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Beobachter warnen vor blutigem Konflikt in Katalonien


Nach Unabhängigkeitserklärung
Beobachter befürchten blutigen Konflikt in Katalonien

dpa, Emilio Rappold

27.10.2017Lesedauer: 3 Min.
Gegner der Unabhängigkeit geraten in Barcelona mit Polizisten aneinander. Einige Demonstranten haben sich mit der spanischen Flagge vermummt.Vergrößern des Bildes
Gegner der Unabhängigkeit geraten in Barcelona mit Polizisten aneinander. Einige Demonstranten haben sich mit der spanischen Flagge vermummt. (Quelle: Francisco Seco/ap-bilder)

Auf die Unabhängigkeitserklärung folgt die Absetzung der Regionalregierung: In Spanien eskaliert der Konflikt um Katalonien immer schneller. Experten rechnen bereits mit dem Schlimmsten.

Der Schlagabtausch um die Unabhängigkeit Kataloniens lässt die Emotionen nach wochenlanger Eskalation auf ungeahnte Temperaturen hochkochen. Als der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy am Freitag vor dem Senat im knapp 600 Kilometer entfernten Madrid um Billigung der Zwangsmaßnahmen gegen die aufmüpfige Region bat, klagten separatistische Abgeordnete im Regionalparlament in Barcelona: "Das ist eine Kriegserklärung!" und "Wir steuern auf einen Krieg zu!".

Regionalregierung wird per Dekret abgesetzt

Entsprechende Medienberichte wurden von der liberalen PdeCat (Partido Demócrata Europeo Catalán) des separatistischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont bestätigt. Als Rajoy dann am Abend die Maßnahmen bekanntgab, muss der Zorn in Barcelona noch viel größer geworden sein. Puigdemont und seine gesamte Regierung werden schon am Samstag per Dekret abgesetzt. Die jeweiligen Minister der Zentralregierung übernehmen die Kontrolle über die Ressorts. Das Regionalparlament wird mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Am 21. Dezember gibt es Neuwahlen.

Die wegen ihrer Brisanz von Medien unter anderem als "nukleare Option" titulierten Zwangsmaßnahmen des spanischen Staates gegen die Sezessionisten sollen den Unabhängigkeitsbestrebungen ein schnelles Ende setzen. Doch bei der Intervention könnte der Schuss auch nach hinten losgehen, warnen viele neutrale Politiker und Beobachter. Ein Kinderspiel wird das Aufräumen auf keinen Fall.

Madrid muss mit eisernem Widerstand rechnen

Es gilt unter anderem als sicher, dass Madrid bei der angekündigten Übernahme der Kontrolle über regionale Ministerien und Behörden auf eisernen Widerstand seitens der meisten der rund 110.000 Beamten der Regionalregierung stoßen wird. Stichwort ziviler Ungehorsam.

Die Schriftstellerin und Journalistin Esther Jaén, die sich als (nichtseparatistische) Katalanin in der Region sehr gut auskennt, warnte am Freitag im TV: "Das kann ein sechsmonatiges absolutes Desaster werden." Es werde viele Störmanöver von Beamten geben, und Hunderte von separatistischen Bürgermeistern würden Neuwahlen mit Sicherheit mit allen Mitteln zu boykottieren versuchen.

"Es wird wohl leider Unruhen geben"

Es könnte aber auch sein, dass es nicht beim relativ friedlichen Widerstand bleibt. Sprecher von Puigdemonts Partei sagen: "Es wird wohl leider Unruhen geben." Die Warnung des Real Instituto Elcano lässt erschaudern. Die von Regierungen und Unternehmen unabhängige renommierte spanische Denkfabrik warnt vor einem "katalanischen Maidan" - in Anspielung auf den blutigen Ukraine-Konflikt mit hundert Toten vor wenigen Jahren. "Die Möglichkeit von weiteren Mobilisierungen kann nicht ausgeschlossen werden", heißt es.

Das fürchtet auch Enric Juliana. "Die Unabhängigkeitsbefürworter sind jetzt nach den vielen Demos der Straßen etwas müde. Aber wenn sie den Eindruck gewinnen sollten, dass so etwas wie eine Besatzungsmacht in Katalonien einmarschiert, werden sie nicht still halten", erklärte der stellvertretende Direktor der liberalen, in Barcelona erscheinenden Zeitung "La Vanguardia". Man dürfe die Katalanen beim Einsatz der unter Verfassungsexperten umstrittenen Zwangsmaßnahmen - ein Novum in Spanien seit Inkrafttreten der Verfassung von 1978 - nicht einer schlimmen Demütigung aussetzen.

Was passiert, falls Puigdemont verhaftet wird?

Das könnte der Fall sein, wenn Puigdemont nicht nur in seinem Büro im "Palau de la Generalitat" die Umzugskartons packen muss, sondern - wie von der Generalstaatsanwaltschaft angedroht - von der staatlichen Polizeieinheit Guardia Civil in Handschellen abgeführt und unter dem Vorwurf der "Rebellion" hinter Gitter gesteckt wird. Diese Möglichkeit ist am Freitag nach der Verabschiedung einer Resolution zur Einleitung der Loslösung von Spanien im Katalonien-Parlament um einiges wahrscheinlicher geworden.

Nervosität herrscht nicht nur in TV-Studios und Redaktionen, auch an der Madrider Börse: Der Leitindex Ibex 35 knickte am Freitag zeitweilig um mehr als zwei Prozent ein. Schwarz sieht auch Pablo Echenique. Der Sprecher der linken Partei Podemos, der drittstärksten Kraft im Madrider Parlament, kritisierte die Chefs beider Konfliktparteien als "Hooligans", die "auf Verantwortungslosigkeit setzten" und mit ihren Aktionen Katalonien gemeinsam "aus Spanien verjagen". Podemos fordert zur Lösung des Konflikts weiterhin ein legales Referendum für Katalonien.

Schimpfkanonade im katalanischen Parlament

Bei der Debatte im Parlament in Barcelona gab es anschließend vor laufenden TV-Kameras Beschimpfungen und Schmähungen. Redner wurden ausgebuht. Bezeichnend: Die Unionisten sprachen auf Spanisch, die Separatisten auf Katalanisch - und einander vorbei. Nach der Verabschiedung der Unabhängigkeitsresolution standen die sezessionistischen Abgeordneten von ihren Sitzen auf und sangen mit stolzgeschwellter Brust die katalanische Nationalhymne "Els Segadors". Eine Reaktion auf die von Rajoy bekanntgegebenen Maßnahmen gab es zunächst nicht.

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Während Madrider Journalisten und Politiker voller Empörung von einem "Putsch" sprachen, Rajoy "alle Katalanen" zur Ruhe aufrief und die Sozialisten (PSOE) - die stärkste Oppositionskraft im Madrider Parlament - die Zentralregierung zur "Vorsicht" in Katalonien mahnte, skandierten Puigdemont & Co. im Parlament und rund 15.000 Demonstranten vor dem Gebäude in Barcelona am Nachmittag "Freiheit, Freiheit, Freiheit!". Unzählige "Esteladas", die Flaggen der Separatisten-Bewegung, wurden geschwenkt. Böller explodierten. Die Partystimmung hielt bis zum späten Abend an. Bald könnte es anders aussehen.

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