Neuer Grenzzaun soll Flüchtlinge stoppen Bulgarien rüstet sich zur modernen Menschenjagd
Georgi Apostolov sitzt auf einem Hügel bei Shtit in Bulgarien, drei Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt. Er hat Erfahrung mit der Menschenjagd.
Der 45 Jahre alte Bulgare war zu Zeiten des Kalten Krieges bei den Grenztruppen und half bis 1989, den Eisernen Vorhang zu sichern. Seine Augen leuchten, wenn er über alte Zeiten spricht. "Wir sollten die Grenzsicherungsanlagen wieder aufbauen, und das Problem ist gelöst."
Sensoren schlagen Alarm
In Shtit überwinden die Flüchtlinge die Grenze – trotz Überwachung per Videokamera und den im sandigen Boden versteckten Sensoren, die jede Vibration erspüren und automatisch Alarm schlagen.
Um die Flüchtlinge zu stoppen, die nach Europa wollen, baut man jetzt in Bulgarien weiter an einem neuen, 160 Kilometer langen Grenzzaun.
Georgi will dem Besuch zeigen, wo sich Syrer, Afghanen, oder Senegalesen tagsüber in Bulgarien nach der mühsamen Grenzüberquerung ausruhen.
Flüchtlinge verstecken sich im Dickicht
In seinem Auto fahren wir gut zwei Kilometer auf einer dunklen Asphaltstraße hinab in ein Tal. Georgi steigt aus und geht durch mannhohes Wildgras in den Eichenwald. "Hier", sagt der Bulgare. Er zeigt auf die alte "Diesel"-Jeans, die verknittert auf dem Moos liegt. Es sind Spuren von Flüchtlingen, die ihre zerschlissene Kleidung im Dickicht zurückließen. Tagsüber warten sie hier auf den passenden Moment. In den Nächten umwickeln sie ihre Turnschuhe sorgfältig mit Stoff, um so beim Gehen keinen Alarm auszulösen.
Schleuser werfen dicke Teppiche auf den Zaun
Ein anderer Mann erzählt: "Auf der türkischen Seite der Grenze werden Alu-Leitern aufgestellt. Dann werfen die Schleuser dicke Teppiche auf den Zaun. Die Flüchtlinge steigen auf die Leiter, springen auf den Teppich und steigen unverletzt hinüber."
Die 274 Kilometer lange Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien reicht vom Schwarzen Meer bis an Mittelmeer. Der bisher gebaute neue Zaun ist knapp 30 Kilometer lang und kostete 4,8 Millionen Euro. Schon bald soll er 160 Kilometer lang sein, die Bauarbeiten beginnen bald.
"Das Problem wird durch den neuen Zaun nicht gelöst. Stattdessen verlagern sich die Flüchtlingsströme auf andere Routen oder in Nachbarstaaten, deren Grenze noch nicht so gut gesichert ist", sagt Mathias Fiedler von der NGO Bordermonitoring.eu.
Flüchtlinge im Gefängnis misshandelt
Im größten bulgarischen Flüchtlingslager der Stadt Harmanli treffen wir einen jungen Mann, den wir "Digo" nennen sollen. Seine Geschichte beginnt im Irak im Frühjahr 2014. Er flieht und wird an der bulgarisch-türkischen Grenze erwischt. Für zweieinhalb Monate landete er in Sofia im Gefängnis. Digo schaltet sein Smartphone ein, zeigt sechs Fotos. Darauf zu sehen: Blutergüsse, die sich bereits blau und grün gefärbt haben und tiefe, rote Striemen, die man Flüchtlingen in einem bulgarischen Gefängnis zufügte. Von Bulgarien versuchte er es über die Grenze nach Serbien, wurde wieder erwischt und landete vier Monate im Gefängnis. Er will weiter nach Deutschland.
Digo sagt: "Es ist hier über den Landweg viel schwieriger geworden, nach Europa zu kommen.“ Was an der steigenden Zahl abgelehnter Asylanträge liegt. Und seit dem ersten Juli 2015 sind die bulgarischen Reisedokumente wertlos, weil die EU sie ohne ein Visum nicht mehr anerkennt.
Wir fahren ins bulgarische Landesinnere. In Golyam Dervent, sagt man uns, kämen wir bis an den Zaun heran. Und tatsächlich, nach zwanzigminütiger Fahrt schiebt sich der Zaun ins Sichtfeld. Windschief steht er da, an einigen Gittern frisst sich erster Rost ein.
"Pushback" mit "massiver Gewalt"
Wenn es Flüchtlinge über die Grenze nach Bulgarien schaffen, droht ihnen hier der "Pushback.“ Bulgarische Grenzpolizei bringt die Flüchtlinge dann zurück in die Türkei – oft "mithilfe massiver Gewalt", wie es in einem "Human Rights Watch"-Bericht heißt.
Wir werden Zeugen einer Abschiebung. Im Dorf in der Nähe fährt ein Landrover der Grenzpolizei vorbei. Vorne sitzen zwei bulgarische Grenzschützer. Im Fond kauern mehrere Menschen dicht gedrängt. Auf halber Fensterhöhe presst sich einer der Flüchtlinge in gebückter Haltung so dicht ans Fenster, dass man einen Teil seiner grünen Boxershort erkennt.
Als das Auto eine gute halbe Stunde später wieder ins Dorf zurückrollt, fehlen die Flüchtlinge. Zwei bulgarische Grenzschützer steigen aus. Man hält uns für Frontex-Mitarbeiter. "Wir haben sie zur Grenze gebracht, das Tor aufgeschlossen und sie rübergeschickt." Einfach "seien diese Rückführungen nicht. Es gibt Kollegen die Geld für Flüchtlinge sammeln. Andere stehlen ihnen den Schmuck, das Parfum und Geld."
Bosse des Menschenschmuggels entlarven
Neben bulgarischen Grenzern helfen auch Frontex-Polizisten an der europäischen Außengrenze. "Screener“ und "Debriefer“ helfen den bulgarischen Grenzern. "Screener“ interviewen die Aufgegriffenen und versuchen herauszufinden, woher diese stammen. Häufig nehmen die Schleuser ihnen die Papiere bei der Flucht ab, um die Herkunft zu verschleiern.
Nachts versuchen Schlepper die Flüchtlinge hinter der Grenze einzusammeln. Später sprechen "Debriefer" mit den Flüchtlingen, um Bosse des Menschenschmuggels zu identifizieren. Das Wissen über Routen, gezahlte Summen und die Lage der Safehouses helfen bei den
Ermittlungen. Alle Informationen reicht Frontex an die nationalen Behörden weiter.
High Tech hilft bei der Flucht
Mit modernster Technik schottet Europa sich ab und versucht, Flüchtlinge vor der Überwindung der europäischen Außengrenzen abzuhalten. Wie gelangen die Flüchtlinge trotzdem nach Europa?
Antworten auf die Frage hat Asmaa Alrashee. Sie wohnt, ebenso wie Digo, im Lager in Harmanli. Die 46-Jährige trägt ein weißes Kopftuch, eine geblümte Bluse und blaue Jeans. Die Syrerin half sich bei ihrer Flucht mit der Software "Google Earth", um ihren Standort zu bestimmen, um sicher zu gehen, dass sie wirklich in Bulgarien ist.
Asmaa wollte in die bulgarische Stadt Malko Tarnovo. Die liegt 13 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. "Sicherheit war wichtig. Ich wollte nicht zurück in die Türkei geschickt werden." Sie erzählt von der Flucht: "Es war März, neblig und regnete. Zwei Tage lang aßen wir Brot und Käse, liefen täglich neun bis elf Stunden. Dann versagte die GPS-Funktion des Smartphones, wir verliefen uns und schliefen unter freiem Himmel. Immer wieder rief ich die UNHCR-Nummer an, sagte: Alrasheed hier. Wir sterben.
Diese Nummer hatte ich vorsorglich eingespeichert. Bei Tagesanbruch erwischten uns Grenzpolizisten. Ich ließ mein Handy in der Manteltasche. So hörte der UNHCR-Mitarbeiter mit. Ich reichte dem überraschten Polizisten mein Handy. Wir durften bleiben.“
"Ich wünsche mir Nahrung für Menschen, nicht für Tiere"
Alrasheed erzählt auch von "Facebook“-Gruppen, um mit den Menschenschleusern in Kontakt zu treten. Tagelange Märsche, Gewalt, Hunger und die Ungewissheit, ob man den Schleusern trauen kann, bestimmen die Flucht der Menschen. Manche bleiben in Bulgarien, ihr Asylantrag wird abgelehnt, sie werden in die Türkei abgeschoben und sie versuchen es erneut.
Asmaa Alrasheed will weiter nach Deutschland. "Es ist kein Leben. Ich wünsche mir Nahrung für Menschen, nicht für Tiere. Ein Badezimmer, das ich mir nicht mit 40 Menschen teilen muss“, sagt sie leise. Asmaa berichtet auch von schwarzen, ein Meter langen Giftschlangen, die auf dem Areal leben und mit einem Biss spielende Kinder gefährden. An den Wänden der Lagerflure zeigt sich in Knöchelhöhe manchmal grün-schwarzer Schimmel.
Jeden Tag überlegen sich Asmaa und Digo, wie sie es doch nach Deutschland schaffen. Tausende Flüchtlinge grübeln währenddessen, wie sie der Hölle des syrischen Bürgerkriegs oder Afghanistans entkommen, um in die Festung Europa vorzudringen.
Und Europas Politiker? Überlegen, wie sie Menschen wie Asmaa und Digo mit aller Gewalt davon abhalten.