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Martin Luithle: "SPD vertritt zunehmend nur noch Kreml-Positionen"


Kritiker aus den Reihen der Partei
"SPD vertritt nur noch Kreml-Positionen"

t-online, Christina Rath

Aktualisiert am 21.06.2016Lesedauer: 6 Min.
Sigmar Gabriel zu Besuch bei Wladimir Putin im Oktober 2015.Vergrößern des Bildes
Sigmar Gabriel zu Besuch bei Wladimir Putin im Oktober 2015. (Quelle: dpa-bilder)

Soeben hat die EU ihre Wirtschaftssanktionen gegen Russland verlängert. Zuvor kochte die Diskussion hoch: Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnt vor einem "Säbelrasseln" der Nato und erntet Kritik, Parteichef Gabriel springt ihm zur Seite. In der Partei formiert sich Widerstand. SPD-Mitglied Martin Luithle hat einen Arbeitskreis zum Thema Ostpolitik gegründet, mit dem er das Ruder herumreißen möchte.

Herr Luithle, Sie haben gemeinsam mit zwei anderen SPD-Mitgliedern einen Arbeitskreis "Neue Ostpolitik" gegründet. Warum?

Martin Luithle: Der Arbeitskreis wurde gegründet von mir, dem renommierten Osteuropa-Historiker Jan Claas Behrends und dem Berliner Unternehmer Joachim Schaller. Wir sind alle SPD-Mitglieder und stellen fest, dass unsere Partei sich bei der Russland-Politik zunehmend darauf beschränkt, Kreml-Positionen zu vertreten. Das hat sich am letzten Wochenende verschärft (als Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der "Bild am Sonntag“ das "Säbelrasseln“ der Nato kritisierte, Anm. d. Red.), war aber schon vorher durch mehrere Aussagen unseres Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und auch von Frank-Walter Steinmeier erkennbar, die die schrittweise Aufhebung der Sanktionen gefordert haben. Es gab plötzlich ganz starke Bestrebungen und es war sehr auffallend, dass Druck gemacht wird gegen den offiziellen Kurs der Bundesregierung.

Und das passt nicht zur SPD?

Wir haben in der Sozialdemokratie eine sehr lange freiheitliche Tradition, sie ist die älteste Partei Deutschlands. 1933 war sie die einzige Partei Deutschlands, die damals im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz Adolf Hitlers gestimmt hat. Eine Partei, die immer viel Zivilcourage gezeigt und einen unbedingten Willen zur Freiheit symbolisiert hat. Das ist eines der Grundideale unserer Partei und wir sind der Ansicht, dass sich diese Ideale im Moment nicht in der Außenpolitik der SPD widerspiegeln.

Der Bundesvorstand der SPD hat ja die Genehmigung als offizieller Arbeitskreis der Partei abgelehnt. Wie lief das ab?

Am 2. Juli haben wir in der Bundes-SPD die Programmkonferenz zum Thema Europa mit Sigmar Gabriel und Martin Schulz. Da soll das Programm für den nächsten Bundestagswahlkampf beschlossen werden. Deswegen habe ich gesagt: "Wir brauchen jetzt ganz schnell einen Arbeitskreis Neue Ostpolitik." Entsprechend habe ich beim Bundesvorstand einen Antrag gestellt.

Daraufhin habe ich von der Justiziarin der SPD eine Email mit der Ablehnung bekommen. Darüber hinaus wurde uns untersagt, die Begriffe "SPD“ und "Sozialdemokratie“ im Namen in jedweder Form zu verwenden. Das ist hochinteressant: Der Begriff "SPD“ ist namensrechtlich geschützt, aber zusätzlich noch der Begriff "Sozialdemokratie" – ein sehr umfassender Begriff.

Wie wollen Sie darauf reagieren?

Wir haben daraufhin unseren Namen geändert, denn eine Untersagung kann weitere Rechtsstreite zur Folge haben. Wir werden die Rechtsmittel prüfen. Auf keinen Fall werden wir uns den Mund verbieten lassen.

Was kritisieren Sie denn am Kurs von Herrn Steinmeier?

Dass ein deutscher Außenminister in einer solchen Form gegen die eigenen Sicherheitsinteressen verstößt, ist unverständlich. Auch Steinmeier weiß, dass die Nato-Strategie Abschreckung heißt, um die baltischen Staaten zu schützen. Abschreckung plus Dialog. Also ein ständiger Dialog, aber auch Abschreckung.

Das ist die Sprache, die der Kreml versteht. Auf etwas anderes hat er nachweislich in den letzten Jahren nicht reagiert. Er versteht nur die Sprache der Stärke.

Wenn ich als Mitglied der deutschen Bundesregierung die Abschreckung disqualifiziere, dann beschädige ich das Konzept. Das ist die logische Folge.

Steinmeier kritisiert das "militärische Muskelspiel“ das die Nato treibe und Gabriel unterstützt ihn, indem er sagt, "100 Prozent Minsk“ oder "100 Prozent Sanktionen" sei nicht realistisch. Eine schrittweise Vorgehensweise sei der Weg zum Ziel.

Wo sieht Steinmeier denn Fortschritte? Hat er mit seinem Konzept bisher irgendetwas erreicht? Was ist das bisherige Ergebnis seiner Friedenspolitik? Er spricht von Friedenspolitik. Es hat immer geheißen, wir wollen Tote vermeiden. Wir haben inoffiziell über 10.000 Tote, es gibt aber nach Geheimdienstangaben wesentlich höhere Zahlen. Bis hin zu 50.000 Toten. Ist das eine erfolgreiche Friedenspolitik? Ganz abgesehen von Syrien. Beim Verhandeln muss man klare Positionen angeben. Und wir sehen diese Positionen nicht. Sie werden nicht mal formuliert. Das ist kein Verhandeln.

Steinmeier wird ja vorgeworfen, dass er Aussagen der Linkspartei übernimmt, um ein entsprechendes Bündnis vorzubereiten. Was sagen Sie dazu?

Das sind Spekulationen. Es ist durchaus erkennbar, dass Tendenzen in diese Richtung bestehen.

Und auch die Haltung der Partei zur AfD: Herr Gabriel hat ja ein großes Interview über die AfD gegeben und diese verurteilt. Wir vermissen aber absolut die scharfe Verurteilung der Förderung der AfD durch den Kreml, die offenkundig stattfindet.

Offenkundig ja, aber es gibt keine handfesten Beweise...

Es gibt handfeste Beweise. Es gibt Besuche von AfD-Vize Alexander Gauland beim Kreml. Vor kurzem hat die Krim-Konferenz stattgefunden, auch da waren Leute der AfD. Auf Facebook hat Frau von Storch vor ein paar Tagen ein Bild gepostet, auf dem sie gemeinsam mit dem russischen Botschafter abgebildet ist. (In dem Post versichert die Politikerin dem Botschafter, "dass wir, die große Mehrheit der Deutschen, in Russland einen Freund und Partner sehen, und nicht einen Rivalen oder gar Gegner, wie das die Merkel-Regierung tut", Anm. d. Red.)

Die Sanktionen treffen Russland ja sehr hart. Fördern die harten Sanktionen nicht eine anti-europäische Haltung in der russischen Bevölkerung? Und hilft das nicht wiederum Wladimir Putin, weil er so seine aggressive Außenpolitik rechtfertigen kann?

Ich bin nicht der Überzeugung, dass die Sanktionen eine kontraproduktive Wirkung haben. Im Gegenteil. Dieses System betreibt natürlich gegenüber der eigenen Bevölkerung Propaganda. Die russische Bevölkerung wurde über die Massenmedien einer richtiggehenden Gehirnwäsche unterworfen. Der Eindruck, dass 80 Prozent der Bevölkerung auf Putins Seite seien, trügt aber. Das berichten uns Organisationen, die direkt in Russland arbeiten. Wenn man mit den Menschen dort spricht, entsteht dieser Eindruck überhaupt nicht. Die Menschen äußern sich aber nicht offen, weil sie die Konsequenzen kennen. Sie denken sich ihre Sachen.

Der Arbeitskreis "Neue Ostpolitik“ hat sich am Montag zum ersten Mal getroffen. Wie wollen Sie vorgehen?

Zur Programmkonferenz am 2. Juli werden so viele von uns wie möglich hingehen und unsere Forderungen klar äußern. Wir werden die Politiker in ihren diversen Workshops auch klar fragen, was sie hier tun, beziehungsweise warum sie gewisse Sachen nicht tun.

Langfristig ist geplant, eine Ostpolitik zu entwickeln, bei der die Interessen von allen osteuropäischen und postsowjetischen Staaten gleichwertig berücksichtigt werden. Bisher ist Ostpolitik reine Russlandpolitik.

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Wie will ihr Arbeitskreis das ändern?

Wir wollen langfristig eine starke Gegenbewegung innerhalb unserer Partei aufbauen und ein Bewusstsein schaffen. Wir wollen nebulöse Begriffe wie Ostpolitik mal näher durchleuchten. Da gibt es viele Dinge, die man den Menschen in Deutschland bewusst machen muss. Das ist unser Ziel.

Nicht nur in der SPD, auch in der EU bröckelt die Anti-Russland-Front. Was ist das richtige Maß an Härte gegenüber dem Kreml?

Herr Steinmeier hat von einem intelligenten Sanktionsinstrumentarium gesprochen. Davon sehe ich im Moment noch nichts. Man muss die Sanktionen konsequent durchführen, indem man dem Kreml deutlich sagt: Wenn du das nicht machst, passiert das, Stufe 2, und es gibt eine Stufe 3, eine Stufe 4 und eine Stufe 5. Alles noch unkriegerisch.

Das muss man sich mal vorstellen, auch wenn es immer noch geleugnet wird: In der Ukraine fahren russische Panzer rum, nicht nur die, wir haben auch Raketenwerfer. Wir können Truppentransporte feststellen, damit kann man den Landweg zur Krim schaffen. Verrückt.

Gleichzeitig haben wir eine humanitäre Katastrophe. Wenn die Sanktionen aufgehoben werden, hat das für die Ukraine fatale Folgen. Das bedeutet, dass dieser Krieg fortgeführt wird.

Also: Erstens machen wir die Sanktionen konsequent, zweitens können wir die Sanktionen auch verschärfen. In Russland gibt es Vermögen, gleichzeitig laufen am internationalen Gerichtshof in Den Haag Untersuchungen wegen Menschenrechtsverletzungen – eine Klage, eingereicht von einer australischen Anwaltskanzlei auf Schadensersatz gegenüber Putin, gegenüber dem Kreml. Man muss prüfen, inwiefern es möglich ist, Vermögen zu beschlagnahmen. Nur im Hinblick auf die Tatsache, dass der Kreml erklärt hat, dass er sich an die internationale Rechtsprechung nicht gebunden fühlt.

Es gibt ein großes Sammelsurium an Möglichkeiten, die man noch ergreifen kann, die alle unkriegerisch sind und die eine klare Sprache sprechen.

Die Fragen stellte Christina Rath.

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