Lebensretter oder Abwehrsystem? "Eurosur" überwacht EU-Außengrenzen in Echtzeit
Das Parlament der Europäischen Union hat der Einführung von "Eurosur", einem neuen System zur Überwachung der EU-Außengrenzen, zugestimmt. Es soll im Kampf gegen illegale Einwanderung helfen, aber auch die Rettung von Flüchtlingen in Seenot erleichtern. Gleichwohl üben Grüne und Linke scharfe Kritik.
Das eigentliche Ziel sei nicht, Menschenleben zu retten, sondern illegale Einwanderung zu verhindern, betonte die deutsche Grünen-Abgeordnete Franziska Keller. "Wir brauchen in Europa kein neues Flüchtlingsabwehrsystem, sondern ein Flüchtlingsrettungssystem."
Nur schmückendes Beiwerk
Die Seenotrettung hält Keller nur für schmückendes Beiwerk: "Es ist gut, dass es da drin steht - aber wenn man sich die ganzen Details ansieht, wer zu welchem Zweck mit wem kooperiert und welche Kapazitäten wofür eingesetzt werden, dann geht es nur um Abwehr von illegaler Migration und nie um Seenotrettung", sagte sie zu "tagesschau.de".
"Das ist tatsächlich ein neues Überwachungssystem, im grenznahen Bereich, was auch ausgeweitet werden kann. Wir glauben, dass das nicht notwendig ist. Es gibt genügend Überwachung an den Außengrenzen", erklärte Cornelia Ernst von den Linken gegenüber "tagesschau.de".
Ihre Partei habe Änderungswünsche eingebracht, mit denen sie aber "natürlich nicht durchgekommen sei", so Ernst weiter.
Mit "Eurosur" sollen Informationen zwischen Grenzbeamten und Zollbehörden, den Küstenwachen und der Marine schneller ausgetauscht werden. Überwachungsinstrumente wie Satelliten oder Schiffsmeldesysteme ermöglichen über ein geschütztes Kommunikationsnetz die Weitergabe in Echtzeit.
Das System soll eng mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert werden. Bereits in zwei Monaten soll es in EU-Ländern mit Außengrenzen betriebsbereit sein, in allen Mitgliedstaaten ab Dezember kommenden Jahres.
EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström begrüßte die Entscheidung des Parlaments. "Eurosur" werde die Grenzen der EU sicherer machen und bei der Rettung von Flüchtlingen helfen, die ihr Leben auf dem Weg zu Europas Küsten aufs Spiel setzten.
Das System werde "grenzüberschreitende Verbrechen, wie Drogen- oder Menschenhandel" besser verhindern können. Grundrechte und das Prinzip der Nicht-Zurückweisung von Flüchtlingen würden dabei gewahrt, versicherte die Schwedin.
Sozialdemokraten sehen die positiven Aspekte
Auch für die Sozialdemokraten im EU-Parlament überwogen positive Aspekte. "Es ist gut, dass wir so hartnäckig dafür gekämpft haben, Lebensrettung als verpflichtendes Ziel in den Verordnungstext aufzunehmen", sagte die innenpolitische Expertin der SPD-Europaabgeordneten, Birgit Sippel.
Der stellvertretende Vorsitzende der konservativ-bürgerlichen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), meinte, "Europa kann die vor allem wirtschaftlichen Probleme Afrikas nicht durch Massenzuwanderung lösen. Das ist Augenwischerei".
Die EU-Kommission schätzt die Kosten für Inbetriebnahme, Unterhaltung und Personal auf 244 Millionen Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020. Laut Frontex haben im Jahr 2012 mehr als 72.000 Menschen die EU-Außengrenzen illegal überschritten. Im Jahr zuvor waren es halb so viele.
Erst am vergangenen Donnerstag war es vor der italienischen Insel Lampedusa zu einem der schlimmsten Flüchtlingsdramen überhaupt gekommen. Nach dem Kentern eines Schiffes mit afrikanischen Flüchtlingen bargen die Rettungskräfte mehr als 300 Leichen, darunter die von 83 Frauen und neun Kindern. Dutzende von Menschen werden noch vermisst.
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