattarella gerade die linksliberale Partito Democratico, zudem muss sich Meloni auch das Vertrauen im Parlament erarbeiten (mehr dazu lesen Sie hier).
Und dann gibt es in Italien noch die Besonderheit, dass sich die Regierungen in der Regel nicht allzu lange halten – im Schnitt gerade einmal 14 Monate.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- spiegel.de: "Wahlkampf mit Putin"