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Verbaler Angriff gegen Putin
Selenskyj warnt vor Moskaus Massenvernichtungswaffe

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, New York

Aktualisiert am 22.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Wolodymyr Selenskyj vor der UN: "Russland soll für diesen Krieg bezahlen." (Quelle: reuters)

Nach Putins Mobilmachung geht der ukrainische Präsident in den rhetorischen Gegenangriff. Russlands Vorgehen sei so schlimm wie ein Atomwaffeneinsatz.

Am Ende bleiben die Diplomaten der Russischen Föderation sitzen. Starr richten sie ihre Blicke nach vorn. Dorthin, wo bis eben noch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von zwei Leinwänden herab zur Vollversammlung der Vereinten Nationen sprach. Während die Russen sitzen und starren, applaudiert der große Saal und gibt Standing Ovations für die Rede des Ukrainers. So voll ist es hier sonst nur, wenn etwa der US-Präsident spricht.

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Schon oft hat sich Selenskyj seit dem 24. Februar an die Weltöffentlichkeit gewandt. Im immergrünen Armeeshirt appelliert er seit Monaten unermüdlich dafür, die Ukraine und ihren Kampf um die Freiheit nicht zu vergessen. Dieses Mal hat sein Auftreten aber etwas Triumphales. Denn sein direkter Gegner in Moskau scheint von seinem Ziel, das Land niederzuringen, einzunehmen oder gar von der Landkarte zu löschen, weiter entfernt zu sein als je zuvor.

Wladimir Putins verkündeter Plan zur Teilmobilisierung ist dafür ein sicheres Zeichen. So zumindest ist es die Lesart fast überall in New York: ein Zeichen der Schwäche. Auch hier kommen die Bilder protestierender Russen an. Auch hier liest man, dass russische Fluggesellschaften keine Tickets mehr an wehrfähige Männer ausstellen dürfen. Putin gehen offenbar die letzten verbliebenen Freiwilligen aus. Jetzt muss er sein Volk offenbar schon in seine propagierte "Spezialoperation", in den Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingen.

Selenskyj, Feldherr der Worte

Die Ukrainer haben etwas geschafft, das fast genauso wichtig ist wie der Kampf gegen Russland. Es ist andauernde Aufmerksamkeit. Und Selenskyj findet die Worte dafür. "An der Ukraine wurde ein Verbrechen begangen, und wir fordern eine gerechte Bestrafung", beginnt er seine Rede. Er beschreibt die Kriegsverbrechen, den Tod, die Folter und die Zerstörung, die "Russland mit seinem illegalen Krieg provoziert hat". Selenskyj fordert ein Tribunal, er fordert, dass Russland das Vetorecht im Sicherheitsrat entzogen werden müsse. "Russland sollte diesen Krieg mit dem, was es besitzt, bezahlen", sagt er.

Detailliert beschreibt Selenskyj, wie russische Soldaten Ukrainer bei lebendigem Leib kastriert haben. "Wie können wir die russische Armee irgendwo auf ukrainischen Boden lassen, wenn wir wissen, dass sie überall solche Massenmorde begehen?", so Selenskyj. "Wir können es nicht. Wir müssen das Leben schützen. Die Welt muss das Leben schützen", appelliert er.

Vor einem Jahr hätte sich kaum jemand einen solchen Auftritt des ukrainischen Präsidenten vorstellen können. Wladimir Putin hätte ebenfalls hier sprechen können. Doch er hätte keinen Applaus bekommen. Außer vielleicht von seiner Delegation und den Vertretern der wenigen verbliebenen Staaten, die ausdrücklich zu ihm und seinen Taten stehen. Darunter Weißrussland, Nicaragua, Syrien oder Kuba.

Und so wie es schon US-Präsident Joe Biden oder Bundeskanzler Olaf Scholz in ihren Reden versuchten, spricht Wolodymyr Selenskyj auch jene Länder an, die das russische Vorgehen zwar nicht offensiv bejahen, die sich aber neutral geben. "Wer von Neutralität spricht, meint etwas anderes", sagt er und nennt keine Namen. "Sie geben vor, jemanden zu schützen, aber in Wirklichkeit schützen sie nur ihre persönlichen Interessen", so Selenskyj.

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Die große Sorge vor den Umfallern

Er weiß, dass sich der russische Außenminister Sergej Lawrow an diesem Tag mit Vertretern afrikanischer Staaten getroffen hatte, um für Russland zu werben. Auch deshalb hatte der ukrainische Präsident zuvor schon per Videoschalte am "Global Food Security Summit" teilgenommen.

Die Ernährungslage der Welt ist auch für die Deutschen und die Amerikaner ganz oben auf der Prioritätenliste. Der US-Präsident hat bereits angekündigt, die USA allein würden 2,9 Milliarden Dollar an Finanzhilfen bereitstellen, um der globalen Nahrungsmittelkrise zu begegnen. Es geht gegen den Hunger. Damit der Rückhalt jener Staaten nicht bröckelt, die Putins Krieg verurteilen.

Jeder Staat, der Hungersnöte provoziert, müsse hart bestraft werden, äußerte sich Selenskyj bei diesem Ernährungsgipfel. Jeder Staat, der versuche, "den Zugang zu Nahrungsmitteln zu einem Privileg" oder "von der Gnade eines Diktators abhängig zu machen". Denn so etwas zu tun, das sei nichts anderes als der "Einsatz von Massenvernichtungswaffen, ob chemische, biologische oder nukleare", so Selenskyj. "Denn die Ausbreitung von Hungersnöten ist dieselbe unmoralische und unmenschliche Massenvernichtungswaffe wie die Verbreitung von tödlichen Bakterien oder von Strahlung."

Er wisse, wovon er rede. Denn dies sei die Position einer Nation, die Millionen von Menschen wegen des "Holodomor" verloren habe. Holodomor ist das ukrainische Wort für "Mord durch Hunger", den die Bevölkerung der Ukraine unter Stalins Herrschaft erleiden musste. "Darum spüren wir ganz besonders, was das Wort 'Ernährungssicherheit' wirklich bedeutet."

Selenskyjs Rhetorik wirkt eindringlich. Er spitzt zu. Aber er weiß, dass die Folgen seiner Worte real sind und dass er mehr als ein halbes Jahr nach dem flächendeckenden Angriff Russlands noch immer um Aufmerksamkeit kämpfen muss. Die drohende Kriegsmüdigkeit der Welt, sie ist eine ständige Gefahr. Besonders jetzt, vor dem Einbruch des Winters. Sowohl die Ernährungs- als auch die Energiefragen könnten die Weltgemeinschaft in ihrer Unterstützung spalten. Die reichen Staaten ebenso wie die ärmeren.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort
  • president.gov.ua: "President's speech at the Global Food Security Summit" (Englisch)
  • Rede des ukrainischen Präsidenten vor der UN-Vollversammmlung
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