Kritik an Flüchtlingspolitik EU-Ratspräsident Tusk fordert Kehrtwende von Merkel
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat sich mit klaren Forderungen in der Flüchtlingskrise zu Wort gemeldet. Er fordert eine Kehrtwende in der europäischen Politik. Und spricht auch explizit die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel an.
"Wenn wir Regeln haben, dann müssen wir sie einhalten", sagte Tusk in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" und weiterer europäischer Blätter.
Das gelte auch für das Dublin-Verfahren, das die Rückführung von Flüchtlingen in das Land vorsieht, über das sie in die EU eingereist sind. "Wir können vor unseren Verpflichtungen nicht davonlaufen. Auch Deutschland nicht", sagte Tusk. Kanzlerin Merkel hatte das Dublin-Verfahren als "obsolet" bezeichnet.
"Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen"
Der Zustrom von Flüchtlingen nach Europa müsse deutlich begrenzt werden, forderte Tusk. Von den politischen Führern erwarte er eine veränderte Einstellung. "Manche von ihnen sagen, die Flüchtlingswelle sei zu groß, um sie zu stoppen. Das ist gefährlich."
Gesagt werden müsse vielmehr: "Diese Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen." Niemand in Europa sei bereit, "diese hohen Zahlen aufzunehmen, Deutschland eingeschlossen".
Antwort mit Merkels Worten
Oft werde argumentiert, die Grenzen müssten für Opfer des syrischen Bürgerkrieges offen bleiben. Diese machten aber nur 30 Prozent der Migranten aus. "Auch deshalb brauchen wir effektivere Kontrollen."
Nach Europa zu gelangen, sei derzeit zu leicht, weswegen es ein Sicherheitsrisiko gebe. "Man kann und man sollte Migranten so lange aufhalten, bis die Überprüfung abgeschlossen ist", forderte Tusk.
Auf die Frage, ob dies überhaupt zu bewältigen sei, antwortete Tusk auf Deutsch mit dem bekannten Ausspruch von Kanzlerin Merkel: "Wir schaffen das."
EU erhöht Druck auf Griechenland
Die EU-Länder erhöhen unterdessen den Druck auf Griechenland: Wenn nicht bald die vereinbarten Maßnahmen zur Bekämpfung der Flüchtlingskrise umgesetzt würden, drohten dem Land nach Medienberichten die vorübergehende Aussetzung des Schengen-Abkommens. Das würde bedeuten, dass bei der Ein- und Ausreise wieder Grenzkontrollen stattfinden.
Wie europäische Zeitungen wie "Le Soir" (Belgien) und "Financial Times" (Großbritannien) berichten, regt sich in der EU Unmut über die mangelnde Bereitschaft der Griechen, die Flüchtlingskrise im eigenen Land zu managen.
Zustände vor Ort in der Kritik
In der Kritik stehen demnach vor allem die Zustände vor Ort. Es sei keine Nothilfe vorhanden, es gebe keine Decken für die Menschen und keine Unterkünfte. Die bereitgestellten Mittel der EU für die Flüchtlingskrise habe Griechenland bisher nicht abgerufen und auch die versprochenen "Hotspots" (Registrierzentren) auf den Inseln im östlichen Mittelmeer funktionierten nicht.
Die griechische Tageszeitung "Kathimerini" zitiert Diplomatenkreise, wonach Griechenland zahlreiche Hilfsangebote nicht angenommen habe. So sei die Unterstützung von 400 Frontex-Mitarbeitern nicht in Anspruch genommen worden, die dabei helfen sollten, die Grenze zu Mazedonien zu sichern. Auch 300 Geräte zur Erfassung von Fingerabdrücken der Flüchtlinge seien nicht abgerufen worden.
Der Großteil aller Flüchtlinge, die in diesem Jahr über das Meer in die EU gekommen sind, reiste nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nach Griechenland.
Bis zum 26. November waren es 721.000 Menschen, bis zum Jahresende sollen es mehr als eine Million sein. Mindestens 588 Menschen kamen bei den gefährlichen Bootsfahrten über das Meer ums Leben.